Ausstellung zu 3000 Jahre babylonischer Geschichte: Die Hure Babylon

Die Ausstellung "Babylon. Mythos und Wahrheit" im Pergamonmuseum zu Berlin dringt nur sehr bedingt zur Wahrheit vor. Sie unterschlägt die weiblichen Rollen.

Schon wieder die bekannte Männer-machen-Geschichte-Saga. Diesmal im Breitwandcolor-Format im Pergamonmuseum Berlin. Bild: dpa

Tritt man durch das Ischtartor, eines der Stadttore Babylons, erkennt man am Ende der auf es zulaufenden Prozessionsstraße die über zwei Meter hohe Figur von Marduk. Das Modell des US-amerikanischen Künstlers Robert Reynolds zeigt das Oberhaupt des babylonischen Pantheons in Form von Muschchuschu. Diese Kreatur hat einen gehörnten Schlangenkopf mit gespaltener Zunge, seine Vorderbeine sind die eines Löwen, seine Hinterbeine die Klauen eines Adlers. Im alten Babylon galt er als so furchterregend, dass sein Name kaum jemals ausgesprochen wurde. Er war Baal, der "Herr der vier Weltgegenden". Und er ist auch Herr über die in ihrer umfassenden Anlage beispiellosen Ausstellung "Babylon, Mythos und Wahrheit", die am vergangenen Donnerstag im Berliner Pergamonmuseum eröffnet wurde.

"Wir sind nicht Politiker, wir sind Archäologen", antwortete Beate Salje, Direktorin des Vorderasiatischen Museums, als einzige Frau auf dem Podium bei der Pressekonferenz des Museums, auf die Frage nach der politischen Botschaft der Ausstellung. Doch damit ist die Frage nach den Kriterien, die die Auswahl der Beiträge und Exponate der Präsentation leiteten, keineswegs vom Tisch. Gerade weil sich die Ausstellung etwas naiv damit brüstet, "den Mythos Babel und die Wahrheit um das antike Babylon" aufzudecken, wie ihr Titel besagt, möchte man wissen, wie es sich mit dieser Wahrheit verhält. Wie werden zum Beispiel die Machtverhältnisse in Babylonien analysiert, etwa die Stellung der Frau?

Die überaus sehenswerte Ausstellung, die schon im Pariser Louvre zu sehen war und weiter nach London ans British Museum wandert, zeigt einen faszinierenden Überblick über 3.000 Jahre babylonischer Geschichte, wobei sie auch die europäischen Legenden zu Babylon rekapituliert. Mehr als 800 Exponate, darunter Skulpturen, Reliefs, Architekturfragmente und Schriftstücke belegen, dass die Liste der Errungenschaften der Babylonier lang ist. Wir verdanken ihnen den Kalender, die Uhr und Fortschritte in der Medizin. 3.400 Jahre v. Chr. erfanden sie die Schrift. In Babylonien entstanden die ersten Städte mit ihren berühmten, Zikkurat genannten Tempeltürmen. Die Vielzahl der gezeigten Objekte vermittelt einen lebhaften Eindruck vom religiösen und kulturellen Leben, von den Märkten und vom grenzüberschreitenden Handel, von Ackerbaumethoden oder der Verwaltungsstruktur wie vom Alltagsleben überhaupt.

"Der ewige Samen des Königs" lautet der Titel über dem ersten Ausstellungsraum und lässt gleich zu Beginn keinen Zweifel an den hierarischen Strukturen des antiken Babylon - oder auch an den Annahmen, die die Ausstellung diesbezüglich hegt. Ausschließlich den Königen gewidmet, trifft man hier auf man auf Ur-Nammu aus dem 22. Jahrhundert v. Chr. oder Hammurabi, der im 18. Jahrhundert v. Chr. regierte, und schließlich auf Alexander den Großen. Stelen dokumentieren ihre Siege, alle haben sie ihre Zepter bei sich und natürlich ihre Waffen.

Und wo sind die Frauen? Ist alles, was sich dazu finden lässt, tatsächlich nur ein Brief in Form einer keilförmigen Schrifttafel, der im nächsten Raum den Transport einer Prinzessin vom Haus ihres Vaters zu dem ihres Schwiegervaters bezeugt? Warum ist nicht wenigstens Königin Kubaba, die im 25. Jahrhundert eine eigene Dynastie gründete, der Erwähnung wert?

Doch nach den Königen sind erst einmal Modelle von Türmen, Tempelanlagen und anderen städtischen Bauten zu sehen. Alles ist das Werk der Könige, der "Städtebauer". In der Zeit Hammurabis war Babylon zunächst die Stadt Marduks, bis er am Ende des 2. Jahrtausends vor Christus schließlich in sämtlichen Städten, die unter babylonische Herrschaft gerieten, göttliches Oberhaupt war. Leider wird an keiner Stelle erwähnt, welche Götter er verdrängte und ersetzte. Auch das Königreich Kisch bleibt außen vor, dessen Herrscher sich im 3. Jahrtausend noch immer als Gatten der Göttin Innana, also der späteren Ischtar bezeichneten, zu einer Zeit, als in Babylonien der männliche Götterhimmel fest installiert war.

Stark anzunehmen, dass sich der weibliche Ausschluss aus dem Götterhimmel, als die alten Göttinnen zwischen dem 2. und dem 3. Jahrtausend vornehmlich durch die Götter des Sturms, der Blitzes und des Donners verdrängt wurden, auch im Alltagsleben der Menschen auswirkte. Immerhin weiß man, dass der als Sozialreformer bekannte König Urukagina um 2350 mehrere Edikte zur Rolle der Frauen erließ, etwa wie sie mit Männern sprechen sollten oder zur Frage ihrer Wiederverheiratung. Obwohl die maßgebliche Rolle unbestritten ist, die die Ausgestaltung der Geschlechterordnung für die Form und die Entwicklung einer Gesellschaft spielt, widmet ihr der Ausstellungsraum zur Gesetzgebung in Babylon keinerlei Aufmerksamkeit. Der Codex Hamurabi etwa hatte in dieser Hinsicht nachhaltige Wirkungen. Durch die Regelung der Abtreibung und Geburtenkontrolle stellte er die weibliche Sexualität unter staatliche Kontrolle. Von der Sitte, dass die heiratsfähigen Frauen an den Ehemann verkauft wurden, waren selbst Frauen von Status und Herkommen nicht ausgenommen. 1250 v. Chr. gab das mittelassyrische Recht dem Staat schließlich das Aufsichtsrecht über die Verschleierung der Frauen in der Öffentlichkeit.

Doch von alldem erfährt man nichts. Und so wundert es dann nicht, dass Inanna oder Ischtar, die immerhin dem Tor den Namen gab, das die Ausstellung eröffnet, in einer Seitennische zu findet ist - ohne jeden Hinweis auf ihre Rolle und Bedeutung, ohne die Erwähnung etwa des Rituals der hieros gamos, der heiligen Hochzeit, in der sich die Göttin mit dem König vermählte und ihm dadurch Macht verlieh. Dieses Ritual sieht nun eine Reihe von Wissenschaftlern mit überzeugenden Argumenten in kleinen Reliefs wiedergegeben, die den Sexualakt darstellen. In der Ausstellung freilich sind diese Reliefs, selbstverständlich ohne jede Erwähnung dieser Interpretation, in der Abteilung "Alltagsleben" zu sehen.

Doch dann kommt plötzlich der Punkt im Rundgang, an dem man sich vor Frauen nicht mehr retten kann. Nun geht es um den "Mythos Babel" und wie ihn die Bibel, Augustinus oder Martin Luther erzählen oder die Künstler darstellen, bis in die Gegenwart. Wir sind in der Ära des Christentums, in dem Babel fortan das Böse symbolisiert. Babel ist die Verkörperung der Mächte des Chaos. Es ist die Kehrseite von Humanität und Zivilisation, das Andere, die Hure Babylon.

Innana/Ischtars Bedeutung blieb auch, nachdem Marduk ihre einstige Stellung unter den Göttern usurpiert hatte, bestehen. In ihr zeigte sich das Leben in all seinen Widersprüchen. Sie verkörperte Hilfsbereitschaft ebenso wie Blutrünstigkeit, Mut ebenso wie Furcht, Mitgefühl wie Zorn und unversöhnlichen Hass, dazu die ungebundene Sexualität und sprengte damit die herkömmlichen Geschlechterrollen. Sie galt als grausam, aber auch als ruhm- und erfindungsreich, als Modell für Ungehorsam und Unabhängigkeit. Von der sumerischen Prinzessin, Priesterin und Dichterin in Ur, Enheduanna, die ihre jahrhundertelang kanonischen Tempelhymnen mit ihrem Namen kennzeichnete und zwar an den Stellen, an denen gewöhnlich der Name des Herrschers stand, stammt ein ebenso leidenschaftlicher wie vergeblicher Aufruf, Innana wieder als Oberhaupt des Götterhimmels einzusetzen.

Ist die Erinnerung an diese Geschichte eines frühen weiblichen Selbstbewusstseins, das den welthistorisch ersten bekannten Anspruch auf Autorenschaft erhebt, womöglich so mächtig, dass sie noch den europäischen Mythos Babylon speist, dessen Obsession, Babel in der Gestalt der Frau zu symbolisieren, ja Bände spricht? Auch hinsichtlich "Babel jetzt", einer Filmdokumentation aus dem heutigen Babel, das sich am Ende der Ausstellung findet. Hier schließlich erhebt sich wieder eine weibliche Stimme. Iman A. Khafaji, Direktorin des Babel Center for Womens Rights, gibt zu bedenken, dass die Menschen im antiken Babylon die Göttin Ischtar über den männlichen Gott stellten aufgrund ihrer Heiligkeit, die sie ihr fraglos zubilligten. Und sie schließt daran die Hoffnung an, dass die Frauen im Gebiet des einstigen Babylonien wieder respektiert und ihre Rechte auf Selbstbestimmung garantiert werden. Nirgendwo ist dieses Schlusswort mehr fehl am Platz als im Pergamonmuseum in Berlin. Am Ende einer Ausstellung, der nicht einmal der erste namentlich bekannte, in Ich-Form schreibende Autor eine Erwähnung wert ist, weil er Enheduanna heißt und eine Autorin ist.

"Babel jetzt" verbindet die Ausstellung mit der aktuellen politischen Agenda, der Stationierung westlicher Truppen im Irak und in Afghanistan, die durch das Argument einer Stärkung und Verteidigung der Rechte der Frauen auf Bildung oder politische Mitsprache legitimiert wird. Leere Worte. Sonst könnte nicht eine verschnarchte Archäologie mit der bis zum Überdruss bekannten Männer-machen-Geschichte-Saga über die Vor- und Frühgeschichte ihres Kulturraums aufwarten. Denn was wäre hilfreicher für die betroffenen Frauen - wie für ihre Männer - als der Zugang zu Zeugnissen auch weiblicher Größe, zu Zeugnissen überhaupt weiblicher Anwesenheit? Was wäre hilfreicher als wahre Wissenschaft?

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