Kommentar sittenwidrige Löhne: Gegen das Discounter-Prinzip

Gericht bestätigt nach Klage einer KiK-Verkäuferin: In manchen Branchen sind die Löhne sittenwidrig.

Die anonyme KiK-Verkäuferin hat alles richtig gemacht. Sie hat sich gegen einen Hungerlohn gewehrt und ihren Arbeitgeber verklagt. Prompt hat ein Dortmunder Arbeitsrichter die Textildiscount-Kette mit den roten Filialen und dem süßen Pullover-Männchen im Logo verdonnert - KiK muss die sittenwidrigen Löhne mit einer happigen Nachzahlung ausgleichen.

Das erfreulich klare Urteil verschafft einem gerne übersehenen Fakt Öffentlichkeit: Ein Unternehmen, welches seinen Mitarbeitern Niedrigstlöhne bezahlt, verhält sich rechtswidrig - auch, wenn es in vielen Branchen noch keine Mindestlöhne gibt. Denn im Bürgerlichen Gesetzbuch regelt ein Paragraf, dass Löhne nicht in einem "auffälligen Missverhältnis zu der Leistung" stehen dürfen. Genau das ist aber in vielen Branchen der Fall. Ob es Zimmermädchen, Wachschützer oder Friseurinnen sind - Löhne zwischen 4 und 5 Euro sind gesellschaftliche Realität, der Niedriglohnsektor boomt.

Zynisch könnte man einwenden: Wofür braucht das Land Mindestlöhne, wenn sich doch sowieso jeder Einzelne sein Recht erkämpfen kann? Doch das Verbot von Lohnwucher entlässt den Staat keinesfalls aus der Pflicht, gegen Auswüchse der Arbeitswelt vorzugehen. Denn Lohn-Klagen wie die der KiK-Mitarbeiterin bleiben aus nachvollziehbaren Gründen Einzelfälle. Niemand, der auf seine Arbeit angewiesen ist, legt sich gerne mit seinem Chef an. Auch verfügen nur wenige Niedriglöhner über Mittel und Wissen, um auch nur im Entferntesten Waffengleichheit herstellen zu können.

Das Beispiel KiK belegt zudem: Deutschlands viel gepriesene Tarifautonomie lässt in immer mehr Branchen die Arbeitnehmer im Stich. Sie setzt auf die Stärke der Tarifparteien. Doch oft können die Gewerkschaften den Interessen der Firmenchefs nichts mehr entgegensetzen. Das Discounter-Prinzip grassiert. Wo Minijobber und Teilzeitkräfte arbeiten, der Leistungsdruck immens ist und Betriebsräte verhindert werden, geht der Organisationsgrad der Angestellten gegen null. Insofern zeigt gerade der Sieg der Mitarbeiterin, wie wichtig Mindestlöhne sind.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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