Immer noch fremd: „Ausgerechnet Albanien“

Wer nach Albanien fährt, erlebt – neben großartiger Landschaft – eine Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit, die es anderswo schon längst nicht mehr gibt.

Auf dem Skanderbeg-Platz in Tirana Bild: M-S. Unger

Türkisblaues Meer, ein weiter Kieselstrand, zwei Touristen aus Süddeutschland vor einem Wohnmobil, eine Flasche Wein, und das ganze getaucht in die lieblich-weiche Lichtstimmung kurz nach Sonnenuntergang.

Reiseführer: Volker Grundmann: "Albanien Reisehandbuch". Unterwegs Verlag, Juli 2008, 240 Seiten, www.unterwegs.de

Renate Ndarurinze: "Albanien entdecken - Auf den Spuren Skanderbegs". Trescher Verlag, 2. Auflage 2008

Literatur: Christine von Kohl: "Albanien". Verlag C. H. Beck, 2. Auflage 2003

"Sprache Albanisch - Wort für Wort Kauderwelsch". Band 65, Reise Know-How Verlag

Karte: Albanien 1:220.000, Reise Know-How Verlag

Onlineforum: www.albanien.ch Benötigte Dokumente: Reisepass, der noch mindestens 6 Monate gültig ist, Grüne Versicherungskarte für Kfz, internationale Reisekrankenversicherung

Nichts Besonderes eigentlich.

Doch wir befinden uns an der Südküste, im kleinen Küstenort Dhermi an der „Albanischen Riviera“, in einem Land also, das bislang nicht als klassisches Reiseziel aufgefallen ist.

„Ausgerechnet Albanien“ war auch die erste Reaktion der Freunde daheim, als sie von den Reiseplänen erfuhren. Ausgerechnet in dieses Land, über das eine Menge Vorurteile und Halbwahrheiten existieren.

Bei Albanien denken die meisten Mitteleuropäer nach wie vor vor allem an Kriminalität, Drogenschmuggel und Blutrache. Tatsächlich ist die Gefährdungslage für Individualreisende im europäischen Durchschnitt nicht höher als in anderen osteuropäischen Ländern. Doch wer sich auf das unbekannte Balkanland einlässt, erlebt nicht nur eine grandiose Landschaft, sondern auch eine Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit, die in Europa längst nicht mehr selbstverständlich ist.

Der kleine skurril anmutende Ort Dhermi liegt unterhalb des imposanten Llogarapasses und ist nur über eine kleine holprige Straße zu erreichen. Dem Besucher bietet sich zunächst einmal der Anblick von verfallenen Hotelbauten vergangener Jahre und den typischen kleinen Betonkuppeln aus der Zeit des paranoiden Diktators Enver Hoxha, der aus Angst vor einer Invasion durch seine zahlreichen Feinde das halbe Land mit Zwei-Mann-Bunkern befestigen ließ. Unverwüstlich und daher auch nur schwer zu beseitigen, prägen sie nicht nur hier in Dhermi das Erscheinungsbild des Landes.

Wer sich von aufgerissenen Straßen und den mahnenden Betonrelikten der sozialistischen Epoche nicht abschrecken lässt, entdeckt schnell den Reiz dieser kleinen Strandsiedlung, die vor allem unter albanischen und zunehmend europäischen Jugendlichen sehr beliebt ist - kleine Herbergen mit dazugehörender Pizzeria direkt oberhalb des sauberen Kieselstrandes bieten nahezu perfektes Urlaubsfeeling. In der Hauptsaison sorgen Freiluftdiscos für die unvermeidbare Rundumbeschallung des sonst eher beschaulichen Ortes.

Zumeist gelangt der vorsichtige Westeuropäer allerdings erst mal auf einer Art Schnuppertrip mit der Fähre aus der Touristenhochburg Korfu für einen Tag ins Land der Skipetaren. Er landet im für albanische Verhältnisse mondänen Sarande - einer ziemlich aufgeräumten und touristisch gut erschlossenen Stadt im Süden des Landes. Hier sorgen Palmen, preiswerte und saubere Hotels mit Seeblick sowie mediterrane Küche für ein wohliges Urlaubsgefühl, ideal, um dem ängstlichen Besucher aus Europa die Angst vor „dem Albaner“ zu nehmen.

Unterwegs Bild: M-S. Unger

Ein Ausflug in die Ausgrabungsstätte Butrint rundet den Tagestrip kulturell ab und sorgt für einen gelungenen Einstieg in ein Land, das den meisten Menschen immer noch fremd ist.

Die touristische Zukunft Albaniens liegt jedoch nicht in den Tagestouristen aus Korfu, sondern in der Entwicklung eines stabilen längerfristigen Tourismus für das ganze Land. So gibt es in Albanien nicht nur die Strände und Ortschaften der ca. 130 Kilometer langen Südküste zu entdecken, sondern auch grandiose Berglandschaften in den albanischen Alpen und eine dynamische und im wahrsten Wortsinne bunte Hauptstadt Tirana mit einem ebenso bunten Nachtleben.

Seit einigen Jahren entdecken immer mehr Touristen aus West- und Mitteleuropa das kleine Land auf dem Balkan als Urlaubsregion. Neben organisierten Busreisen bieten sich vor allem den motorisierten Individalreisenden unzählige Möglichkeiten für Endeckungsreisen - ohne dass diese befürchten müssen, ausgeraubt oder gar Opfer eines Autodiebstahles zu werden. Die größten Gefahren lauern derzeit eher im Straßenverkehr. Der Zustand einiger Straßen sowie der ambitionierte Fahrstil der Einheimischen könnten am Ende doch dafür sorgen, dass man ohne seinen geliebten fahrbaren Untersatz nach Hause reist. Da viele Albaner Englisch, Italienisch oder manchmal sogar Deutsch sprechen, dürfte die Verständigung kein größeres Problem darstellen. Besonders zu achten ist hierbei auf Offenheit und vor allem Respekt gegenüber der einheimischen Bevölkerung.

Wegen der vor allem abseits der Hauptstrecken immer noch recht schlechten Straßenverhältnisse sollten Reisende ausreichend Zeit für den Albanien-Trip einplanen. Zeit, die man sich in diesem Land aber ohnehin stets nehmen sollte - allein schon, um den am Wegesrand stehenden Schafhirten freundlich um ein Foto zu bitten. Schon ein altes albanisches Sprichwort sagt „Einer, der sich immer beeilt, kommt ständig zu spät.“

Seit ein paar Jahren werden enorme Summen in den Ausbau des Straßennetzes gesteckt und die Reisezeiten innerhalb des Landes damit erheblich verkürzt. Die aktuelle albanische Regierung unter Sali Berisha möchte das Land zumindestens infrastrukturell fit machen für den angestrebten EU-Beitritt im Jahr 2015. Ob das jedoch nur durch gute Straßen zu erreichen sein wird, ist zweifelhaft.

Fehlende Rechtssicherheit und ungeklärte Eigentumsverhältnisse bremsen die touristische Entwicklung enorm. Die zahlreichen nicht vollendeten Hotelneubauten zeugen von den erheblichen Problemen, die den Ausbau der Infrastruktur behindern. Zudem fehlen in touristischen Zentren wie Tirana oder Sarande oftmals die konkreten Anlaufstationen für ausländische Touristen.

Einer von unzähligen Zweimannbunkern Bild: M-S. Unger

So bleibt Albanien wohl auch noch eine ganze Weile eher ein Ziel für Individualtouristen mit einem Hang fürs Außergewöhnliche. Für Menschen, denen Originalität und Herzlichkeit wichtiger sind als Postkartenidylle und durchorganisierter Massentourismus.

So wie für die illustre Herrenrunde aus Hannover, die mit dem Fahrrad die komplette albanische Südküste bewältigt hat. Gekommen, um „das Unbekannte zu entdecken“, waren sie wie die meisten Touristen von der Kontaktfreudigkeit und Hilfsbereitschaft begeistert, mit der Reisende empfangen werden.

So findet man als Tourist in Albanien zurzeit noch genau das, was man anderswo meist vergeblich sucht. In den touristisch teilweise bis zur Unkenntlichkeit erschlossenen Destinationen des Mittelmeerraumes hat oftmals der Massentourismus mit seinen negativen Auswirkungen den ursprünglichen Charakter der jeweiligen Regionen zerstört, also genau das, was den eigentlichen Reiz dieser Länder einmal ausgemacht hat. Dass dieses Schicksal eines Tages auch mal Albanien ereilen könnte, ist angesichts der momentanen Bauwut leider nicht auszuschließen. Umso lohnender erscheint daher ein Besuch des kleinen Balkanlandes zum gegenwärtigen Zeitpunkt.

Vermutlich werden Ihre Freunde auch besorgt, aber auch etwas neidisch sagen: „ ausgerechnet Albanien!“

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