Juden während des Balkan-Krieges: Karadzics Erbe lastet auf Sarajevo

Während der Belagerung Sarajevos durch Karadzic und Mladic konnten Juden die Stadt verlassen und verhalfen vielen Muslimen zur Flucht. Ein Besuch bei der jüdischen Gemeinde.

Sarajevo in Angst: Anwohner 1992 auf der Flucht vor Heckenschützen. Bild: reuters

SARAJEVO taz Natürlich ist Radovan Karadzic auch in Sarajevo noch allgegenwärtig. Die Zeitungen und Periodika suchen sich gegenseitig zu übertrumpfen, um dem neugierigen Publikum eigene Geschichten über die Umstände der Verhaftung des ehemaligen Belagerers der Stadt aufzutischen. Karadzic ist quasi in aller Munde. Nur Eli Tauber, Mitglied der jüdischen Gemeinde in Sarajevo, Publizist und Forscher, Leiter des Projekts zur "Untersuchung, Auffindung und Systematisierung historischen Materials über die jüdische Geschichte in Bosnien und Herzegowina" mag nicht über Karadzic reden. "Über Radovan Karadzic spreche ich nicht, ich spreche überhaupt nicht über die politische Lage in Bosnien und Herzegowina," sagt er am Telefon. Dennoch lädt er zum Gepräch ein.

Mit großer Spannung hat die Weltöffentlichkeit am Donnerstag die erste Vorführung des früheren bosnischen Serbenführers Radovan Karadzic vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag erwartet. Karadzic werde das UN-Gericht nicht anerkennen und seine Unschuld beteuern, kündigte der Bruder Luka Karadzic an. Sein Bruder habe sich seit langer Zeit auf den Prozess vorbereitet, sagte er der russischen Zeitung Iswestija. Eine Antwort auf die Frage des niederländischen Richters Alphons Orie nach seiner Schuld muss Karadzic binnen 30 Tagen übermitteln. Einer der Anwälte, Svetozar Vujacic, teilte auf Anfrage mit, dass Karadzic diese Frist "mit Sicherheit" ausschöpfen werde. Zudem sehen die Bestimmungen vor, dass sich Karadzic zu seinen Haftbedingungen äußern kann. Ihm werden insgesamt elf Anklagepunkte zur Last gelegt, darunter Kriegsverbrechen und Völkermord im Bosnien-Krieg von 1992 bis 1995, insbesondere das Massaker von Srebrenica.

Vor den Türen des jüdischen Zentrums und der Synagoge in Sarajevo stehen keine Polizisten. Die Türen sind offen. Der Portier schaut lediglich unwillig auf, weil er durch den Besucher bei der Lektüre der Zeizung gestört wird. "Eli Tauber sitzt im Garten mit den Amerikanern." Von einem Tisch umringt mit jungen Besuchern aus New York erhebt sich der Mitfünfziger. "In Zagreb und Belgrad hat die jüdische Gemeinde Polizeischutz, hier brauchen wir die nicht." Die Juden Sarajevos fühlten sich sicher in einer Stadt, in der 85 Prozent der Bewohner Muslime sind. "Wir sind in der Stadt integriert," sprudelt es aus Eli Tauber heraus. "Ich habe kürzlich im Rahmen einer Kulturwoche die ,Neue sephardische Küche` vorgestellt. Das war ein Riesenerfolg." Vor dem II. Weltkrieg stellten die Juden ein Viertel der Bevölkerung der Stadt. Heute zählt die Gemeinde noch rund 800 Mitglieder. Viele Juden verließen Sarajevo 1992, als der Belagerungsring durch Karadzic und Mladic geschlossen wurde.

Die Serben ließen die Juden aus der Stadt ziehen. Auch viele nichtjüdische Bewohner Sarajevos sind damals mit jüdischen Papieren aus der Stadt geflohen. "Ich war damals in Israel und habe natürlich meine Papiere auch zur Verfügung gestellt," schmunzelt Eli Tauber. So flohen weit mehr Personen aus der Stadt, als es dort Juden gab. Männer wie der Vorsitzende der Gemeinde, Jakob Finci, blieben jedoch. Und halfen, die von jüdischen Organisationen gespendeten Hilfsgüter an die Bevölkerung ungeachtet der Religion zu verteilen. Das hat natürlich zu dem hohen Ansehen der jüdischen Gemeinde in Sarajevo beigetragen.

"Zufrieden können wir trotzdem nicht sein." Eli Tauber regt sich nun doch etwas auf. Nach dem Friedensabkommen von Dayton seien nur die sogenannten konstituiven Nationen, - Bosniaken, Serben und Kroaten - als staatstragende Nationen anerkannt worden. Die auf dem Abkommen beruhende Verfassung diskriminiere folglich die Minderheiten. So könne zum Beispiel Jakob Finci nicht in den Präsidentschaftsrat des Staates gewählt werden, dies sei den konstitutiven Bevölkerungsgruppen vorbehalten. Ein Verstoß gegen internationales Recht. Jakob Finci hat beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg Klage eingereicht, das Verfahren läuft noch. "Immerhin ist der Aussenminister Bosnien und Herzegowinas, Sven Alkalaj, ein Jude," sagt Tauber. Mit der Klage stellen die Juden Sarajevos die Verfassung nach Dayton und die Herrschaft der nationalistischen Parteien in Bosnien in Frage. Die jüdische Gemeinde macht sich damit zum Motor einer Verfassungsdebatte, die politisch hoch brisant ist. "Bosnien und Herzegowina ist auch unser Staat," betont Eli Tauber. Aber politische Statements will er nicht abgeben.

Und dann spricht er doch über Karadzic. Vor 30 Jahren arbeitete er mit Karadzic in einer Kommission über Erziehungsfragen zusammen. "Karadzic war damals sehr an diesem Problem interessiert, er hatte ja zwei Kinder." Nie hätte er sich vorstellen können, welche Rolle Karadzic später einmal spielen würde. Er sei nicht besonders auffällig gewesen. "Es gab überhaupt keinen Grund für diesen Krieg, denn alle Menschen lebten friedlich zusammen." Der Krieg habe das Land zerstört, er habe auch in seinem privaten Leben tiefe Spuren hinterlassen. "Unsere Familie wurde auseinander gerissen." Ein Sohn lebe jetzt in Israel, ein anderer in Spanien, seine Frau in den USA. "Ich habe wegen Karadzic hier in Sarajevo keine Familie mehr." Dann geht er zurück zu seinen Gästen. Ihnen will er die 500-jährige Geschichte der Juden in Sarajevo nahe bringen.

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