Kapitän über Piratenangriffe: "Mit Molotowcocktails zurückschlagen"

Seit 22 Jahren lenkt der Ägypter Maher Raschad Tanker und Containerschiffe über die Ozeane. Dreimal wurde er von Piraten überfallen.

Mit Tricks versuchen Kapitäne, Piraten zurückzudrängen - was diesem Fischerboot nicht gelang. Bild: dpa

taz: Wie gehen die Piraten gewöhnlich bei ihren Angriffen vor?

Maher Raschad: Sie verlassen sich auf ihre Schlauheit und darauf, dass die Besatzungen nicht aufmerksam sind, weil sie sich ausruhen oder beschäftigt sind. Dabei benutzen sie immer kleine schnelle Boote. In meinem Fall kamen sie immer nachts. Eine ihrer Methoden ist es, ein ca. 150 Meter langes Seil zwischen zwei kleinen Booten zu spannen. Das Handelschiff fährt dann in das Seil hinein und zieht damit automatisch die beiden kleinen Boote an der Seite des Buges mit. Dann benutzen sie Leitern oder Enterhaken, die mit Gummi umspannt sind. Daran klettern sie hoch. Das geht ganz geräuschlos vor sich. Meist waren sie barfuß, mit dem Oberkörper frei, aber gleichzeitig schwer bewaffnet.

taz: Welche Gegenmaßnahmen kann eine Besatzung ergreifen?

Raschad: Wir machen immer wieder Anti-Piraten-Drills, zeigen den Besatzungen wie die Piraten hochklettern und dass sie jeder ungewöhnlichen Bewegung oder Geräusch Aufmerksamkeit schenken müssen. Wir spielen das sogar mit zwei Parteien in Rollenspielen nach. Die Zonen, die für Aktivitäten der Piraten bekannt sind, durchkreuzt man nicht in ein paar Stunden, sondern in ein paar Tagen. Ich stelle zuvor eine Rechnung auf, das mit so wenig Nächten wie möglich zu schaffen, weil die Piraten meist im Schutz der Dunkelheit angreifen. Dafür lass ich zuvor die Motoren drosseln oder lasse schneller fahren, damit sich das ausgeht. Das Problem ist, dass sich die Piraten in letzter Zeit auch trauen tagsüber anzugreifen. Sie verlassen sich dabei auf die Schnelligkeit ihrer Boote und darauf, dass sie gut trainiert sind.

taz: Was tun, wenn sie dann doch kommen?

Raschad: Als Seeleute von Handelsschiffen dürfen wir nicht bewaffnet sein. Die Reedereien haben die Möglichkeit private Sicherheitsfirmen zum Schutz der Schiffe zu engagieren. Aber jeder versucht natürlich daneben seine eigenen Methoden zu entwickeln. Das hängt auch von der Erfahrung ab. Ich war dreimal einem Piratenangriff ausgesetzt. Einmal haben sie es an Bord geschafft, zweimal konnten wir das verhindern.

taz: Wie lässt sich verhindern, dass die Piraten an Bord kommen?

Raschad: Ich lasse nachts vermehrt Bordwachen aufstellen und alle Lampen anschalten, damit das Schiff optimal beleuchtet ist. Dann kommen unsere Feuerwehrschläuche und unsere Pumpen zum Einsatz. Ich lasse das Wasser die ganze Nacht mit Hochdruck von den Bordwänden pumpen, damit es für kleine Boote schwerer ist, sich dem Schiff zu näheren. Manchmal drehen wir auch unser Soundssystem auf, spielen laute Musik und geben vor, dass wir eine nächtliche Party feiern, dann haben die Piraten die Illusion, dass alle an Bord wach sind. Gleichzeitig lassen ich die Wachposten mit Ferngläsern das Wasser absuchen.

taz: Und wenn die dann Piraten sichten?

Raschad: Dann habe ich noch eine andere Methode, zwar mit schlechtem Gewissen, wegen der Umweltverschmutzung, aber was sollen wir machen. Wir packen den Müll in große Tüten und gießen Benzin hinein, Dann stecken wir ein in Benzin getränktes Stoffstück hinein und binden sie zu. So wird die Tüte zum Molotowcocktail, den wir über Bord werfen, wenn sie kommen. Das hat das letzte Mal am Golf von Aden geklappt. Wir konnten die Piraten zurückschlagen. Allerdings ist das gefährlich, denn als die Piraten unten in Bedrängnis gerieten, begannen sie von unten hochzuschießen. Die Kugel, die neben meinem Kopf einschlug habe ich heute noch als Erinnerung in meinem Haus in Alexandria.

taz: Was aber, wenn sie es an Bord schaffen?

Raschad: Das ist mir einmal passiert. Dann gibt es keine Zeit mehr Hilfe herbeizufunken. Meine Männer haben die Anweisung in diesem Fall keinerlei Widerstand mehr zu leisten. Dann geht es in erster Linie darum, Blutvergießen zu verhindern. Man beginnt so gut es geht zu verhandeln. Man muss das realistisch sehen. Wenn die Piraten tatsächlich alles daran setzen an Bord zu kommen, dann schaffen sie das, da nützen unsere besten Ideen nichts.

taz: Wie kann die Piraterie wirkungsvoll bekämpft werden?

Raschad: Früher war die Piraterie ein Problem der Armut. Sie kamen mit einfachen Waffen und es ging ihnen darum, ihr Überleben zu sichern. Heute kommen die Piraten Tag und Nacht, in immer größeren Zahlen und immer schwerer bewaffnet. Die Reedereien zahlen viel Lösegeld. Piraterie ist heute ein großes Geschäft. Vielleicht ist das das falsche Wort, ich will ehrlichen Geschäftsleuten nicht zu nahe treten – es ist eine Art organisierter Kriminalität, eine Mafia. Ich hoffe, dass die Internationale Gemeinschaft das Problem in den Griff bekommt, damit die Seefahrt wieder Spaß macht und interessant ist, der Grund eben, für den ich vor 38 Jahren beschlossen habe zur See zu fahren.

Interview : Karim El-Gawhary

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.