Debatte Hillary Clinton: Notfalls eine Vernunftehe

Hillary Clinton hat den rechten Zeitpunkt zum Rückzug verpasst - und verwandelt sich immer mehr in die Karikatur ihrer selbst. Helfen kann ihr wohl nur noch Barack Obama.

Hillary Clinton hat es offenbar inzwischen selbst erkannt: Eine Chance aufs Präsidentenamt hat sie nur dann noch, wenn Konkurrent Barack Obama sich in Luft auflöst. Letztes Wochenende erklärte die Kandidatin in einem Interview mit einer US-Regionalzeitung, warum sie immer noch weiter wahlkämpfe: Schließlich sei Robert F. Kennedy, der jüngere Bruder John F.s, im Juni seiner erfolgreichen Wahlkampagne 1968 erschossen worden. Das Publikum muss also annehmen, dass Clinton auf ein Wunder hofft - und dabei auch gerne geschmacklos wird.

Immer wieder rechnet sie vor, sie habe die meisten Wählerstimmen erhalten. Sie habe die größten Staaten gewonnen. Und natürlich die heikelsten "Swingstates". Und Und Und. Unterdessen haben die Medien Obama längst ungerührt zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten erklärt.

Wie kann das gehen? Wieso behauptet jemand zu gewinnen, wenn es faktisch nicht mehr möglich ist? Offenbar gibt es niemanden, der offen mit Hillary Clinton über ihre realen Chancen spricht. Sie selbst hat angedroht, möglicherweise bis zum Parteitag im August weiterkämpfen zu wollen.

Nicht einmal um den Anschein von Stringenz bemüht, erfindet Clinton ständig neue Rechenmodelle und Argumentationen, sogar entgegen den vorher von ihr selbst anerkannten Parteistatuten. Alle Mittel sind ihr recht, um jeweils zu begründen, wer "eigentlich" gewinnen müsste. Erst rechnete sie Obama vor, dass die gesammelten Delegiertenstimmen das allein entscheidende Kriterium seien. Kaum hatte Obama sie darin überholt, erklärte Clinton, dass das einzig Aussagekräftige die abgegebenen Stimmen seien - und davon habe sie mehr. Egal, dass die abgegebenen Wählerstimmen laut dem Vorwahlregelwerk gar nicht zählen. Ein Vorbild für ambitionierte Frauen ist die Politikerin damit nicht mehr. Längst wirkt sie wie eine Karikatur einer einzig auf ihre Selbstverwirklichung fixierten Frau.

Warum ist das alles besorgniserregend, wo doch Obama mit Sicherheit der Kandidat der Demokraten sein wird? Weil Hillary trotz allem echte Fans hat. Das sind zahllose Graswurzelorganisationen und Frauengruppen, die sie trotz aller Pleiten, Pech und Pannen mit Verve unterstützen. Mit Hillary eint sie der Anspruch an die historische Verfügbarkeit des Chefsessels für eine Frau. Ihre Unterstützer sind zudem wütend über die Art und Weise, wie mit ihrer Kandidatin umgegangen wurde. Dabei verweisen sie auf die zahlreichen Zoten zu Hillarys Hosen und Haaren. Die, das ist leider wahr, waren schlicht unterirdisch. Aber so empörend das Männergelästere auch ist - es war nicht die Genderfrage, die diese Politikerin am historischen Sieg hinderte. Schuld ist ihre miserabel gemanagte Kampagne. An deren Ende aber bleibt im Hillary-Land nicht das schöne Gefühl, endlich einen Kandidaten gefunden zu haben. Sondern die Überzeugung, hintergangen worden zu sein.

Diese Verbitterung könnte Obama im Herbst teuer zu stehen kommen. Die Demokraten haben daher allen Grund, sich über Hillarys klägliche Selbstdarstellung die Haare zu raufen. Wenn es der einstigen Hoffnungsträgerin nicht gelingen sollte, noch einen halbwegs würdigen Exit hinzubekommen, fürchten sie zu Recht Schlimmes.

Warum es eine große Rolle spielt, wie die Verliererin verliert, liegt daran, dass Hillary für die Demokraten nach wie vor noch ein paar Joker im Ärmel hat. Bereits die ersten Vorwahlergebnisse haben es deutlich gezeigt: Hillary spricht mit ihrer Kämpferinnennatur Wählerschichten an, die Obama bis zum Schluss kaum erreicht hat. Dazu zählen ältere weiße Frauen, weiße Männer mittleren Alters und Menschen mit geringer Bildung und wenig qualifizierten Jobs sowie lateinamerikanische Migranten.

Mit Sicherheit wird Obama, sobald er der offizielle Kandidat ist, die Unterstützung vieler Clinton-WählerInnen bekommen. Doch in einigen heiklen "Swingstates", also Wechselwählerstaaten, könnten ihm im Kampf gegen seinen republikanischen Konkurrenten John McCain genau die Hillary-Wähler fehlen, die aus Wut zu Hause bleiben - oder, schlimmer noch, McCain wählen wollen. Gefährlich fehlen könnten Obama diese Unzufriedenen in Florida (ja, wieder einmal Florida), wo laut Umfragen McCain dramatisch weit vorne liegt. Und in den Appalachen-Staaten Pennsylvania, West Virginia und Kentucky - und Ohio, wo Clinton jüngst überall haushoch gewann.

Es ist daher an der Zeit aufzuwachen für diejenigen unter Obamas Anhängern, die immer noch dabei sind, sich über Clintons Harakiri zu freuen. Das Clinton-Bashing ist nicht nur nutzlos für ihren eigenen Kandidaten. Es beglückt im Gegenteil die republikanischen Gegner. Denn was können die Konservativen Besseres erhoffen, als dass durch die demokratische Landschaft ein tiefer emotionaler Riss geht? Ganz tief im Innern wissen die Republikaner nämlich: Sie haben nach acht Jahren lausiger Regierung bei dieser Präsidentschaftswahl gegen die Liberalen keine Chance. Es sei denn, ein Wunder passierte, ein abscheuliches.

Puristen im Obama-Lager sollten sich daher besser heute schon auf das bis dahin Undenkbare einstellen: Um die Spaltung zu vermeiden, könnte sich ihr Kandidat - der ja für Einigkeit im Lande wirbt - bald gezwungen sehen, seiner Rivalin die Vizepräsidentschaft anzubieten (und hofft dabei, dass sie nicht annimmt). Es wäre nicht die erste Vernunftehe im Wahlkampf und sicher nicht die unvernünftigste. Käme es zu dem "Dreamticket", was sich viele Wähler eh wünschen, wäre es nicht überraschend, wenn Hillary mit ebensolcher Entschlossenheit für Obama kämpft, wie sie zuvor gegen ihn agitierte. Sie hat es in den letzten beiden Wochen immer wieder versprochen. Und bislang hat Hillary immer genau das getan, was sie versprochen hat - und ihr Gerede von gestern hat sie bisher wenigstens stets wenig gekümmert.

Schlimmer als die Vorstellung, auch in Zukunft die Clintons an den Hacken zu haben, kann für Obama eigentlich nur noch die Vision sein, das Weiße Haus wegen ein paar tausend unversöhnlicher weißer Wähler zu verpassen. Der Partei ist eine zukünftige konstruktive Rolle für Hillary Clinton allemal lieb. Denn die Partei will nur eins: gewinnen, und zwar "big" und damit das Oval Office zurückerobern sowie den Kongress bequem dominieren. Sollten die Demokraten aus ungelöstem inneren Zwist heraus ihren nahezu sicheren Sieg vermasseln, würde Barack Obama nicht nur den Titel als erster schwarzer Präsident verpassen. Er wäre zugleich noch der größte Flopp der Demokraten.

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