Kleingärten sind hip: Bionade-Boheme im Grünen

Das früher als spießig-altbacken verschriene Laubenpieper-Wesen erfährt eine Renaissance - vor allem bei gut situierten, grün angehauchten Paaren mit Kindern.

Ob Bionade oder Bier - Hauptsache Garten Bild: AP

Vielleicht ist Grönland in Gefahr. Bornholm möglicherweise auch. Grönland könnte von einer Straße zerstört werden. Und Bornholm von der Mischbebauung. Egid Riedl hat deswegen schon einen Brief an den Regierenden geschrieben. Er hat darauf hingewiesen, was Grönland für die Frischlufterneuerung im Stadtinneren bedeutet und was das für ein Widerspruch in Klimaschutzzeiten wäre, wenn künftig eine Straße mitten durch die Kleingartenanlage führt. Auch in puncto Feinstaubbelastung. Im vorletzten Absatz verweist er noch einmal auf ihre 100-jährige Tradition. Gezeichnet Egid Riedl, Vorsitzender des Bezirksverbands der Kleingärtner Prenzlauer Berg e. V.

Die Straße würde quer durch die Siedlung laufen. "Hier oben so rüber", sagt Riedl und zeigt irgendwo hinter sich. "65 Parzellen würden wegfallen." Grönland hat 112. Der Vorsitzende sitzt an einem Schreibtisch voller Papierstapel. Überm Stuhl hängt sein weißes Leinenjackett. Er hat ein Kettchen aus Gold um den Arm, eines um den Hals. An seiner Hand stecken zwei dicke goldene Ringe. Aus dem Hemd quillt weißes Brusthaar. Egid Riedls Haut ist kräftig rotbraun. Er geht fast jeden Tag zu seinem Grundstück in der Kolonie Bornholm I, unten bei der Bornholmer Brücke. Mindestens um zu gießen.

Jetzt sitzt Riedl im Vereinsheim neben der Gaststätte Zur Laube oben auf dem Hügel an der Grenze zu Lichtenberg. Die Kolonien sind quer über den Bezirk verteilt. Nur einige schnurgerade Kieswege von der Kneipe entfernt liegt Grönland. Es ist alles ziemlich grün. Die Plattenbauten nebenan sieht man kaum. Am einen Ende der Kolonie wachsen die alten Bäume des Jüdischen Friedhofs von Weißensee in den Himmel. Vögel zwitschern. Ein Handy spielt kurz "Ein Stern, der deinen Namen trägt" von DJ Ötzi an.

Der Regierende Bürgermeister hat auf Riedels Brief relativ knapp geantwortet. Grönland und die anderen Kolonien würden zur strategischen Flächenreserve Berlins gehören. Bis 2014 sei die kleingärtnerische Nutzung gesichert. Danach müsse das alles noch einmal geprüft werden. "Ihrem Wunsch, mich für die Umwidmung der Flächen zu Dauerkleingärten einzusetzen, kann ich daher leider nicht entsprechen." Sie dürften aber hoffen, auch in sieben Jahren weiter auf ihren Parzellen bleiben zu können. Mit freundlichen Grüßen, Klaus Wowereit.

Es ist eine wirklich ungünstige Sache, dass die Frage mit den Fristen gerade jetzt wiederauftaucht. Jetzt, wo es zum ersten Mal richtigen Nachwuchs gibt in den Kolonien. Es werden immer mehr, sagt Egid Riedl. Die Warteliste ist lang. Über 100 Bewerber. Und seit einigen Jahren sind viele junge Familien darunter. Der Landesverband der Gartenfreunde beobachtet dasselbe. Es gibt im Wedding eine einzelne Kolonie, für die sich um die 150 Leute beworben haben. "Die Kleingärtner sind relativ alt. Es ist also gut, dass neue dazukommen", sagt einer aus dem Vorstand.

Neulich war Rosenfest in Bornholm I. Der Baustadtrat von Pankow und die stellvertretende Bürgermeisterin waren da. Egid Riedl hat bei der Gelegenheit noch einmal aus dem Brief des Regierenden zitiert. Die Verantwortlichen geben sich eigentlich alle zuversichtlich, dass das mit dem Erhalt klappen könnte.

Riedl ist auch bei fast jeder Bezirksverordnetenversammlung von Pankow. Lobbyarbeit nennt er das. Dass nach und nach die Schutzfristen auslaufen, macht nicht nur den Kleingärtnern im Prenzlauer Berg Sorgen. 2004 sind so in Berlin 300 Parzellen verloren gegangen, sagt Peter Ehrenberg, der Vorsitzende der Gartenfreunde Berlin. 2010 könnten es noch einmal einige hundert sein und 2014 mehrere tausend. Theoretisch. Davon gehen sie nicht wirklich aus. Aber sie fordern "Planungssicherheit". Auch für die neuen Kleingärtner.

Dazu gehören auch der Ingenieur aus dem Bötzowviertel und seine Frau. Der Ingenieur hat sich erst einmal beim Bezirksverband erkundigt, was denn nun wäre, wenn in sieben Jahren tatsächlich die Straße käme und auch die Parzellen der Kolonie Am Volkspark Prenzlauer Berg zerschneiden würde. Er und seine Frau haben ja gerade erst in ihre Parzelle, in die Laube investiert.

"Stadtgold", sagt die Frau des Ingenieurs und lacht. Sie steht im Wickelrock neben einem Büschel Pampasgras, das Baby auf dem Arm, ein Gläschen Biobananenbrei in der Hand. Der Große hat die blonden Locken des Vaters und hüpft nackt über den Rasen. Auf einem Tisch unter dem Laubenvordach ruht ein Laptop. Sie arbeiten zwischendurch immer wieder hier draußen, nennen es "Sommerbüro". Er ist freier Ingenieur, sie Drehbuchautorin.

Sie wollten raus, aber nicht zu weit. Nicht nach Brandenburg in ein Reihenhäuschen im Grünen. Dafür mögen sie die Stadtcafés zu gerne. Aber die Spielplätze im Bötzowviertel kamen ihnen immer ein bisschen überfüllt vor. Und im Park hatten sie auch nicht so richtig Ruhe. Also haben sie im Sommer vor zwei Jahren die Worte "Garten" und "Prenzlauer Berg" in eine Suchmaschinenmaske eingegeben. Die Antwort war "Bezirksverband der Kleingärtner".

Der freut sich auch im Prenzlauer Berg über die jungen Neuzugänge. "Es ist ja nicht so, dass jeder, der sich bewirbt, gleich einen Garten kriegt", sagt Riedl. Ein Jahr kann es schon dauern. "Oder auch länger", sagt er und zieht seine Lippe langsam über sein perlweißes Gebiss. Er lächelt.

Beim Ingenieur und seiner Frau ging es relativ schnell. Das ist wahrscheinlich der Vorteil der Bionade-Boheme. Ein bisschen Geld haben sie dann doch irgendwo übrig. Sie konnten also im Bewerbungsbogen eine ganz ordentliche Summe angeben, als es um die Ablöse für die Laube, den Zaun und die anderen Dinge auf dem Grundstück ging.

Zwischen 2.000 und 9.000 Euro etwa bekommen die vorherigen Pächter meist. Eigentlich entscheidet die Position auf der Warteliste, aber wenn die vorderen Bewerber ein Parzellenangebot nicht bezahlen können, überspringen wohlhabendere Anwärter schnell einige Plätze. Ostern 2007 war es dann so weit: Der Ingenieur und seine Frau, beide kaum vierzig, bekamen ihre Parzelle im Pappelweg.

Er trägt an diesem Nachmittag ein Hemd über der kurzen schwarzen Badehose und sitzt auf der weißen Gartenbank, von der die Farbe blättert. Ein Schlauch mit Sonnenblumenaufsatz dreht sich im Kreis und benässt die Beete. Mit der Parzelle haben sie auch einige Bäume übernommen. Zweimal Pflaume, zweimal Apfel, zweimal Birne und zweimal Sauerkirsche. Vor einem Jahr sind sie mit dem Marmeladekochen und Backen kaum hinterhergekommen. "Wir wussten nicht, wohin damit", sagt der Ingenieur. Wenn es ums Pflücken ging, waren ihre Nachbarn aus dem Bötzowviertel nicht unbedingt zu motivieren. Natur kann ganz schön viel Arbeit machen. Trotzdem wollen viele auch eine eigene Laube. Eine Freundin kommt mit ihren zwei Kindern vorbei. Die sucht auch gerade. Auf dem Parzellenrasen liegen Minifahrräder und ein Bobby-Car neben dem Kinderwagen.

Das Grundstück ist von außen so zugewachsen, dass man kaum hineinsehen kann. Manchmal kommt der Nachbar und sagt, sie sollten aufpassen, dass ihre Pflanzen nicht bei ihm auf die Parzelle hinüberranken. Dann schneiden sie sie schnell ab. Am Gartenzaun trifft die Lässigkeit der Ökokreativen auf den Ordnungssinn der pensionierten und passionierten Heckenstutzer. Auf dem weißen Briefkasten des Ingenieurs und seiner Frau stehen zwei Namen. Das kommt hier sonst auch nicht so oft vor.

Einmal im Jahr ist Kontrolle. Dann läuft der Gartenfachberater mit seiner Checkliste die Grundstücke ab. "Er steht den jungen Leuten natürlich mit Rat und Tat zur Seite", sagt der Vorsitzende Riedl. Es gibt so ein paar Dinge, von denen ist dringend abzuraten. Mittagessen oder Grillkohle auf den Kompost. Rost auf Zäunen. "Das schädigt das Gesamtbild der Kleingartenanlage." Oder Knöterich. Riedl hatte mal eine Knöterichhecke, die musste er alle fünf Tage schneiden. Das war auf Dauer nicht auszuhalten. "Da habe ich sie rausgerissen." Er hat sie dann gleich noch nachhaltiger entfernen lassen - über die Gartenordnung. Wenn der Gartenfachberater seine Runden gedreht hat, werden den Pächtern gelegentlich einige Auflagen mitgeteilt. "Notfalls gibt es auch mal eine Abmahnung", sagt Riedl.

Der Ingenieur will keinen Stress. Sie haben also in der etwas verwilderten Ecke Beete angelegt und die Bäume gestutzt, so wie es der Gartenfachberater gewünscht hatte. Das Bundeskleingartengesetz schließlich sieht vor, dass je ein Drittel der Fläche für Erholung, Zierpflanzen und eben Nutzpflanzen verwendet werden. Obst und Gemüse, mit denen sich die Stadtbevölkerung gesund ernähren kann.

Es gibt mittlerweile eine Kindersicherungsschlaufe am Gartentor. Ein älterer Parzellenpächter von vorne hatte den Großen mal vorbeigebracht mit der freundlichen Bitte, sie mögen doch ein bisschen aufpassen, wo der sich so rumtreibe. Sanktionen haben sie bisher noch keine zu spüren bekommen, sagte der Ingenieur: "Die laufen hier nicht mit dem Maßband rum." Er rupft ein Büschel Unkraut aus dem Beet. Könnte man auch alles entfernen. "Ach, mein Gott", sagt er, "wir finden es schön." Die Nachbarn würden schon einsehen, dass sie wegen ihrer Kinder nicht allzu viel Zeit für die penible Gartenpflege hätten. Zu den Vereinsfesten vorne bei der Kneipe sind sie noch nie gegangen. Frühschoppen. Maitanz. Pfingsttanz. Sie hören das nur manchmal. "Tralala-Musik" mit Hammond-Orgel. "Das ist ne andere Generation", sagt er. Seine Frau wiegt das Baby auf dem Arm. "Wir übernehmen das jetzt." Sie lacht.

Nebenan hat sich ein älterer Mann mit einer Kanne Unkrautvernichtungsmittel über ein Beet gebeugt und sprüht. Von gegenüber dringt Baulärm herüber. Jemand sägt an einer Holzplatte. "Hier wird immer irgendwas gebaut", sagt der Ingenieur. Auch sie hoffen, dass es 2014 keine Straße sein wird.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.