Kolumne Mail aus Manila: Ein Lob der DIN-Norm

Auf den Philippinen passt nichts zusammen. 110 oder 220 Volt? Zentimeter oder Inch? Das Leben ohne Industriestandards kann sehr verwirrend sein.

Wie gut es einem in Deutschland geht, kann man wohl erst dann richtig würdigen, wenn man eine Zeit lang in einem Entwicklungsland wie den Philippinen gelebt hat. Und damit meine ich nicht die unübersehbaren Unterschiede in Sachen Lebensstandard und Infrastruktur. Eine Segnung des Lebens in Deutschland, die man auf den Philippinen bitter vermissen kann, ist die DIN-Norm. Die vom Deutschen Institut für Normung verabschiedeten Standards garantieren bekanntlich, dass das Briefpapier in den Umschlag passt, Schrauben in Muttern, Rohre in den Flansch und dass das ß im Textverarbeitungsprogramm korrekt angezeigt wird. Dass alles verdanken wir freundlichen, anonymen DIN-Trollen, die sich bei Geheimtreffen in unterirdischen Berghöhlen auf solche Normen einigen.

Wenn ein Land solche Trolle nicht hat, dann geht es so zu wie in den Philippinen. Die spanischen, amerikanischen und japanischen Kolonialherren sowie unregulierter Import von Technologien und Geräten aus der ganzen Welt haben das Land in ein verwirrendes Chaos aus unterschiedlichsten Maßeinheiten, technischen Standards und Steckdosen gestürzt. Längen werden wahlweise in Zoll oder in Zentimetern gemessen, Mengen in Litern oder in Gallonen, und in jedem Haus gibt es zwei Stromkreisläufe, einen für 110 Volt und einen für 220 Volt. Wie alles in den Philippinen sind auch die technischen Normen ein verwirrender Hybrid aus verschiedensten internationalen Einflüssen.

Bei Geräten, die 110 Volt benötigen, steckt man einen Stecker mit runden Metallstiften, der wie die in Deutschland aussieht, in die passende Steckdosen. Für 220 Volt gibt es Stecker wie in den USA: kleine platte Metallstifte, die in schmale Steckdosen mit schmalen Schlitzen gehören. Verwirrenderweise ist es in den USA und in Deutschland genau umgekehrt: aus den schmalen Schlitzen in Amerika kommen 110 Volt, in Deutschland bekanntlich 220 Volt.

Damit es noch etwas komplizierter wird, ist es in unserem Haus in Manila noch mal anders. Der Erbauer wollte ausschließlich Haushaltsgeräte aus den USA benutzen, weil er lokale Produkte für Müll hielt. Darum kommen bei uns aus den schmalen Steckdosen 110 Volt, aus denen für Rundstecker 220 Volt, so wie es sich eigentlich gehört. Ich fand das heraus, als ich beim Einzug das Faxgerät in die falsche Steckdose stöpselte, wo es umstandslos abrauchte. Über technisch verbrämtes koloniales Bewusstsein fluchend machte ich mich auf den Weg zum Baumarkt, um eine Einkaufstüte voller Adapter zu kaufen.

Der Verkauf von Adaptern scheint überhaupt eine der Hauptaufgaben der hiesigen Baumärkte zu sein, denn außer den beiden erwähnten Steckertypen gibt es ein riesiges verwirrendes System von Steckern, die gerne zu barocken Steckerskulpturen zusammengestöpselt werden. In der entsprechenden Abteilung findet man darum ganze Regalwände voller Verlängerungen, Mehrfachsteckern und Adapter, mit deren Hilfe man alles in alles stecken kann.

Und damit fängt es erst an. Seit Monaten suche ich nach einer Kugelschreibermine, die in meinen Lieblingskuli aus Korea passt. Leider heißt es in jedem Schreibwarengeschäft "Not available!" Als wir uns von einem Schreiner ein neues Regal bauen lassen, bestand die Hauptaufgabe darin, meine Größenangaben in Zoll umzurechnen, bis er zum Schluss aus irgendeinem Grund wieder alles zurück in Zentimeter rechnete. Die abgehefteten amtlichen Dokumente hängen oben und unten aus dem Ordner heraus, weil sie in dem merkwürdigen amerikanischen "legal"-Format sind und eben nicht im guten alten deutschen DIN-A4, für das der Ordner eigentlich ausgelegt ist. Weil die Metallschnallen im Inneren der Ordner je nach Fabrikat mal sieben und mal acht Zentimeter voneinander entfernt sind, kann man den Locher praktischerweise ebenfalls umstellen. Passen tut es trotzdem nie so ganz.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.