Debatte Sicherheitspolitik: Zivilmacht war gestern

Globalisierte Gefahren machen ein neues Verständnis von Sicherheitspolitik nötig. Doch die Chefstrategen der CDU verabschieden sich von demokratischen Essentials.

Zwischen dem, was das CDU-Establishment zur Wahrung unserer Sicherheit für nötig, was andererseits die große Mehrheit des deutschen Publikums für tragbar hält, klafft eine bemerkenswerte Lücke. Die Leute wollen partout nicht einsehen, warum die permanente Stationierung deutscher Soldaten am Hindukusch unserer Sicherheit gut tut oder welchen Beitrag der Einsatz der Bundeswehr auf deutschem Territorium zur terroristischen Gefahrenabwehr leisten könnte.

"Nur durch ein besseres Verständnis für die wachsenden globalen Herausforderungen und ihre sicherheitspolitischen Konsequenzen gewinnen wir in der Bevölkerung mehr Akzeptanz und Unterstützung für unsere Politik", meint Andreas Schockenhoff, CDU-Fraktionsvize, Verfasser der soeben von der Fraktion beschlossenen "Sicherheitsstrategie für Deutschland". Schockenhoffs Initiative hatte einen schlechten Start. Besonders sein Projekt eines nationalen Sicherheitsrates stieß außerhalb der CDU auf breite Ablehnung: es wurde als ein amerikanisches Import-Konstrukt verworfen, das mit der parlamentarischen Demokratie und der Gewaltenteilung schlechterdings unvereinbar sei. Passend dazu urteilte auch noch das Bundesverfassungsgericht, dass jeglicher Auslandseinsatz der Bundeswehr der Zustimmung des Parlaments bedürfe. Damit korrigierte es eine Position des CDU-Vorschlags, die genau dieses Prinzip durchlöchert hätte. Damit sind die CDU-Vorstellungen zur Sicherheit aber noch keineswegs vom Tisch. Schockenhoff lädt in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift Internationale Politik zur Debatte ein und posiert als mutiger Tabubrecher. In der Tat räumt er in der Sicherheitspolitik ein paar demokratische Grundpositionen beiseite.

Das Sicherheitspapier der CDU fordert einen "völlig neues Verständnis" der Sicherheitspolitik und postuliert dabei einen engen Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Sicherheit. Dass Sicherheit umfassend bestimmt und nur in ihrer globalen Dimension richtig verstanden werden kann, ist allerdings keine bestürzend neue Erkenntnis. Es waren und sind, beginnend mit André Gorz, gerade kritisch-demokratische Autoren, die die weltweiten, den Industriestaaten zuzurechnenden Unsicherheitsfaktoren benennen - von der zivilen wie militärischen Nutzung der Atomenergie über die drohende Umwelt- und Klimakatastrophe bis hin zu Armut und Unterentwicklung in der "Dritten Welt".

Dieser erweiterte Sicherheitsbegriff umfasst nicht nur Abrüstung und Rüstungskontrolle, sondern die Einrichtung internationaler Regime im Umweltrecht und die Reform bzw. Stärkung der UNO-Institutionen, die in die Lage versetzt werden sollen, zur Entwicklung beizutragen und präventiv Krisen entgegenzutreten. Auch und gerade bei Ländern, die wegen ihrer geschwächten Institutionen der Kriminalität und dem Bandenwesen einen günstigen Nährboden liefern, setzen die Vertreter eines kritisch-erweiterten Sicherheitsbegriffs auf die Beseitigung der Krisenursachen. Der Militäreinsatz ist das letzte Mittel und bedarf stets der Zustimmung des UN-Sicherheitsrats.

Der Sicherheitsbegriff der CDU leitet sich dagegen ausschließlich vom Terroranschlag des 11. 9. 2001 ab. Er behauptet eine durch den "internationalen Terrorismus" vollständig umgepflügte Sicherheitslage und unterschlägt jede Analyse der ökonomischen, sozialen und kulturellen Wurzeln des Terrorismus. Die Krisensymptomatik innerhalb des CDU-Papiers verfährt völlig willkürlich, sodass neben regionalen Konflikten und scheiternden Staaten - in dieser Reihenfolge - "Migration, Pandemien und Seuchen" auftreten. Zwar ist von einem komplexen Maßnahmenbündel zur Terrorismusbekämpfung die Rede. Abgehoben aber wird nur auf den militärischen Aspekt.

Das Papier sieht die Bundesrepublik als "eine der sichersten Länder der Erde" an. Aber diese Sicherheit ist stets und unmittelbar gefährdet durch die Übergriffe des internationalen Terrorismus. Weil, so die CDU-Strategen, der Terrorismus sich "bewusst international organisiert und vernetzt", sei die "bisherige Trennung von innerer und äußerer Sicherheit nicht länger aufrechtzuerhalten". Der Terrorismus wird also als international agierende Kraft angesehen, die sogar über ein einheitliches Bewusstsein verfügt. Seinen Netzwerken muss das ebenso international operierende Sicherheitsnetzwerk entgegengesetzt werden. Der argumentative Trick ist offensichtlich. Denn aus dieser behaupteten "bewussten" Terrorvernetzung folgt keineswegs, das die institutionelle Trennung zwischen den Streitkräften und den verschiedenen Agenturen der Terrorbekämpfung aufgehoben werden muss.

Das Strategiepapier verwischt systematisch den Unterschied zwischen Kriegsführung und polizeilicher Gefahrenabwehr. Es operiert mit einer Damokles-Schwert-Rhetorik, die die Zivilbevölkerung des eigenen Landes einer permanenten Kriegsfurcht unterwerfen will, kann doch Deutschland schon morgen zum Ziel terroristischer Massenvernichtung werden.

Thomas Hobbes, der Theoretiker des absoluten Sicherheitsstaates und Meisterdenker unseres Bundesinnenministers, hat die Beziehungen zwischen den Staaten als Beispiel des fortdauernden Naturzustandes gekennzeichnet, wo nur das Recht des Stärkeren gelte. Dieser Naturzustand dringt, so suggerieren die CDU-Strategen, in unsere durch das Gewaltmonopol gehegte Friedensordnung ein und zwingt uns den Kampf auf. Angesichts dieser Lage gilt es laut CDU-Sicherheitspapier, "die als Abwehrrechte gegen den Staat vorgesehenen Regelungen so anzupassen", dass sie auch in Zukunft zu einem Leben in Freiheit und Sicherheit beitragen". "Anpassen", "beitragen" - das sind elastische Formulierungen für die Geltung der Grundrechte.

Von der Vorstellung vom Naturzustand in der Staatenwelt zeugen auch jene Aussagen im Strategiepapier, die militärische Interventionen für den Fall vorsehen, dass die Energiesicherheit, die Rohstoffversorgung oder die Seehandelswege gefährdet sind. Auch schwache Staaten, von deren Boden aus terroristische Netzwerke operieren, müssen nach der Vorstellung des Strategiepapiers mit militärischen Interventionen rechnen. Von einer Legitimation durch den UNO-Sicherheitsrat ist keine Rede mehr.

"Alles Panikmache", wird uns Andreas Schockenhoff antworten. Es gehe nur darum, die Instrumente des Antiterrorkampfes aufeinander abzustimmen und sie zu effektivieren. Aber: auch ohne die Aufhebung der Trennung zwischen polizeilichen und militärischen Funktionen bliebe der Vernetzungsarbeit ein weites, schwer zu bestellendes Feld. Dieses zu beackern reicht der CDU nicht. Mit einer Neubestimmung der Eingriffsmöglichkeiten der Streitkräfte soll vielmehr endgültig mit den Flausen aufgeräumt werden, die sich bislang in der Bevölkerung so hartnäckig mit der Vorstellung einer "Zivilmacht Deutschland" verbunden haben.

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