Arte-Dokumentarfilm "Konspirantinnen": Polnische Jeanne d`Arc steht Pate

Paul Meyers Generationenporträt "Konspirantinnen" über polnische Frauen im Widerstand entreißt den nationalpolnischen Aufstand von 1944 dem Vergessen.

Meldegängerin verschwindet in Erdtunnel, Warschau 1943. Bild: NDR

Es gab zwei Warschauer Aufstände gegen die Nazi-Besatzung in Polen: den Warschauer Ghettoaufstand (19. 4. bis 16. 5. 1943), den die "Jüdische Kampforganisation" führte, um die Deportation der letzten 60.000 im Ghetto verbliebenen Juden nach Theresienstadt zu verhindern; und den nationalpolnischen Aufstand (1. 8. bis 2. 10. 1944), den die "Armia Krajowa" (die "Armee in der Heimat") führte, um durch einen Akt der Selbstbefreiung die Ansprüche auf eine unabhängige Staats- und Gesellschaftsordnung Polens in der Nachkriegszeit zu demonstrieren. Obwohl der nationalpolnische Aufstand der größte Aufstand des Zweiten Weltkriegs war und 200.000 Tote forderte (darunter 8.000 Besatzer), ist er in Deutschland fast unbekannt.

Zum 50. Jahrestag des Aufstands am 1. August 1944 löste Roman Herzog eine diplomatische Krise aus, als er dem polnischen Staatspräsidenten zum Ghettoaufstand kondolierte und sich für den Holocaust an den Juden entschuldigte. Warum diese Fokussierung allein auf das Ghetto? Woher diese Ignoranz gegenüber dem polnischen Widerstand? Wahrscheinlich ein besonders abstruser Ausdruck jener bis heute verbreiteten Haltung, die Verbrechen der Nazis auf den Judenmord zu beschränken - sonst aber alles für normal zu erklären, etwa das öffentliche Abschlachten von 150.000 polnischen Zivilisten im Aufstand.

"Konspirantinnen" von Paul Meyer entreißt diesen Aufstand dem Vergessen - und die Tatsache, dass es Frauen waren, die einen wesentlichen Anteil am zivilen wie militärischen geheimen Widerstand der Polen hatten. Gefangene Frauen, die gegen deutsche Soldaten gekämpft hatten, wurden in der Regel als "Partisaninnen" erschossen. Der britische Abgeordnete und spätere Prime Minister Anthony Eden hatte gedroht, deutschen Kriegsgefangenen den Schutz der Genfer Konvention zu entziehen, wenn die Deutschen die gefangenen Frauen nicht offiziell als Soldatinnen behandeln würden. Die Drohung zog - die Frauen kamen nach Oberlangen/Emsland ins Kriegsgefangenenlager.

"Konspirantinnen" heißt der Film, weil die Frauen als Botinnen, Spione, Kämpfer oder Bombenlegerinnen im Untergrund arbeiteten, in Zivil, mit Decknamen, Codes. Kämpfende Frauen: nicht ungewöhnlich in der polnischen Geschichte. Als historische Figur steht Emilia Plater Pate, eine litauische Adelige, die im polnischen Aufstand 1830/32 gegen die russischen Besatzer eine Schwadron anführte. Jede Stadt in Polen hat einen Emilia-Plater-Platz oder eine Plater-Straße. Wie die französische Staatsmythologie in Jeanne dArc eine Frau kennt, so die polnische in Emilia Plater.

Erhaltenswertes Historisches dem Vergessen zu entreißen, ist das eine Ende der Filmarbeit, das Dokumentarprogramm. Es in lebendig gesteigerte Gegenwärtigkeit zu verwandeln das andere Ende, das Kunstprogramm. Unter dem Bogen dieser Spannung geschieht alles "dokumentarische" Filmen. An seinem Anfang steht in jedem Film die historische Recherche. In "Konspirantinnen" sind es die polnischen kriegsgefangenen Frauen, Ende 1944 interniert in Oberlangen, 1.728 an der Zahl. Meyer hat einige ausfindig gemacht, die jüngste ist 74 Jahre alt, die älteste 99.

Er nutzt die dramaturgischen Möglichkeiten des Mediums, indem er die chronologische Erzählweise durch eine Art Moritatenstruktur ersetzt (der Film ist durchzogen von neu eingespielten Liedern des polnischen Widerstands). Filmisch geht er in einer Art "Flashback" vom Lager in Oberlangen zurück in den Aufstand selbst, in die Zeit vor dem Aufstand und sogar in die Zwischenkriegszeit. Und er kehrt am Ende ins Lager zurück, um zu zeigen, was nach dem Krieg aus den Frauen geworden ist. Dieses zeitlich verschobene Erzählen aus dem Lager heraus verankert die Einzelgeschichten in "der Geschichte", macht aus dem Film ein Generationenporträt.

Paul Meyer montiert verschiedenstes Bildmaterial. In den 20er- und 30er-Jahren hatte sich auch in Polen eine nennenswerte Foto- und Filmindustrie entwickelt. Deshalb findet man für fast alle Vorgänge Fotomaterial, man muss nur lange genug suchen.

Die Möglichkeiten der Bildproduktion wurden von den militärischen Stäben genutzt - kein Angriff, der nicht mit Hilfe fotografischer Medien geplant wurde. Die Funktionsfotografie des Widerstands läuft anders: Erstens musste man vermeiden, die Gesichter der eigenen Leute zu zeigen, um sie nicht zu verraten, wenn das Material an die Deutschen fiel. Zweitens feiern sie weniger "Siege" - sie dokumentieren die Verbrechen der Besatzer.

Daneben nutzten Besatzer wie Widerständler die Möglichkeiten des Films. Die polnischen Untergrundkämpfer stellten erfolgreiche Aktionen nach, filmten sie und verbreiteten sie als eine Art Untergrund-"Tagesschau".

In "Konspirantinnen" sind mehrere solcher "Nachinszenierungen" zu sehen. Eine eher heitere ist die Lagerbefreiung. Sie wurde einen Tag nach der tatsächlichen Befreiung der im Emsland internierten polnischen Frauen für das offizielle Kamerateam der 1. Polnischen Panzerdivision inszeniert. Viele Frauen sind frisch uniformiert (zufällig hat eine zweite Kamera die Begleitumstände der Inszenierung gefilmt). Nicht die unspektakuläre Realität, sondern dieser Bericht hat das legendäre Bild von der Befreiung durch polnische Truppen, das in ganz Polen bekannt ist, geprägt.

"Konspirantinnen", Arte, Dienstag, 20.Mai 2008, 23 Uhr

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