Neue Idee gegen den Klimawandel: Shell fördert das Kalken der Meere

Das Meer ist eine wichtige Senke für Kohlendioxid - doch die CO2-Pumpe wird schwächer. Forscher wollen sie durch Kalken wieder auf Touren bringen: Ein gewagtes Experiment.

Verschlingt große Mengen Kohlendioxid: das Meer. Bild: dpa

STOCKHOLM taz Die Einschränkung des Ausstoßes von Klimagasen war gestern. Kalken der Ozeane lautet das Rezept für morgen. Damit könne die Erwärmung der Erdatmosphäre ganz ohne neue Techniken, Einsparungen und Konsumverzicht gestoppt werden. Mehr noch: Der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre ließe sich sogar auf vorindustrielles Niveau senken. "Cquestrate" verspricht diesen Zauber. Bislang ist es erst eine Idee. An die der Ölkonzern Shell aber jedenfalls so sehr glaubt, dass er Forschungsgelder bereitgestellt hat, um eine praktische Umsetzung zu testen.

Hierbei sollen wieder einmal die Ozeane das Kohlendioxid schlucken. Das tun die sowieso schon zur Genüge: Zusammen mit der Biosphäre, der anderen großen CO2-Senke der Erde, wird in den Meeren die Hälfte des jährlichen menschgemachten Kohlendioxids gespeichert. Es gibt dabei nur einen Haken: Dieser Effekt wird offenbar immer schwächer. Die Aufnahmefähigkeit des Meerwassers für CO2 sinkt mit fortschreitendem Anstieg des Kohlendioxidgehalt der Luft.

Hier setzt Tim Kruger, der Kopf hinter der "Cquestrate"-Idee an: Er will die CO2-Pumpe der Weltmeere auf Touren bringen. Den Ozeanen gehe ihre Fähigkeit zur CO2-Speicherung vor allem deshalb verloren, weil sie immer saurer werden. Dem könne entgegengearbeitet werden, indem man durch umfassende Einbringung von Kalk den Säuregehalt der Ozeane senke - und damit deren CO2-Aufnahmefähigkeit steigere.

Dummerweise wird allerdings gerade bei der Herstellung des zum Kalken erforderlichen Kalziumoxids (ungelöschter Kalk) aus Kalkstein (Kalziumkarbonat) nicht nur reichlich Energie verbraucht, sondern auch Kohlendioxid freigesetzt. Doch hat man bei "Cquestrate" ausgerechnet, dass bei einer CO2-Gesamtbilanz entsprechend gekalkte Gewässer jedenfalls doppelt soviel CO2 binden könnten wie bei der Kalkherstellung selbst freigesetzt werden würde.

"Eine theoretische Berechnung, die einigermaßen hinkommen dürfte", meint Klaus Lackner, Professor für Geophysik an der Columbia-Universität New York im Chemistry and Industry Magazine: "Man sollte es zumindest versuchen."

Neu ist das Konzept nicht, durch Kalkzugaben den ph-Wert saurer Gewässer zu erhöhen. In den achtziger Jahren versuchte man damit vor allem in Skandinavien gegen den Effekt des damals vorwiegend durch ungefilterte Schwefeldioxidemissionen deutscher und britischer Kohlenkraftwerke verursachten "sauren Regens" anzukämpfen, der viele Binnenseen essigsauer und damit für Fische und andere Lebewesen unbewohnbar machte.

Gekalkt werden viele Gewässer teilweise noch heute. Mit Erfolg, allerdings nicht ohne Nebenwirkungen: Viele Arten vertragen die unregelmäßige massive Kalkzufuhr nicht und sind verschwunden.

Anfang der neunziger Jahre hatten WissenschaftlerInnen sich bereits einmal mit der Idee beschäftigt, durch Kalken der Ozeane deren CO2-Aufnahme zu steigern. Doch kam man damals zu dem Ergebnis, dass die Freisetzung von Klimagasen, die mit Gewinnung, Produktion und Transport des Kalziumoxids verbunden wären, sogar höher liegen würde als die Menge, die das Meerwasser anschließend zusätzlich aufnehmen könnte. Auch wegen der Kosten wurde das Konzept als uninteressant zu den Akten gelegt.

"Cquestrate" fordert nun auf seiner Internetseite zur Debatte und zur Kritik auf - sie wollen ihre Idee als "open source"-Projekt angehen. Was Nina Jensen, Marinebiologin beim WWF-Norwegen grundsätzlich begrüsst: Jeder Lösungsansatz sei es wert, geprüft zu werden. Doch diese Idee hält sie für ein "lebensgefährliches Experiment", so Jensen. "Testet man so etwas in großem Maßstab ohne eingehende weitere Forschungen, sind die Konsequenzen nicht überschaubar. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass Konzerne wie Shell auf solche Lösungen bauen. Da könnten sie dann einfach weiterwursteln wie bisher."

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