Ausbildungsplätze: "Viele Bewerber gelten nicht als ausbildungsreif"

Bei der Berufsausbildung liegt weiterhin vieles im Argen. Lernschwache Schulabgänger sind die Verlierer, meint die Diplompädagogin Charlotte Petri

taz: Frau Petri, immer öfter ist zu hören, dass es bald mehr freie Ausbildungsplätze als Bewerber gibt. Stimmt das?

Charlotte Petri: Das halte ich für ein Gerücht. Vielmehr müsste man sagen: Es gibt weiterhin genügend Anwärter auf Ausbildungsstellen, aber sie entsprechen nicht dem Anforderungsprofil der Betriebe und der Agentur für Arbeit. Viele Bewerber gelten nicht als ausbildungsreif.

Wann ist man das?

Für die Ausbildungsreife gibt es festgelegte Standardkriterien. Die Jugendlichen müssen über Basiswissen und Kulturtechniken verfügen. Sie müssen Kommunikationsfähigkeit, Durchhaltevermögen, Frustrationstoleranz, Konfliktfähigkeit und anderes haben. Und physisch belastbar sein.

Fallen viele durch dieses Raster?

Ja. Sich auf Standardkriterien festzulegen ist eben unter Umständen falsch, wie es auch ein Irrtum ist, anzunehmen, es gäbe nur einen Ausbildungsmarkt.

Wie meinen Sie das?

Kleine Firmen, die ausbilden, haben andere Anforderungsprofile als Großkonzerne. Diese Unternehmen führen Einstellungstests durch, die selbst für Schulabgänger mit mittlerem Schulabschluss schwierig sind. Man kann den Ausbildungsmarkt nicht über einen Kamm scheren. Es ist ein Unterschied, ob eine Großküche Köche ausbildet oder ein Fünf-Sterne-Restaurant. In Baden-Württemberg ist es anders als in Berlin.

Sie arbeiten mit Menschen mit Lernschwierigkeiten, die durch die Standardraster der Ausbildungsreife fallen, und versuchen, diese auf dem ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Wie ist da die Entwicklung?

Ohne Unterstützung ist es fast unmöglich für Jugendliche mit Lernschwierigkeiten, nach der zehnten Klasse ins Berufsleben einzusteigen. Die Unterstützung ist unabdingbar. Sie ist schwer. Aber unsere Arbeit ist erfolgreich.

Was macht Ihre Arbeit so schwer?

Viele der Jugendlichen mit schwierigen Schulkarrieren trennen Leben und Arbeit nicht. Bei ihnen ist Berufsorientierung eigentlich Lebensorientierung. Sie können Berufe oft nicht mit Inhalten füllen, sondern wissen nur, ob diese soziale Anerkennung bieten oder nicht. Sie sortieren ein Berufsumfeld danach, ob sie eingebunden werden, ob mit ihnen gut kommuniziert wird, ob die Kollegen nett sind, ob sie nicht für dumm gehalten werden, ob es Spaß macht. Was sie machen, ist dann nicht so wichtig. Im Grunde sind sie mit ihrer Haltung sehr modern. Das Ausbildungssystem dagegen favorisiert immer noch das alte Muster, dass man einen Beruf lernt und den sein Leben lang ausführt.

Wie ist Ihre Vermittlungsquote in den ersten Arbeitsmarkt?

Uns liegt mehr an der Frage nach der Qualität statt der Quantität. Aber am erfolgreichsten sind wir mit unserem Projekt "Gemeinsam schaffen wir das" - einer Zusammenarbeit mit der BSR und der Reinigungsfirma Sasse sowie mit verschiedenen gastronomischen Betrieben. Da liegt die Übernahmequote in Arbeit und Ausbildung bei 70 bis 75 Prozent.

In der Regel allerdings landen Jugendliche, die nicht ausbildungsreif sind, in außerbetrieblichen Ausbildungen. Wie beurteilen Sie diese?

Die Jugendlichen lernen in der außerbetrieblichen Berufsvorbereitung ein Jahr lang verschiedene Berufsfelder kennen. Für Jugendliche, die nicht wissen, was sie wollen, ist das gut. Danach durchlaufen sie meist automatisch eine außerbetriebliche Ausbildung in einem der Berufe. Im Grunde werden die Probleme der Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt so nur um drei oder vier Jahre hinausgezögert. In diesen Jahren wird eine ganze Menge Geld ausgegeben. Wenn dieses Geld den Betrieben für die Qualifikation Jugendlicher zugute käme, wäre deren Chance höher, sich im ersten Arbeitsmarkt zu verankern.

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