Nach dem Milchstreik: Sautters Kühe und sein Geld

Vor einem Monat hat Bauer Peter Sautter seine Milch weggekippt, obwohl er das "schrecklich" fand. Aber es ging um seine Existenz. Was denkt er jetzt darüber?

Die Milch geht nun wieder an die Molkereien statt auf die Felder oder in die Gullis Bild: dpa

Der Streik: Anfang Juni hatten zahlreiche Bauern ihre Milchlieferungen an die Molkereien eingestellt. Sie forderten von den Abnehmern 10 Cent mehr für jeden Liter Milch. Von den im Bundesverband Deutscher Milchviehhalter organisierten 33.000 deutschen Bauern lieferten 95 Prozent ihre Milch nicht ab, sondern schütteten sie weg.

Das Ergebnis: Als in den Supermärkten die Regale leer blieben, lenkten die Abnehmer ein. Sie versprachen, den Preis um 10 Cent anzuheben. Daraufhin setzten die Bauern ihren Streik aus. Nachdem Lidl sein Versprechen wahrgemacht hat, werden die anderen Supermärkte, allen voran Aldi und Rewe, nun wohl nachziehen.

Die Folgen: Milcherzeugnisse kosten einige Cent mehr. Handelsriesen wie Aldi haben den Preis für Frischmilch um 7 Cent angehoben. Ein 250-Gramm-Stück Butter kostet 12 Cent mehr. Für Ende Juli hat Bundesagrarminister Horst Seehofer (CSU) Vertreter des Einzelhandels und der Bauern zu einem Milch-Gipfel eingeladen.

Die Kühe liegen im Stall des Sautter-Hofs auf dem Boden, das Stroh unter ihnen ist vom Mist schwarz gefärbt. Die ersten öffnen gerade ihre Augen. Es ist halb acht Uhr morgens. Peter Sautters Kühe sind keine Frühaufsteher. "43, komm!" - "Auf gehts, 22!" - "68, sei nicht so stur!" Seit er nicht mehr fünfundzwanzig, sondern siebzig Milchkühe hat, gibt er ihnen keine Namen mehr, nur noch Nummern. Den Kühen ist das egal. Die weiß-schwarz und braun gefleckten Tiere trotten, eine nach der anderen, in den Melkstand.

Jede Zitze wischt Sautter mit einem feuchten Tuch sauber, dann melkt er die ersten an. Warme Milch rinnt an seinem Handgelenk hinunter, zwischen den Fingern spürt er die rauen Zitzen. Kuh 68 entleert ihre Blase, Urin spritzt, das Plätschern dauert ein kleine Ewigkeit. Der Geruch vermischt sich mit dem von Mist. "Ganz ruhig, ist gleich vorbei." Sautter murmelt den Kühen beruhigende Worte zu, während er die Euter an die Melkmaschine anschließt. Eine Fliege setzt sich an seinen Mundwinkel. "Ich darf nie verrückt spielen", sagt der Bauer. "Sonst spielen die Kühe verrückt."

Die Melkmaschine bringt die warme Milch aus den Kühen direkt in den Tank, dort wird sie auf 4 Grad gekühlt. Vor einem Monat stand die Kühlung des Milchtanks still. Die Milch behielt die Körpertemperatur der Kühe, vom Euter bis zum Abfluss. Es war kein Versehen. Es war ein Protest. 15.000 Liter Milch schüttete Sautter weg. "Es war schrecklich", sagt er über die Zeit des Protests. "Ich bin kein Radikaler, aber unsere Existenz ist bedroht."

Die Milch ist sein Leben, von morgens bis abends, von montags bis sonntags, vom 1. Januar bis 31. Dezember. Milchbauer ist sein Traumberuf. Aber das allein reicht nicht, die Arbeit muss ihn auch ernähren können, ihn und die ganze Sautter-Familie.

Als der Kühlwagen der Genossenschaft hält, steht Peter Sautter mit verschränkten Armen vor seinem Milchtank. Er hat ihn schon in der Ferne gesehen, sein Hof liegt weit ab von Eningen, dem nächsten Dorf. Der blau-graue Overall spannt über Sautters mächtigem Bauch, Wind wirbelt die kurzen Haare durcheinander. Er nickt dem Fahrer zu, schließt den dicken Schlauch an den Tank des Lastwagens, es riecht süß nach frischer Kuhmilch. Die Männer stehen beisammen. "Der Milchpreis wird vermutlich nicht hochgehen", sagt der Fahrer, während die Milch rauscht. Sautters Lächeln gefriert. Er blickt auf seine Gummistiefel. Dort klebt noch etwas Mist aus dem Stall. "Erst heut Abend wissen wir mehr", sagt er, "erst heut Abend."

Wenn der Arbeitstag zu Ende ist, wird Sautter fünfzig Kilometer nach Riedlingen fahren. Seine Genossenschaft, die Allgäuland Käsereien, hat die jährliche Generalversammlung vom Jahresende auf Anfang Juli vorverlegt. Grund ist der Milchpreis und der Streik vor vier Wochen. Heute wird sich herausstellen, ob sich der Widerstand gelohnt hat, ob die Discounter tatsächlich mehr zahlen. Wenn nicht, werden die Bauern, wie angedroht, weiterstreiken müssen. Es wird auch eine Vesper geben. "Ein Freudenmahl? Ein Leichenschmaus?" Sautter lächelt vorsichtig.

Der Milchwagenfahrer arbeitet für die Genossenschaft. Bauer und Fahrer leben von der Milch. Doch selbst bestimmen können sie den Milchpreis deshalb nicht. Sie sind abhängig vom Markt, von der Nachfrage, vor allem von den Supermarktketten. "Aldi und Lidl haben das Geschäft kaputt gemacht", schimpft Sautter, sie haben Anfang des Jahres den Milchpreis um 10 Prozent gesenkt. Gleichzeitig sind Futter- und Spritpreise in die Höhe geschossen. Noch während des Streiks haben beide Discounter versprochen, die 10 Cent wieder auf den Ankaufspreis aufzuschlagen und damit die 40-Cent-Grenze zu durchbrechen. Erst dann ist die Milchproduktion für die Bauern rentabel. Heute Abend wird sich zeigen, ob sie ihre Zusage einhalten.

"Die Milch soll nicht teurer werden", sagt Sautter am Mittagstisch zu seiner Frau. Ein unsichtbares Gewicht zieht ihre Mundwinkel nach unten. "Hab ich mir doch gedacht", schnauft sie und schaufelt überbackene Zucchini auf seinen Teller, "Aldi und Lidl haben nur geblufft." Pause. "Heute musst du früher melken. Und dich schön anziehen für die Versammlung", sagt Susanne Sautter zu ihrem Mann. Noch hofft sie.

Vor sieben Jahren haben die Sautters expandiert, sie haben ihren Milchkuhbestand verdreifacht, modernste Anlagen gekauft und sind mit ihrem Hof aus Eningen weit raus aufs Land gezogen. Susanne Sautter hat ihre Arbeit als Konditoreifachkraft aufgegeben, um auf dem Hof zu helfen. Der Milchpreis war "gerecht". Doch seit Anfang dieses Jahres ist alles anders. "10 Cent weniger pro Liter bedeuten für uns 3.000 Euro weniger im Monat. Das ist viel Geld", sagt Bauer Sautter.

Ein hohes Muhen zerreißt die Stille. Die Kälber müssen gefüttert werden. Sautter steigt auf den Traktor und lädt Heu, schüttet Kraftfutter dazu. Das ganze Jahr über gibt es Jungtiere auf dem Hof. Bullen werden verkauft, Kühe behalten. Drei Jahre füttert und pflegt Sautter sie, bis sie das erste Mal kalben - und Milch geben. "Kühe sind erst mal eine Investition. Erst später zahlen sie sich aus," erklärt Sauter. In den vier Jahren bis zur Schlachtung müssen sie regelmäßig vom Tierarzt besamt werden, damit die Milch weiter fließt. "Auch das kostet Geld." Sautter weiß nicht, ob er das weiter zahlen kann. Erst heute Abend.

Sohn Stefan kommt von der Schule und schlüpft in seinen blauen Overall. Er ist ernst, er weiß, dass sein Vater heute Abend nach Riedlingen fährt. Nach dem Milchpreis fragt er aber nicht. Er geht direkt zum Holzmachen. "Vorrat für die kalte Jahreszeit schaffen", sagt der 15-Jährige und beginnt Scheite zu spalten. Als sie vor vier Wochen zehn Tage lang die Milch weggeschüttet haben, konnte er es kaum begreifen. Es hatte etwas Gespenstisches für den Jungen. Auch sein Leben dreht sich um die Kühe. Er und sein drei Jahre älterer Bruder Florian möchten den Hof übernehmen. Eine andere Zukunft können die beiden sich nicht vorstellen.

Ein Muhen zieht durch den Stall. Die Milchkühe haben wieder Hunger. Fünf Kleinwagen voll Futter muss Sautter jeden Tag heranschaffen. "Am Wochenende haben wir wieder neue Silage gemacht", schreit Sautter vom Traktor herunter, seine Worte gehen im Motorenlärm unter. Der Geruch nach gärendem Gras beißt in der Nase. Wind wirbelt Heu in der Luft herum, es sticht auf der Haut. Die nächsten Wochenenden der Familie Sautter werden ähnlich aussehen.

Zum Duschen bleibt Peter Sautter fast keine Zeit mehr. Hastig schlüpft er in ein Hemd und klemmt sich hinter das Lenkrad seines Mercedes. "Wir werden untergehen wie die Mayas, die Azteken und die alten Römer", sagt er noch, dann fährt er los.

Erst um vier Uhr morgens ist er wieder auf dem Hof. Sein erster Blick gilt den Kühen. Sie schlafen friedlich. Mondlicht fällt durch das Oberlicht auf das Stroh und die Flecken der Tiere. In drei Stunden ruft Peter Sautter sie wieder in den Melkstand. Der Anblick des Stalls erfüllt ihn mit Glück. Lidl hat sein Versprechen gehalten, die anderen Discounter werden nachziehen. Die Vesper war ein Freudenmahl.

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