Kolumne Unser Mann in Roskilde: Im Jahr des Schnurrbarts

In Roskilde sehen die Mädchen alle aus wie die Sängerin der Ting Tangs, und man glaubt, Dänisch verstehen zu können. Nach Radiohead ist nur noch Tiefschlaf möglich.

Wenn ich am Donnerstag geschrieben habe, dass Festivalbesucher überall gleich aussehen, muss heute und mit Nachdruck hinzugefügt werden, dass das so nicht ganz stimmt. Verglichen mit den deutschen Großfestivals Rock am Ring/Rock im Park oder Hurricane/Southside, ist meine gestrige Aussage gegenüber den Leuten in Roskilde dann doch etwas ungerecht. Bei Rock am Ring zum Beispiel beschränkt sich Modebewusstsein ja eh nur auf Wanderstiefel, T-Shirts mit Anweisungen, wo im Falle einer Ohnmacht Bier einzuführen sei, und genauso lustigen, quietschbunten Hüten. Hier in Dänemark ist alles viel, sagen wir mal, modischer. Oder stylischer.

Die Mädchen, traditionell eh hipper gekleidet als männliche Festivalbesucher, laufen herum wie die Sängerin der Ting Tings (die am Samstag zur Unzeit um 12.30 spielen). Viele der Jungs sehen aus, als seien aus einem MGMT-Promofoto hinausgefallen. Sie tragen Röhrenjeans, dazu ein kariertes Hemd oder ein schlichtes T-Shirt. Dem Schnurrbart, der heuer sehr angesagt ist (irgendwann im Frühjahr vernahm man aus Paris den Ruf, 2008 sei "l'année de la moustache") begegnet man hier an jeder Ecke. In Deutschland ist der Schnurrbart nicht mal im Straßenbild der großen Städten so richtig vertreten.

Weil es mein erstes Mal hier ist, komme ich aus dem Staunen nicht heraus. Alles, was einem Leute, die schon mal hier waren, mit einem irren Funkeln in den Augen erzählt haben, ist wahr: Dieses Festival ist tatsächlich un-glaub-lich. Das Line-Up! Das Gelände! Diese ganze Logistik! Ich als Nicht-Logistiker habe zwar wenig Ahnung von den Anforderungen, die so ein Rockfestival an die Experten stellt, aber wenn ich mir das hier so anschaue: hunderttausend Menschen, sieben Bühnen, unzählige Imbissbuden, all die Toiletten. Bestimmt kein Pappenstiel, das logistisch auf die Reihe zu bekommen. Und dass das alles so rund läuft hier, äh, also - was ich eigentlich nur sagen will: ich bin echt beeindruckt.

An jeder Ecke stehen Freiwillige in orangefarbenen Westen. Sie schauen so freundlich, dass man sich nicht scheuen würde, sie anzusprechen, hätte man eine Frage. Wenn die Freiwilligen von sich aus auf die Idee kommen, einen anzusprechen, tun sie das auf Dänisch. Das Lustige daran ist, dass man erst glaubt, sie verstanden zu haben, weil viele Wörter so ähnlich klingen wie im Deutschen oder Englischen. Dann setzt man zur Antwort an, holt schon Luft, merkt aber: Ich hab doch nichts kapiert, ist ratlos, schaut dem Freiwilligen ins Gesicht - doch der grinst schon und schaltet auf Englisch um.

Gestern Abend übrigens: Radiohead gesehen. Fast geweint. Im Vergleich zum schon großartigen Auftritt beim Hurricane Festival vor zwei Wochen war DAS gestern ein Konzert für die Ewigkeit. Genaueres wird man später wahrscheinlich im Kultur-Teil nachlesen können. Doch einen zweistündigen Auftritt mit "Karma Police" als letzten Song hatte ich nicht erwartet. Ich ging danach sofort schlafen. Der Tag hätte nichts mehr bringen können, was mich in irgendeiner Art und Weise so hätte berühren können wie diese unglaubliche Band.

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