die wahrheit: Stille Post auf der Bohrinsel

Einen Tag lang glaubte sie, über hellseherische Fähigkeiten zu verfügen.

Eine 23-jährige albanische Küchenhilfe hatte geträumt, dass auf die Ölbohrinsel, auf der sie arbeitet, ein Bombenanschlag verübt werden sollte. Am nächsten Tag war es so weit.

Die Bohrinsel der Ölfirma Britannia schwimmt knapp 200 Kilometer nordöstlich von Aberdeen in der Nordsee. Nebenan, durch eine Brücke verbunden, liegt Safe Scandinavia, ein "Flotel" mit den Unterkünften und Speiseräumen des Personals. Es gehört dem norwegischen Unternehmen ProSafe.

Nachdem der Bombenalarm ausgelöst worden war, flüchtete die gesamte Belegschaft auf das Flotel. Von dort wurden die 650 Menschen mit 14 Hubschraubern, die von der Armee gestellt worden waren, aufs Festland evakuiert. Zur Sicherheit schickte das Verteidigungsministerium auch zwei Kampfflugzeuge der Royal Airforce sowie ein Militärflugzeug vom Typ E3 Sentry, eine umgebaute Boeing 707 mit moderner Kommunikationstechnologie, das während der Operation als Kommandozentrale diente.

Aus dem schottischen Kinloss kam ein Nimrod-Aufklärungsflugzeug, aus dem Stützpunkt Lossiemouth rückten zwei Sea King Rettungshubschrauber an. Die Hubschrauber der Küstenwache waren ebenfalls in Einsatzbereitschaft. Schottlands Justizminister Kenny MacAskill wurde in Edinburgh ständig auf dem Laufenden gehalten.

Nachdem die Belegschaft in Sicherheit war, durchsuchte eine Spezialeinheit der Polizei gemeinsam mit Bombenexperten der Armee die Bohrinsel, aber sie fanden nicht mal einen kleinen Knallfrosch. Am Nachmittag blies man die Operation ab, die Arbeiter konnten wieder auf ihre Insel zurückkehren.

Es war die größte Rettungsaktion, die jemals in der Nordsee stattgefunden hat. Sie kostete vier Millionen Pfund, Britannia erlitt Umsatzeinbußen von drei Millionen Pfund, weil die Produktion vorübergehend eingestellt werden musste. Kathy McGill, die Geschäftsführerin von Britannia, sagte: "Wir sind natürlich heilfroh, dass es sich um einen falschen Alarm handelte, aber wir mussten reagieren, um die Sicherheit unserer Leute zu gewährleisten." Der Zwischenfall habe jedenfalls keinen terroristischen Hintergrund. Nicol Stephen, Chef der schottischen Liberalen Demokraten, zu dessen Wahlkreis wohl auch die Bohrinsel gehört, sagte: "Unsere Anerkennung gilt allen, die an der Evakuierung beteiligt waren, weil sie so professionell und effizient durchgeführt wurde. Es ist wichtig, dass auf der Bohrinsel wieder Normalität einkehrt."

Nur für die junge Albanerin nicht. Sie wurde von der Polizei nach Aberdeen ausgeflogen, wo sie vernommen wurde. Es stellte sich heraus, dass sie ihren Kolleginnen und den Frauen der Bohrinselarbeiter von ihrem Albtraum, der vermutlich durch die fettige britische Küche ausgelöst worden war, berichtet hatte. Die erzählten ihren Männern davon. Als die Geschichte schließlich bei den Vorgesetzten landete, war nach dem Prinzip "stille Post" der Traum abhanden gekommen und ein verdächtiges Paket hinzugedichtet worden.

Die Karriere der Albanerin als Wahrsagerin war vorbei, bevor sie richtig begonnen hatte. Sie muss weiterhin auf dem Flotel Kartoffeln schälen.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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