Bilddokumentation von Andreas Magdanz: Die Ruinen von St. Rochus

Camp Vogelsang war einst NS-Ordensburg, dann übten hier die belgischen Streitkräfte. Die Bilddokumentation des Künstlers Andreas Magdanz hält jüngere deutsche Geschichte fest.

Spätestens mit der Eröffnung des Nationalparks Eifel 2006 ist das bis dato militärisch genutzte Areal Vogelsang bei Schleiden bundesweit in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Über die künftige zivile Ausrichtung der einstigen als "Akademie für weltanschauliche Schulung" errichteten NS-Ordensburg wird heftig gestritten. Kaum beachtet wird bei den Auseinandersetzungen aber das Faktum, dass mit dem Abzug der belgischen Streitkräfte aus dem Camp Vogelsang Ende 2005 auch ein bedeutendes Kapitel deutscher Besatzungsgeschichte der Nachkriegszeit unwiderruflich zu Ende gegangen ist. Mit ihr wird ein Großteil der historischen Spuren beseitigt sein.

Der Fotograf Andreas Magdanz verbrachte 2004 ein halbes Jahr auf Vogelsang und arbeitet seitdem an einer umfassenden Bilddokumentation über das zunächst als englisches, danach annähernd 40 Jahre als belgisches Übungslager genutzte Camp. Thema seines komplexen Projekts ist Vogelsang als Kultur- und Landschaftsraum unter den Aspekten Architektur, Militär und Natur. Fotos von der Ordensburg selbst kommen bei den in Aachen und am authentischen Ort Vogelsang/Van Dooren gezeigten großformatigen Schwarz-Weiß- und Farbfotos nicht vor; und sie spielen auch unter den rund 100 Fotos der demnächst erscheinenden Publikation nur eine marginale Rolle.

Dass sich der 1963 geborene Künstler weniger als Chronist der Geschichte denn als kritischer Zeitzeuge sieht, belegen seine bisherigen aufwendigen Fotoprojekte zum Tagebau Garzweiler 2, zur Dienststelle Marienthal, zu Auschwitz-Birkenau und zum BND-Standort Pullach. Dort hat er stets ein untrügliches Sensorium für brisante Orte und Situationen bewiesen, denen ein grundlegender Umbruch bevorsteht. Ohne seine Dokumentarfotos wäre das jeweilige Stadium jüngster Vergangenheit überhaupt nicht für die Nachwelt überliefert.

Beim Projekt Vogelsang weicht Magdanz von der rein sachlichen Dokumentarfotografie ab, stattdessen ist jedes Foto bei aller Prägnanz entsprechend der jeweiligen Situation atmosphärisch aufgeladen. Dies schärft den Blick des Betrachters, neben der inhaltlichen Aussage auch die künstlerischen Überlegungen zu erkennen. So leitet das farbige Großfoto einer der personalen Zielscheiben, die den Spezialeinheiten für Schießübungen dienten, die Ausstellung ein (Target, 2004). Die plakativ gemalte, mit zahlreichen Schusslöchern versehrte Holzschablone eines bewaffneten Mannes in Anzug und Krawatte ist Täter und Opfer zugleich.

Das Foto einer nichts sagenden Häuserfassade und das des dazugehörigen tristen Hinterhofs verraten nichts davon, dass sich hinter diesen schäbigen, in den 50er-Jahren aufgestockten Nazigrundmauern ein über tausend Besucher fassender, plüschiger Kino- bzw. Veranstaltungssaal befindet. Er wurde von Magdanz menschenleer, in festlicher Beleuchtung und vor allem zentralperspektivisch mit Blick auf die verhangene Bühne fotografiert ("Crypte", Cinema, 2008).

Magdanz wählt diese achsenparallele Sicht, um theatrale und/oder autoritäre Strukturen bloßzulegen. Ganz anders das Foto vom Zugang zur gesperrten Lagerungsstätte von Munition (MunDep, 2008). Dort fängt Magdanz trotz des ernsten Sujets humorvoll etwas von der sprichwörtlich mangelnden Perfektion der Belgier ein: kreuz und quer laufende Telefon- und Elektroleitungen über Drahtzäune, wacklige Laternen, Warnschilder und skurrile Architekturteile zeigten das Provisorische dieser Dauereinrichtung.

Magdanz lehnt einen einheitlichen Stil ab, um jedem Sujet die ihm adäquate Repräsentation zu gewähren. So sind im Unterschied zu den farbigen Inkjetfotos der Architekturen die meisten Fotos von Soldaten und der Landschaften meist als leicht ins Diffuse verfremdete, schwarzweiße Diasec ausgearbeitet, ein Verfahren, bei dem Positive mit Plexiglasplatten fest verbunden werden. Die Natur hat unter den Manövern stark gelitten, andererseits haben aufgrund der Abschottung zahlreiche Pflanzen und Tiere überleben können. Ein Foto zeigt die nebelverhangene Kirche St. Rochus des Dorfes Wollseifen, eines Ortes, der bereits 1946 von den Besatzungstruppen geschleift wurde. Die verlassenen Ruinen samt neu erbauten Häusern oder Hausattrappen dienten den Belgiern als Übungsterrain für Straßen- und Häuserkämpfe. Darunter befindet sich die Aufnahme einer demolierten Häuserzeile vor zerfurchtem Boden unter dem Titel "Kosovo 91/ Wollseifen", 2004. Vor diesen Häuserruinen hatten sich die belgischen Soldaten auf den Kosovokrieg vorbereitet.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.