Kritik an Kritik am Urteil: Richter verurteilen Staatsanwältin

Erst betreiben die Boulevard-Zeitungen Richterschelte, weil zwei verurteilte Messerstecher Haftverschonung bekommen haben. Jetzt wehren sich die Richter und nennen die Kritik "maßlos". Auch die mäkelnde Staatsanwältin bekommt ihr Fett weg.

In Berliner Bussen geht es hoch her, beim Nachspiel vor Gericht nicht weniger Bild: REUTERS

Die Berliner Richterschaft muss zurzeit ganz schön einstecken. Erst wird die Vorsitzende der 40. Strafkammer am Landgericht, Gabriele Strobel, von der Boulevard-Presse wegen eines angeblich zu milden Urteils an den Pranger gestelllt: "Kuschel-Richerin lässt Messerstecher laufen", schlagzeilte Springers BILD letzte Woche. Und dann fällt den Richtern auch die Vorsitzende der Vereinigung Berliner Staatsanwälte, Vera Junker, in den Rücken. "Die Fälle häufen sich, wo die Urteile bei extremen Gewalttaten zu milde sind." Am Montag nun stellten sich die Gerichtspräsidenten und der Staatssekretär für Justiz, Hasso Lieber (SPD), schützend vor die angegriffene Richterin. Lieber spricht von einer Kampagne, die Gerichtspräsidenten von einer "persönlich diffamierenden, maßlos verzeichnende Kritik".

Dass Gerichtspräsidenten in einer Presseerklärung Medienschelte betreiben, kommt nicht alle Tage vor. Der Berufsstand sei Kritik an Urteilen gewohnt, sagt die Vizepräsidentin des Landgerichts, Margarete Koppers. "So lange das sachlich geschieht, ist dagegen auch überhaupt nichts einzuwenden." Auslöser für die Debatte ist der Fall von zwei Angeklagten, die nach einer Messerattacke auf einen BVG-Busfahrer letzte Woche von der 40. Strafkammer wegen gefährlicher Körperverletzung zu 3 Jahren und drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden waren, dann aber bis zum Haftantritt auf freien Fuß kamen. Mit ihrer Berichterstattung, so Koppers, hätten die Medien die Schwelle des Hinnehmbaren überschritten. Es wirke wie eine Hetzkampage, wenn der Vorsitzenden Richterin Strobel unter voller Namensnennung und Veröffentlichung ihres Bildes vorgeworfen werde, die Angeklagten einfach laufen gelassen zu haben. Das Gericht habe seine Beweggründe für das Urteil gehabt. Und Strobel sei dafür auch nicht allein verantwortlich. "An dem Urteil haben fünf Personen mitgewirkt," so Koppers. "Drei Berufsrichter und zwei Schöffen."

Was die Richterschaft fast noch mehr trifft: die Vorsitzende der Vereingung der Berliner Staatsanwälte, Junker, hat der Kritik der Medien angeschlossen. Im Tagesspiegel am Sonntag bezog Junker zu der Frage Stellung "ist unsere Justiz zu lasch?" Bei extremen Gewaltaten würden sich milde Urteile häufen, so Junkers Fazit. Der Normalbürger könne das nicht mehr nachvollziehen.

"Man kann unterschiedlicher Meinung sein, aber das muss man doch nicht in den Medien austragen," kritisiert der Vorsitzende des Landesverbandes des Deutschen Richterbundes, Peter Faust, Junkers Vorgehen. Koppers sagt, Junker treibe einen Keil zwischen Gerichte und Staatsanwaltschaft. Justizsstaatsekretär Lieber versucht das Ganze herunterzukochen, indem er Junkers Meinung als Einzelsicht in der Staatsanwaltschaft abtut. Von einer Kluft zwischen Anklagebehörde und Gerichten könne keine Rede sein.

Junker widerspricht: Es handele sich keineswegs um eine Einzelmeinung. Und sie habe auch keinen Grund mit der Kritik hinter dem Berg zu halten. "Der Tagesspiegel hat mich gefragt, warum soll ich nicht antworten." Junkers spricht von einem grundlegenden fachlichen Dissens. Mit dem Sommerloch, das die Medien füllen müssen, habe das nichts zu tun. "Ich würde diese Position auch zu jeder anderen Jahreszeit vertreten."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.