Urteil im Prozess gegen Lea-Sophies Eltern: 11 Jahre und 9 Monate wegen Mord

Stefan T. und Nicole G. haben ihre fünfjährige Tochter verhungern lassen - jetzt sind sie wegen Mordes verurteilt. Eine mögliche Mitschuld von Jugendamtsmitarbeitern ist noch ungeklärt.

Akten der Staatsanwaltschaft zum Fall der verhungerten Lea-Sophie. Bild: dpa

SCHWERIN taz Die Eltern der verhungerten Lea-Sophie sind zu Haftstrafen von jeweils elf Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Das Landgericht Schwerin wertete das Nichtstun von Nicole G. und Stefan T als Mord und Misshandlung Schutzbefohlener. Die Persönlichkeitsstörungen der Angeklagten änderten nichts an deren Schuldfähigkeit. Die fünfjährige Lea-Sophie war am 20. November 2007 in ein Krankenhaus eingeliefert worden und gestorben. Die Eltern hatten den Notarzt gerufen, nachdem sie ihr Kind leblos in seinem Stühlchen gefunden hatten. Lea-Sophie wog zur Zeit ihrer Einlieferung mit 7,4 Kilogramm ein Drittel des Normalgewichts. Ihr Körper war mit Kot beschmiert und an einigen Stellen durchgelegen bis auf die Knochen. Ihr Gesicht war greisenhaft eingefallen, selbst ihr Herz wog nur noch 38 Gramm statt 100 Gramm wie bei einem gesunden Kind. "Der Point of no return war am 20. November 2007 bereits um mindestens drei Tage überschritten", stellte der vorsitzende Richter Robert Piepel fest. Piepel ging bei seiner Urteilsbegründung von einer vorsätzlichen Tat aus und berief sich dabei auf das Geständnis der beiden Angeklagten. Sie habe gewusst dass sie wegen Lea-Sophies Weigerung, Nahrung anzunehmen, Hilfe hätte holen sollen, zitierte der Richter Nicole G.. Sie habe aber Angst davor gehabt, dass sich jemand einmische und "einfach alles weitergemacht". Stefan T. Hatte ausgesagt, er habe vor dem Zustand des Kindes "die Augen verschlossen". Beide Eltern hätten angegeben, ihnen sei zwei Wochen vor dem Tod Lea-Sophies klar geworden, dass ihr Kind sterben könne. Diese Aussage erschien dem Gericht glaubwürdig, zumal das Kind am 30. September 2007 noch zwölf Kilo gewogen habe - genausoviel wie im März 2007 - und somit noch nicht von einer Kindeswohlgefährdung auszugehen gewesen sei. Das Gericht verneinte, dass die Tat grausam gewesen sei, denn das in seinen letzten Wochen dahin dämmernde Kind habe sein Leiden wahrscheinlich nicht bewusst erlebt. Die Eltern hätten allerdings aus niedrigen Beweggründen gehandelt, weshalb ihre Tat als Mord zu bewerten sei. "Hilfe, die leicht zu erlangen gewesen wäre, haben die Angeklagten ihrer Tochter schlicht verweigert", sagte Piepel. Damit hätten sie "ein moralisches Grundgesetz gebrochen". Nicole G. und Stefan T hätten sich für den schrecklichen Zustand ihrer Tochter geschämt und befürchtet, der Staat würde ihnen ihren das Kind und dessen kleinen Bruder Justin wegnehmen. Dass sich Stefan T darauf verlassen habe, dass sich seine Freundin um Lea-Sophie kümmere, entlaste ihn nicht. Der arbeitslose T saß zu Hause vor Videospielen und dem Fernseher und überließ seiner Freundin den Haushalt. Nicole G. habe sich von Lea-Sophie abgewiesen gefühlt, als das Mädchen negativ auf die Geburt ihres kleinen Bruders reagierte. Das habe sie nicht mit ihrem Idealbild von sich als Mutter vereinbaren können. Trotzdem sei sie wie ihr Freund in der Lage gewesen, ihr Handeln willensmäßig zu steuern. Eine lebenslange Strafe sprach das Gericht nicht aus, weil "die reinste Form einer Unterlassungstat" vorliege. Es blieb aber im oberen Bereich des Strafrahmens von drei bis 15 Jahren. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von acht Jahren gefordert. Als strafmildernd berücksichtigte das Gericht die Geständnisse und die Reue der Angeklagten, den Rettungsversuch und die besondere Schwere der Haft für die jungen Täter, die mit dem Makel der Kindsmörder behaftet seien. Das Verhalten des Schweriner Jugendamtes, dem im Zusammenhang mit dem Fall heftige Vorwürfe gemacht wurden, berücksichtigte das Gericht nicht. Der zuständige Sozialdezernent wurde versetzt. Untersuchungsausschuss im Landtag??? Bei einem Besuch der Familie nach einem anonymen Hinweis wenige Wochen vor Lea-Sophies Tod hatten sich Jugendamtsmitarbeiter mit dem Anblick des wohl genährten Justin zufrieden gegeben. Bis zum 30. September 2007 sei es Lea-Sophie sei es Lea-Sophie gut gegangen, sagte Richter Piepel. Ab dem 1. Oktober habe es keine Hinweise auf eine Gefährdung des Kindeswohls gegeben. Im übrigen seien in erster Linie die Eltern für das Wohl ihres Kindes verantwortlich - "auch wenn man in den vergangenen Wochen den Eindruck haben konnte, das Jugendamt sitze auf der Anklagebank", wie der Richter sagte. Eine Revision des Urteils ist möglich.

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