Kinosterben: Großalarm in den Lichtspielen

Dem 1908 eröffneten Friedrichshainer Kino "Tilsiter Lichtspiele" droht die Schließung, weil die Miete steigen soll. Betreiber und Vermieter machen sich gegenseitig Vorwürfe.

Die Lage ist ernst. Aber Sven Loose betont erst einmal das Gegenteil. Der Filmliebhaber und Programmleiter der "Tilsiter Lichtspiele" deutet auf ein Plakat an der Wand, dann kramt er eifrig ein paar Filmprospekte hervor. "Unser Programm läuft voll durch", sagt er bestimmt. Die Frage ist nur: wie lange noch?

Der Hauseigentümer verlange seit Auslaufen des alten Vertrages eine fast doppelt so hohe Miete, sagt Loose. "Dem kämen wir kostenmäßig nie hinterher. Und die Miete ist jetzt schon sehr hoch", ärgert sich der Programmleiter.

Die "Tilsiter Lichtspiele" öffneten 1908 ihren Kinosaal an der damaligen Tilsiter Straße. Das Kino überlebte die Kaiserzeit, die Weimarer Republik, das Dritte Reich. Ausgerechnet in der DDR geriet es erstmals in die Krise - wegen zu großer Konkurrenz. Als 1961 das neue Großkino "Kosmos" an der Karl-Marx-Allee eröffnet wurde, blieben den "Lichtspielen" die Zuschauer weg. Das Kino im Friedrichshainer Kiez wurde geschlossen.

Erst 33 Jahre später gab es wieder Kino an dem traditionellen Ort - nur die Adresse hatte sich geänderte. Sie heißt seit 1969 Richard-Sorge-Straße 26a. Der Neustart nach dem Mauerfall gelang als Programmkino mit 60 Plätzen und Kneipe. "Es ist ein Stück Berliner Kulturgeschichte", sagt Loose nicht ohne Stolz. "Wir haben in alten Berliner Telefonbüchern recherchiert - unser Kino ist wirklich das älteste in Berlin, das immer noch in Betrieb ist".

Darüber könnte man streiten. Am Kottbusser Damm in Kreuzberg gibt es ein Kino bereits seit 1907. Allerdings trägt es erst seit 1984 seinen heutigen Namen: Moviemento. Auf jeden Fall aber sind die "Tilsiter Lichtspiele" ein Gegenentwurf zu den modernen Multiplexen. In der rustikalen Kinokneipe mit den alten Holztischen und der beigefarbenen 70er-Jahre-Tapete ist es angenehm warm und gemütlich. Der abgenutzte Holzfußboden knarrt bei jedem Schritt. Im Kinosaal riecht es nach altem Polster und einem Hauch Bier. In den letzten Reihen stehen drei Ledersofas - es sieht aus wie im heimischen Wohnzimmer. Mit dieser Heimeligkeit haben die "Lichtspiele" selbst den einstigen Konkurrenten "Kosmos" überlebt. Das musste 2005 schließen.

"Wir zeigen auch kleine, unbekannte und lokale Filmproduktionen und laden die Regisseure zu Publikumsdiskussionen ins Kino ein", sagt Loose. "Manchmal finden bei uns Lesungen oder Konzerte statt - wir sind mehr als nur ein normales Kino." Das findet auch Mirko, der an der Bar in der Kinokneipe sitzt. Der 36-Jährige erzählt, dass er schon seit acht Jahren in die "Tilsiter Lichtspiele" kommt - mal zum Kinogucken und manchmal einfach nur auf ein Bier. "Das hier ist meine Stammkneipe", sagt er. "Ich fände es schlimm, wenn das Kino schließen müsste."

Der alte Mietvertrag sei schon 2005 ausgelaufen, berichtet Loose. Doch der Vermieter sei dem Wunsch der Kinobetreiber nach einem neuen Vertrag lange ausgewichen. Erst in diesem Sommer habe er seine neuen Forderungen kundgetan und später sogar mit einem Rauswurf gedroht, falls man nicht zahle. Und das gerade zur 100-Jahr-Feier der Lichtspiele. Das Kino habe eine Unterschriftenaktion gestartet. Rund 700 Unterstützer hätten sich bisher eingetragen. "Die Resonanz im Kiez ist groß."

Auch in der Politik. Der Kulturausschuss der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg hat in einer Resolution die Kulturstadträtin Sigrid Klebba (SPD) und den Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) aufgefordert, sich für den Erhalt des Kinos einzusetzen. Doch Klebba ist skeptisch. "Beschließen können wir gar nichts, schließlich gehört das Haus nicht dem Bezirk", sagt die SPD-Politikerin. "Der Bezirk kann in diesem Fall nur als Vermittler auftreten". Das bleibt offenbar nicht ohne Folgen.

Der Hauseigentümer ist mittlerweile schon um sein Image besorgt. "Ich bin kein Hardliner. Sonst wären die Betreiber schon längst raus", beteuert der Vermieter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. "Ich drücke schon seit drei Jahren die Augen zu." Denn das Kino habe schon seit Längerem Mietschulden und sei nicht einmal versichert. "Und solange die Betreiber weder ihre Schulden begleichen noch eine Gewerbeversicherung vorlegen können, gibt es auch keinen neuen Mietvertrag", sagt er. Die Höhe der Miete sei dabei zweitrangig. Dass es Mieterhöhungen gebe, sei jedoch völlig normal.

Immerhin sei nun "wieder alles offen", glaubt Programmleiter Loose. "Nachdem sich sogar die Politik eingemischt hat, scheint er sich ein bisschen beruhigt zu haben." Auch die Drohung mit Rauswurf habe der Hauseigentümer mündlich zurückgenommen und versichert, dass das Kino bleiben dürfe - bis Februar 2009. "Aber das war nur eine von vielen seiner Aussagen", ärgert sich Loose, der nun am Lichtspiel-Programm für die kommenden Monate bastelt. "Wir leben allein von den Kinobesuchern und von unseren Filmen", so Loose. "Und eigentlich kommen wir damit auch ganz gut klar - man muss uns nur in Ruhe lassen."

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