DDR-Oppositioneller über Berliner Zeitung: "Tödlich für eine Zeitung"

Nachdem bekannt wurde, dass Redakteure der "Berliner Zeitung" zu DDR-Zeiten für die Stasi tätig gewesen sind, sagt Rainer Eppelmann: "Bei jedem anderen Medium kann das genauso passieren".

Ist auch CDA-Mitglied: Rainer Eppelmann. Bild: dpa

Im März wurde ein leitender Redakteur des ehemaligen SED-Organs Berliner Zeitung als früherer Stasi-IM enttarnt; mittlerweile gibt es weitere Fälle. Ein unabhängiger Ehrenrat, zu dem Rainer Eppelmann gehört, berät nun die Chefredaktion. In zwei Fällen empfahl er die Degradierung, in einem Fall die Beendigung der Tätigkeit im Politikbereich, ein Redakteur kündigte.

65, Chef der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, war DDR-Oppositioneller, später CDU-MdB und sah 1992 als einer der Ersten seine Stasiakte ein

taz: Herr Eppelmann, es gab in der DDR nicht nur die Berliner Zeitung. Müssen auch andere Medien die Geschichte aufarbeiten?

Eppelmann: Wenn sie es nicht schon getan haben: ja. Denn die Strukturen in der DDR waren völlig klar: Nicht jeder konnte verantwortlicher Journalist in einer Zeitung werden.

Die Ausbildung war reglementiert über die Uni Leipzig.

Genau. Und man musste es sich verdienen, im politischen Bereich tätig zu sein.

Wie gingen Zeitungen nach der Wende damit um? Am Mittwoch etwa hat sich der NDR in "Zapp" mit früheren Stasimitarbeitern befasst, die für die Märkische Allgemeine Zeitung arbeiten.

Ich weiß, dass es Zeitungen gab, die sich um die Aufarbeitung bemüht haben, die Märkische Oder-Zeitung etwa. Andere haben weniger gemacht. Auch in der Berliner Zeitung hat es Zeiten gegeben, in denen die verantwortlichen Männer gesagt haben: Ich blicke nicht zurück.

Das sagt man vom früheren Chefredakteur Erich Böhme.

Eine kurze Zeit lang fragte man bei Neueinstellungen nach einer Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit. Aber eben nur punktuell. Jetzt holt die Geschichte die Zeitung ein. Ich denke an einen alten Filmtitel: Die Sonne bringt es an den Tag. Und bei jeder anderen Zeitung und jedem anderen Medium - denken Sie an den MDR - besteht die Gefahr, dass es da genauso geht.

Wurde die Notwendigkeit der Aufarbeitung unterschätzt?

Es ist halt nicht ganz einfach: Im Normalfall sind die DDR-Zeitungen keine ostdeutschen Zeitungen geblieben, sondern sind westdeutsche oder europäische Zeitungen geworden. Die Verantwortlichen haben zum Teil herzlich wenig davon gewusst, wie die Verhältnisse in der DDR tatsächlich waren. Ich will da also nicht nur Schuld zuweisen, ich versuche zuerst, zu beschreiben.

Der Ehrenrat hat empfohlen, einen Kollegen der Berliner Zeitung nicht weiter im Politikbereich zu beschäftigen. Was disqualifiziert einen Journalisten, der als ehemaliger Stasimitarbeiter geoutet wird, über Politik zu schreiben, qualifiziert ihn aber, über Kultur zu schreiben?

Sie haben grundsätzlich Recht - eine Zeitung lebt in allen Bereichen von ihrer Glaubwürdigkeit. Aber der Politikbereich ist für unseren Eindruck mit einem besonderen Anspruch versehen. Wenn man sich die Finger schmutzig gemacht hat, ist es ungeheuer schwer, die Leser dazu zu bringen, alles als Sahne anzusehen, was man von sich gibt. Man wird nicht verhindern können, dass Menschen sagen: Die Meinung, die der da heute äußert, hat mit seinem Tun zwischen 1975 und 1989 zu tun.

Und das ist ausgeschlossen, wenn ein Kollege über Sport, Kultur, Wirtschaft schreibt?

Nein, natürlich ist das nicht ausgeschlossen. Aber das Risiko, dass man einen Journalisten nicht so ernst nimmt, ist größer, wenn er in der Politik arbeitet. Und dann ist eine Zeitung wertlos. So ist es doch auch in der DDR mit den Zeitungen gewesen. Der Otto Normalverbraucher hat hinten die Artikel im Bereich Sport und Kommunales gelesen, und das Erste vorne hat er sich nicht angeguckt, weil er wusste, das stimmt doch eh nicht. Das ist doch tödlich für eine Zeitung.

Sie sind bei den einzelnen Stasimitarbeitsfällen zu unterschiedlichen Bewertungen gekommen. Warum?

Wir kennen nur die Täterakten, also die, in Anführungsstrichen, Kaderakten des Ministeriums für Staatssicherheit. Man kann daraus eine Menge erkennen, was die Vita angeht, was die Motive angeht. Aber wir kennen nicht die Berichte, die die Leute selbst geschrieben haben. Unser Weg der Erkenntniszunahme war also indirekt. Wichtig waren für uns daher die Gespräche mit ihnen. Der Ausgangspunkt war: Lasst uns fragen, was sie tatsächlich gemacht haben. Es hat da eben Menschen gegeben, die als Inoffizielle Mitarbeiter für die Staatssicherheit gearbeitet haben, und solche, die drei Jahre beim Wachregiment Feliks Dzierzynski waren …

dem militärischen Arm der Staatssicherheit …

Die haben in der Normannenstraße oder vorm Volkskammergebäude Wache geschoben. Oder haben, wenn ein großer Staatsbesuch kam, aufgepasst, dass die Bürger auch mit ihren Winkelementen freudig winken. Und dann muss man zudem unterscheiden zwischen hauptamtlicher Arbeit - da wussten ja auch die Nachbarn: Der ist bei der Stasi - und denen, die konspirativ gearbeitet haben. Das entscheidende Stichwort ist meiner Meinung nach: konspirativ. Das ist meiner Meinung nach besonders hart zu bewerten. Die haben Vertrauen gegenüber Kollegen, Kommilitonen, Vorgesetzten missbraucht, indem sie Freundlichkeit, Zuverlässigkeit, Freundschaft suggeriert und hinter dem Rücken Berichte geschrieben haben. In einem Fall haben wir auch berücksichtigt, dass einer der betroffenen Kollegen sich von sich aus gemeldet hat und sagte: Ich muss über mich reden. Das ist ganz selten.

Sind die Maßstäbe, die an Journalisten angelegt werden, besondere? Könnte man als Lehrer oder Verwaltungsbeamter heute weitermachen, wenn man 2008 als ehemaliger Stasimitarbeiter enttarnt wird?

Ich meine: nein. Weil man sich damit schuldig gemacht hat. Der Einigungsvertrag sagt ja deutlich: Wer für das MfS gearbeitet hat, hat im Normalfall im öffentlichen Dienst nichts zu suchen. Und dann gibt es eben Bereiche wie den Journalismus - die besonders sensibel sind.

INTERVIEW: KLAUS RAAB

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