Aus Le Monde diplomatique: Flotten gegen Piraten

Vor Somalias Küste bringen Seeräuber Thunfisch, Öl und Waffen in ihren Besitz und nehmen hunderte Geiseln. Dagegen rüsten einige Länder auf und fordern eine internationale Meerespolizei.

Ihr Job ist Geiseln nehmen und Beute machen: somalische Piraten auf einem gekaperten Frachter. Bild: dpa

Als somalische Piraten am 25. September den ukrainischen Frachter "Faina" aufbrachten, erreichte die Seepiraterie vor der somalischen Küste eine neue Qualität: Dieser Überfall war nicht mehr nur ein krimineller Akt, sondern eine kriegerische Handlung. Für die Piraten lohnte sie sich: Militärfracht bringt gegenüber ziviler Fracht das Zehnfache an Lösegeld. Die "Faina" war auf dem Weg nach Mombasa in Kenia und hatte rund 30 offiziell für die kenianische Armee bestimmte Panzer1 an Bord. Die Piraten forderten ein Lösegeld von 13,6 Millionen Euro. Sie kaperten das Schiff vor dem Hafen Hobyo in Puntland.2 Binnen zwei Tagen hatten Schiffe der US-Marine den Frachter eingekreist, um zu verhindern, dass die schweren Waffen an Land gebracht wurden.

Dieser Artikel ist aus der aktuellen Ausgabe von Le Monde diplomatique, Berlin. Bild: lmd

Zwölf Tage zuvor hatten Piraten erstmals einen französischen Thunfischtrawler, die "Le Drennec", mit Raketenwerfern beschossen. Der Angriff erfolgte 420 Seemeilen (750 Kilometer) vor der somalischen Küste, so weit auf offener See wie noch nie. Das Schiff konnte knapp entkommen, aber die europäische Thunfischflotte im westlichen Indischen Ozean - 55 französische und spanische Schiffe mit 2 000 Mann Besatzung und einer Ladung von 200 000 Tonnen Fisch - musste sich auf Fanggebiete jenseits der Seychellen zurückziehen. Zuvor hatten dieselben Piraten schon Schiffe mit sensibler Ladung überfallen: Frachter mit Chemikalien aus Hongkong und den Philippinen sowie italienische und japanische Ölfrachter.

Erstmals gelang es der französischen Marine allerdings - nach zwei Geiselnahmen auf Schiffen unter französischer Flagge - zwölf somalische Piraten zu fassen und nach Paris zu bringen. Im April hatten die Piraten die Luxusjacht "Le Ponant" gekapert und im September das Segelboot "Carré d'As" entführt. Präsident Sarkozy beschloss daraufhin, an der somalischen Küste "Kriegsgefangene zu machen" - um zu zeigen, dass sich "Verbrechen nicht lohnen". Die zwölf Piraten, die nun 7 000 Kilometer von ihrer Heimat entfernt in französischen Gefängnissen auf ihre Verurteilung warten, sollen nur dann nach Somalia überstellt werden, wenn gesichert sei, dass die Urteile dort auch vollstreckt würden. Nach Ansicht ihrer Verteidiger sind die Gefangenen allerdings eher Ziegenhirten oder Fischer denn Berufspiraten und zu Unrecht ins Fangnetz der französischen Justiz geraten. Wie tief sie in die Geiselnahmen verstrickt sind und ob mit ihnen wirklich die Hauptverantwortlichen gefasst wurden, ist in der Tat unklar.

Der Ausgang des Prozesses spielt aber eine untergeordnete Rolle - worum es geht, ist die wirtschaftliche und politische Bedeutung, die die Seepiraterie inzwischen erlangt hat: Im September saßen allein an der Küste von Puntland rund zehn gekaperte Frachter fest. Die Piraten hatten mehr als 130 Besatzungsmitglieder in ihrer Gewalt. Nach Informationen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation verübten somalische Piraten von Januar bis Oktober 69 Überfälle und kassierten mehr als 18 Millionen Euro Lösegeld.

Ihr bevorzugtes Operationsgebiet ist der Golf von Aden. Wegen seiner strategischen Bedeutung für alle Schifffahrtslinien zwischen dem Indischen Ozean und dem Roten Meer gilt er heute als das weltweit gefährlichste Piratengebiet vor der Straße von Malakka und dem Golf von Guinea. Die Hälfte aller fossilen Brennstoffe wird über die Seeroute zwischen Somalia und Jemen transportiert. Jedes Jahr kommen 16 000 Schiffe hier durch, also gut 40 am Tag.

Zu Beginn des Jahrhunderts waren gerade einmal einige Dutzend Fischer und ehemalige Beamte der Küstenwache als Gelegenheitspiraten unterwegs. Doch seit die Piraterie durch einige wichtige Persönlichkeiten der autonomen Region Puntland unterstützt wird, zieht sie immer weitere Kreise. Die Aussicht auf schnellen Profit hat Geldgeber angelockt, die die Ausbildung organisierter Gruppen finanzieren - wie die Somali Marines oder die Costiguards in der Nähe kleiner Häfen wie Eyl oder Hobyo am Indischen Ozean oder auch Alula direkt am Golf von Aden.

Viele Familien leben von der Piratenbeute

Die Islamischen Gerichte, die 2006 die Kontrolle über die Hauptstadt Mogadischu erlangten,3 sagten den Piraten den Kampf an. Doch einige ihrer Anführer, die heute die Regierung unter Präsident Abdullahi bekämpfen, sollen ihre Kriegskassen durch Seepiraterie gefüllt haben. Mukhtar Robow, Sprecher der Untergrundbewegung al-Schabab, rechtfertigte öffentlich den Überfall auf die "Faina": "Handelsschiffe zu überfallen, ist ein Verbrechen. Aber ein Schiff zu entführen, das Waffen für die Feinde Allahs transportiert, ist erlaubt." Die Piraten rief er dazu auf, den Frachter, dessen Waffenladung für Äthiopien bestimmt war, in Brand zu stecken oder zu versenken.4

Scheich Scharif Ahmed, der Anführer der "Allianz für eine neue Befreiung Somalias", ein von Islamisten dominiertes Oppositionsbündnis, sieht das allerdings anders. Für ihn sind die "widerlichen Überfälle" in erster Linie durch Habgier motiviert. Alle Länder müssten Somalia deshalb helfen, das Freibeutertum auszurotten.5

Selbst wenn die Piraterie für andere Zwecke instrumentalisiert wird - die Piraten selbst sind vor allem junge Leute, die der Hunger treibt und die den Tod nicht fürchten. In einem Land ohne funktionierende Wirtschaft und Verwaltung, das überwiegend von der internationalen Lebensmittelhilfe abhängt, leben tausende von Familien von dem, was die Jungen erbeuten.

Die Geiselnahme ist zu einem richtigen kleinen Industriezweig geworden, mit Auftraggebern, Finanzierungsnetzwerken, Spähtrupps und Mutterschiffen, die mitunter mehrere hundert Kilometer von der Küste entfernt kreuzen. Von dort aus starten dann die mit Radar nicht zu ortenden Piratenboote. Die Höhe der Lösegelder stachelt die Gier der Kriegsherren an und entfacht damit den endlosen somalischen Bürgerkrieg immer neu. Gleichzeitig bedroht die Piraterie eine der wichtigsten Verkehrsadern des Welthandels.

Die Regierung von Eritrea dagegen beschuldigt die ausländischen Fischereiunternehmen, "die somalischen Fischbestände zu plündern und dabei die Souveränitätsrechte des Landes zu verletzen"6, und schlägt damit in dieselbe Kerbe wie die Entführer der "Faina". Die hatten erklärt, dass die Piraterie nichts anderes als ausgleichende Gerechtigkeit für die Ausbeutung der somalischen Fischgewässer durch westliche Trawler sei.

Die autonome Regierung Puntlands scheint ihrerseits ein doppeltes Spiel zu spielen. Sie behauptet, keine Handhabe gegen die Piraten zu haben, während einige Regierungsmitglieder offenbar gemeinsame Sache mit ihnen machen. Nach örtlichem Recht steht auf Piraterie die Todesstrafe. Die Regierung Puntlands, die seit zehn Jahren vergebens um internationale Anerkennung wirbt, begnügt sich ebenso wie die Übergangsregierung in Mogadischu damit, ausländische Einsätze gegen die Piraterie zu unterstützen.

Mit der Verabschiedung der Resolution 1816 setzte der UN-Sicherheitsrat im Juni erstmals ein Zeichen für eine internationale Mobilisierung gegen die Piraterie. Dazu wurde das UN-Seerechtsübereinkommen von 1982 geändert, das die Bekämpfung der Seeräuberei nur auf hoher See erlaubte, also außerhalb von Hoheitsgewässern und Außerordentlichen Wirtschaftszonen (AWZ), den sogenannten 200-Meilen-Zonen. Nun dürfen Kriegsschiffe mit Genehmigung der international anerkannten Übergangsregierung in Mogadischu auch in Hoheitsgewässern Somalias "seeräuberische Handlungen und bewaffnete Raubüberfälle auf See" bekämpfen. Dieses Recht der Nacheile geht allerdings nicht so weit, dass ein Überwachungssystem für die von den Piraten genutzten Stützpunkte und Häfen eingerichtet werden darf.

Frankreich und Spanien fordern deshalb eine "internationale Meerespolizei". Diese sollte von den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union aufgestellt werden. Beim Treffen des Ministerrats im französischen Deauville Anfang Oktober hatten sich zehn Mitgliedstaaten bereits zur Mitwirkung bereiterklärt. Ab Anfang Dezember werden unter dem Namen EuNav Somalia erste gemeinsame europäische Seepatrouillen unterwegs sein.

Russland, das nach dem Überfall auf die "Faina" ein Patrouillenboot in den Indischen Ozean entsandt hatte, erklärte ebenso wie die USA und die EU, im Rahmen der Resolution 1816 gegen die Piraten vorgehen zu wollen. Kurzfristig hat die Task Force 150 ihre Mission ausgeweitet. Dieser Einsatzverband umfasst ein Dutzend amerikanischer und europäischer Schiffe und wurde von den USA im Rahmen der Operation Enduring Freedom aufgestellt. Ob die Vermischung beider Missionen sinnvoll und ohne Risiken ist, sei dahingestellt.

Seit dem 24. August überwacht die Task Force 150 ein Seegebiet von mehr als 6 Millionen Quadratkilometer im Golf von Aden, zwischen Somalia und dem Jemen. Damit sollen zumindest die Schifffahrtswege nahe der Meerenge von Bab al-Mandab gesichert werden. Zudem hat die Nato angeboten, im November ein Geschwader von sieben Fregatten bereitzustellen.

In Brüssel versucht derweil ein Planungsstab, die Kapazitäten der europäischen Seestreitkräfte vor Ort zu koordinieren. Damit sollen bestimmte Transporte im Einzelfall geschützt werden, etwa Frachter, die im Auftrag des Welternährungsprogramms (WFP) unterwegs sind. Die französische, dänische und kanadische Marine sichern seit November 2007 die Durchfahrt der WFP-Frachter, nachdem diese mehrfach Piratenangriffen ausgesetzt waren. Aus dem Welternährungsprogramm werden über den Seeweg monatlich eine Million Menschen versorgt.

In Anbetracht der weltweiten Lebensmittelkrise ist aber schon jetzt damit zu rechnen, dass bis Jahresende die Zahl der Bedürftigen auf 2,5 Millionen ansteigen wird. Ein systematischer militärischer Schutz scheint angesichts der Ausdehnung des Operationsgebiets illusorisch. Diskutiert wird deshalb neuerdings wieder die Idee von Konvois. Zumindest die angreifbarsten, das heißt die langsamsten Schiffe mit flachem, breitem Rumpf und sensibler Fracht,(7) sollen auf diese Weise besser geschützt werden. Einige Fachleute sind allerdings der Meinung, dass man den Piraten gerade mit dem Fahren im Konvoi - abgesehen vom höheren Zeitaufwand und den Kosten - nur eine offene Flanke bietet, da sie über moderne Ortungssysteme wie GPS verfügen.

Der Thunfischindustrie dürfte dieser Vorschlag auch nicht gefallen. Deren Trawler sind nämlich üblicherweise allein unterwegs, um die Fischschwärme verfolgen zu können, und mit ihren Fangnetzen und Angeln sind sie nicht ohne weiteres beweglich. Die französischen Handelsschiffe werden im Rahmen der "freiwilligen Seekontrolle" von der französischen Marine beschützt, die in Absprache mit den Reedereien den Handelsschiffen folgt und sie im Ernstfall eskortiert und lotst. In bestimmten Fällen und Meereszonen werden die Schiffe eng begleitet.

Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation empfiehlt bei Waffentransporten, die Schiffe so weit wie möglich von der somalischen Küste entfernt fahren zu lassen und ständig Radarkontrollen und Überwachungen durchzuführen. Manche amerikanischen, russischen oder israelischen Handelsschiffe führen selbst Waffen zu ihrem Schutz mit. Die meisten Handels- und Fischfanggesellschaften lehnen diese Praxis ab, weil sie im Konfliktfall eine Eskalation befürchten. Auch privater Wachschutz an Bord wird nicht gern gesehen. Umgekehrt ist bereits bekannt geworden, dass auch Marinekommandos mitunter auf WFT-Frachtern mitfahren.

Angesichts der wachsenden Zahl von Überfällen vor der jemenitischen Küste hat das Land im September beschlossen, drei Zentren zur Bekämpfung der Seepiraterie einzurichten. Eines davon befindet sich in Aden. Das private Sicherheitsunternehmen Secopex soll von der somalischen Regierung den Auftrag erhalten haben, eine Küstenwache aufzubauen. Amerikanische und britische Sicherheitsdienste sollen ebenfalls als bewaffnete Wachen auf Schiffen im Einsatz sein - manchmal ist bereits von "Seesöldnern" die Rede.

Eine umfassende und nachhaltige Lösung müsste allerdings anderswo ansetzen: Nur die politische Anerkennung von Puntland beziehungsweise die schwer vorstellbare Wiedervereinigung Somalias sowie umfangreiche internationale Hilfe für dieses durch 17 Jahre Bürgerkrieg verwüstete Land könnten wohl ein dauerhaftes Ende der Piraterie bewirken.

Die Straße von Malakka im Osten des Indischen Ozeans, wo jährlich rund 50 Überfälle verzeichnet wurden, konnte nur dank eines besseren Informationsaustauschs und gemeinsamer Patrouillen der Anrainerstaaten Singapur, Malaysia und Indonesien befriedet werden. Eine solche Lösung setzt allerdings die Zusammenarbeit von starken Staaten voraus. Im Falle von Somalia scheidet sie damit von vornherein aus.

Neben einer internationalen Mobilisierung auf hoher See und einer regionalen Kooperation der Anrainerstaaten macht derzeit ein weiterer Vorschlag die Runde: Junge Leute, die eine Laufbahn als Fischer oder als Pirat erwägen, sollen stattdessen zu Beamten der Küstenwache ausgebildet werden.

Fußnoten:

(1) Es handelt sich um T-72-Kampfpanzer sowjetischer Bauart mit 125-Millimeter-Kanonen.

(2) Das Gebiet im Nordosten Somalias hat im August 1998 einseitig seine Autonomie erklärt und ist faktisch unabhängig.

(3) Siehe Gérard Prunier, "Somalia ist nicht Afghanistan", Le Monde diplomatique, September 2006.

(4) AFP, Mogadischu, 2. Oktober 2008.

(5) AFP, Nairobi, 9. September 2008.

(6) AFP, Nairobi, 11. September 2008.

(7) Admiral Laurent Mérer, Exkommandant der französischen Seestreitkräfte im Indischen Ozean, Radio France internationale, 17. September 2008.

Aus dem Französischen von Veronika Kabis

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.