Glücksfall Synästhesie: Kreatives Futter für das Gehirn

Synästhetiker haben oft kreative Berufe, sie brauchen die künstlerische Betätigung. Die Gehirnbereiche wollen bedient werden

Gesteigerte Sensibilität: "Spaghetti sind gelb. Da hab ich nicht immer Lust drauf." Bild: ap

Michael Haverkamp mag bunte Musik. Die rote Musik einer Blockflöte zum Beispiel, oder blaue Querflötentöne. Geräusche bestimmen auch seinen Beruf. Er ist Akustiker, arbeitet für einen großen Automobilhersteller in Köln. Dort eliminiert er unangenehme Geräusche, etwa das Pfeifen oder Knarzen der Bremsen. Solche Klänge vermitteln dem Fahrer den Eindruck, das Auto sei von schlechter Qualität oder gar defekt.

Michael Haverkamp ist Synästhetiker - Buchstaben, Töne und Klänge haben für ihn Farben und manchmal auch Formen. Sein Name sei "scheckig", vor allem wegen des "knallgelben I" und des "hellgrünen E", sagt er. Studiert hat Michael Elektrotechnik, merkte aber schnell, dass ihm der Ingenieurberuf zu trocken, "zu wenig sinnlich" ist. Als Fahrzeugakustiker kann er kreativ arbeiten. "Natürlich spielt dabei meine synästhetische Wahrnehmung eine Rolle", sagt der 49-Jährige. Er brauche das intensive Hören und Sehen.

So scheint es vielen Synästhetikern zu gehen. Im Internet finden sich regelrechte Ausstellungen, von selbst komponierter Musik bis hin zu Farbkompositionen, die ein Künstler seinem Orgasmus zuordnet.

"Synästhesie ist nicht nur Luxus", sagt Michael. Schließlich wollen die Gehirnbereiche bedient werden. Und so füttern Synästhetiker diese eben, indem sie malen, musizieren, darüber schreiben. "Synästhesie kommt bei Künstlern, Schriftstellern und Poeten, also bei kreativen Menschen, siebenmal so oft vor wie in der Durchschnittsbevölkerung", sagt der Neurologe Vilayanur Ramachandran von der kalifornischen Universität in San Diego. Denn: "Künstler verfügen oft über die Fähigkeit, eigentlich getrennte Bereiche zu verknüpfen. Sie haben einen ausgeprägten Sinn für Metaphern und sind in der Lage, verschiedene Wirklichkeiten miteinander zu vermengen", erklärt der Forscher.

Auch Jeanette Schulz ist ein kreativer Mensch, in ihrer Berufswahl hat ihre Synästhesie sie nach eigener Aussage aber nicht beeinflusst. Jeanette ist medizinisch-anatomische Zeichnerin und arbeitet momentan an einer Wiener Privatklinik zum Thema "Mikrochirurgie peripherer Nerven". Auch Jeanette empfindet farbig, beispielsweise Zahlen, Gefühle oder Geschmack. Bei Projektarbeiten mit Wissenschaftlern hilft ihr die synästhetische Wahrnehmung, "schnell den Klang von dem zu finden, was sie dargestellt haben wollen". Aber dass sie als Synästhetikerin Kunst macht, stelle sie nicht heraus. Sie sei keine "Promi-Syn-Künstlerin". Da lässt sich Jeanette lieber ihre Essensgelüste synästhetisch dirigieren: "Spaghetti sind gelb", und darauf habe sie einfach nicht immer Lust.

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