Vor dem Spiel Russland-Schweden: Wo bleibt der große Wurf?

Schwedens Trainer Lagerbäck wird kritisiert, den Nachwuchs zu vernachlässigen. Das älteste Team der EM hofft dennoch auf den Einzug ins Viertelfinale.

Als Schweden die Qualifikation für die EM nicht mehr zu nehmen war, das besagt die Legende, ließ Lars Lagerbäck seine Fassade fallen. In einem Nachtlokal Stockholms stand er auf, lachte und stimmte ein Lied an. Seine Spieler schauten sich überrascht an, sie kannten ihn als Grübler, ruhig, zurückhaltend, unscheinbar. Diese Szene hatte einen symbolischen Wert. Seit 1990 ist Lagerbäck als Trainer im schwedischen Fußballverband tätig, im Nachwuchs, als Assistent des A-Nationalteams, seit 2004 als alleiniger Chef. Keiner der EM-Trainer ist länger im Amt. Lagerbäck ist ein Mann der Öffentlichkeit - und doch glauben die Schweden, wenig von ihrem Vorturner zu wissen. Lagerbäck, der bekannte Unbekannte.

Vermutlich ist das einer der Gründe, warum sich seine Beliebtheit noch immer in Grenzen hält. Trotz seines Erfolges. Fünf Mal in Serie ist er mit den Schweden zu den großen Turnieren gereist, zu WM und EM, dreimal hintereinander haben sie die Vorrunde überstanden. Doch für den großen Wurf hat es nicht gereicht. Zumeist hatte sein Team die Qualifikation souverän geschafft, kam aber auf der großen Bühne nicht über das gehobene Mittelmaß hinaus. Beispielhaft das Scheitern im Achtelfinale der WM 2002 gegen den Außenseiter Senegal, das sich im Langzeitgedächtnis des schwedischen Fußballs eingebrannt hat. Die Fans sehnen sich nach einem Triumph der Neuzeit, der es mit dem dritten Platz der WM 1994 aufnehmen kann. Viele Chancen wird der 59-jährige Lagerbäck nicht mehr erhalten - vielleicht ist diese EM seine letzte.

"Ich werde sicherlich weiter im Fußball arbeiten, ob als schwedischer Nationaltrainer oder bei einem Klub", hatte er Monate vor dem Turnier gesagt. "Aber ich denke, dass weder ich noch der Verband an einer Zusammenarbeit nach 2008 interessiert sind." Die entscheidende Frage: Welche seiner Leistungen werden den Abschied überdauern? Schweden ist mit der ältesten Mannschaft angetreten, zehn Spieler sind über dreißig. Das ist nichts Verwerfliches, doch am Horizont lauern kaum Talente, und so ist Lagerbäck wieder auf seine ewigen Leitfiguren angewiesen, auf Jahrhundertspieler Henrik Larsson (36), auf Kapitän Fredrik Ljungberg (31) oder Olof Mellberg (30.). Ihr Zenit liegt drei, vier Jahre zurück, vielleicht länger. Der Jüngste im Kader: Mittelfeldspieler Sebastian Larsson, 23, von Birmingham City.

Der schwedische Verband, aber auch Lagerbäck, werden in der Heimat dafür kritisiert, dass in den vergangenen Jahren zu wenig in den Nachwuchs investiert worden ist. Gleichzeitig haben die Turniere der Seniorengruppe die Erwartungen steigen lassen, die künftig kaum erfüllt werden dürften. "Die Fans würden sicher gern einen Schritt nach vorne sehen", sagt Markus Rosenberg. Der Stürmer des SV Werder Bremen, 25, ist einer der Jüngeren - am elf Jahre älteren Larsson kommt er trotzdem nicht vorbei. Lagerbäck ist ein Freund des Bewährten, kein Anhänger der Revolution. Zurzeit sind ihm die Medien wohlgesinnt, die Mannschaft liegt im Soll, 2:0 gegen Griechenland, knapp verloren gegen Spanien (1:2), sie pflegt ihre Tradition, spielt geduldig, mit Ordnungsliebe und Gemeinschaftssinn. Doch die Stimmung könnte sich nach einer Niederlage im Vorrundenfinale gegen Russland und dem Ausscheiden aus der EM in Innsbruck (heute, 20.45 Uhr) schlagartig drehen. Wieder würde Lagerbäck mit Vorwürfen konfrontiert werden, die er sich seit Jahren anhören muss. Seine Offensive sei arm an Inspiration, seine Abwehr zu anfällig, sein Star, Stürmer Zlatan Ibrahimovic, zweimal erfolgreich bei dieser EM, denke nur an sich, überhaupt sei seine Auswahl in Grüppchen zersplittert.

Vielleicht würde der Boulevard wieder Umfragen starten, in der sich die Mehrheit gegen ihn ausspricht, und vielleicht würde er in seiner Vergangenheit bohren. Lagerbäck war als Spieler und Trainer mit seinen Vereinen nie über die unteren Klassen hinausgekommen. Womöglich würden Sponsoren erneut mäkeln, Lagerbäck sei emotionslos und bieder. Noch ist es nicht so weit, zwischen Grundsatzdebatte und landesweitem Jubel liegen neunzig Minuten plus Nachspielzeit. Lagerbäck spricht nicht gern über Druck, er zieht sich lieber zurück und studiert Videos; der Sport- und Politikwissenschaftler gilt als Forscher des Details. "Ich weiß, was ich zu tun habe", sagt er, "aber das muss ich nicht immer mitteilen." Er ist der Meinung, dass seine Spieler Konflikte auch allein lösen können, manchmal verzichtet er auf die Teilnahme an Besprechungen. Lagerbäck, der Diplomat, selten bricht es aus ihm heraus. Nur manchmal fängt er an zu singen.

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