Inflation bedroht Stabilität: Zwischen Pest und Cholera

Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Zentralbank (IZB) warnen vor den Konjunkturrisiken, aber noch mehr vor der Inflation.

Die Preisspirale ist noch ungebrochen: Die Verbraucher müssen sich weiterhin auf höhere Preise einstellen. Bild: dpa

BERLIN taz In der Theorie ist alles einfach und übersichtlich: Wenn die Konjunktur kräftig brummt, wächst die Geldmenge und es droht Inflation - und wenn nicht, dann nicht. Derzeit brummt die Konjunktur in Folge der Finanzkrise bekanntlich nicht. Erst im April hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) die Wahrscheinlichkeit einer globalen Rezession bei 25 Prozent angesetzt. Aber jetzt sieht der Währungsfonds eine noch größere Gefahr: die Inflation.

Fast überall verlangsame sich das Wachstum, klagte der stellvertretende IWF-Direktor John Lipsky jetzt in einer Rede in New York. Aber zugleich stiegen die Preise immer schneller, vor allem beim Öl und bei den Lebensmitteln. Die aktuellen Wirtschaftsnachrichten spiegeln das wider: "Indien kämpft mit starker Inflation", "Börse in Hongkong in Sorge wegen Inflation", "Islands Währungshüter warnen vor Inflation", melden die Nachrichtenagenturen in schneller Folge. In der Eurozone lag die Teuerungsrate im April bei 3,3 Prozent.

"Die Beschleunigung der Inflation könnte eine erhebliche Bedrohung für die wirtschaftliche Stabilität darstellen", sagte Lipsky. Zur Erklärung der enormen Preissteigerungen verwies er unter anderem auf China und andere Schwellenländer mit ihrem immer noch hohen und sehr rohstoffintensiven Wachstum. Zu 95 Prozent komme die zusätzliche Nachfrage nach Erdöl aus diesen Ländern. Gerade erst hat der Ölpreis mit 125 US-Dollar pro Barrel einen neuen Höchststand erreicht - doppelt so hoch wie vor einem Jahr.

Schon einmal hatte das teure Öl zu ausufernder Inflation geführt, nämlich im Gefolge der Ölkrisen der 1970er-Jahre. Während die Preise damals teilweise mit zweistelligen Raten anzogen, stagnierte die Wirtschaft. Diese Kombination wurde Stagflation getauft. Derzeit umgehen die Ökonomen das unschöne Wort. Lipsky gab sich zuversichtlich, dass Entwicklungen wie in den 1970er-Jahren verhindert werden könnten, wenn die Notenbanken die Inflation nur energisch bekämpfen. Aber das Risiko könne auch "nicht von vorneherein ausgeschlossen werden", warnt Lisky.

Bestätigt sieht sich der IWF durch die Europäische Zentralbank (EZB). Die hatte vor Pfingsten ihren Leitzins bei 4 Prozent belassen und allen Hoffnungen auf niedrigere Zinsen eine Absage erteilt. Einmal mehr betonte Zentralbank-Präsident Jean-Claude Trichet zwar die Abwärtsrisiken beim Wachstum. Aber noch deutlicher warnte er vor den Inflationsgefahren. Seit einem halben Jahr schon liegt die Preissteigerungsrate in der Eurozone über 3 Prozent, obwohl die Zentralbanker in Frankfurt doch nur 2 Prozent vertretbar finden. Keinesfalls dürften Privathaushalte und Unternehmen die hohe Inflation als dauerhaft ansehen und ihre Lohn- beziehungsweise Preisforderungen entsprechend anheben, warnte Trichet. Durch diese sogenannten Zweitrundeneffekte käme die Inflationsspirale erst so richtig in Gang.

Tatsächlich kann den Bürgerinnen und Bürgern die Inflation nicht gleichgültig sein - nicht nur, weil dadurch die schleichende Entwertung der Ersparnisse droht. So war die Preissteigerung in den vergangenen Jahren zwar geringer als jetzt, aber die Lohnerhöhungen fielen noch geringer aus. Die Folge: Die Kaufkraft der Bundesbürger sank in den letzten fünf Jahren nach Berechnungen der Allianz um 3,7 Prozent. Angesichts dieser Situation wachsen die Zweifel an einem konsumgetragenen Wirtschaftswachstum, das die Wirtschaftsforschungsinstitute im vergangenen Monat in ihrem Frühjahrsgutachten vorausgesagt hatten.

Die EZB aber wird zum Wachstum auch nichts beitragen können, solange sie weiter in der Zwickmühle der Stagflation steckt. Kurbelt sie die Konjunktur mit Hilfe niedrigerer Zinsen an, gerät die Inflation außer Kontrolle. Bekämpft sie aber die Inflation mit höheren Zinsen, würgt sie die Konjunktur vollends ab. Vor die Wahl gestellt zwischen Pest und Cholera, zwischen Inflation und Rezession, wird die Europäische Zentralbank wohl den Mittelweg gehen. Die Einigkeit unter Wirtschaftsexperten wächst, dass die Zinsen in der Eurozone bis mindestens zum Jahresende unverändert bleiben.

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