Encyclopedia Britannica rüstet nach: Traditionslexikon im Web 2.0-Fieber

Die Encyclopedia Britannica öffnet sich für Blogs und soziale Netzwerke - und macht Inhalte frei zugänglich, die vorher Geld kosteten. So weit ist man beim deutschen Brockhaus noch nicht.

Macht sich warm für die digitale Zukunft: die altehrwürdige Encyclopedia Britannica. Bild: screenshot info.britannica.co.uk

Man kann über die inhaltliche Qualität des nutzergenerierten Online-Lexikons Wikipedia so lange diskutieren, bis man schwarz wird - Fakt ist, dass es in seiner Beliebtheit traditionelle Nachschlagewerke längst weit hinter sich gelassen hat. Das bemerken nach langem Zusehen auch deren Herausgeber - und reagieren. Beim englischsprachigen Branchenprimus Encyclopaedia Britannica ist nun gar das Web 2.0-Fieber ausgebrochen: Mit Mini-Programmen, sogenannten Widgets, Twitter-Kommunikation und einer linkfreundlichen Web-Politik will sie nun verlorenen Boden wieder gut machen.

Hauptkomponente der neuen Strategie ist ein Dienst namens "Webshare", der eine radikale Veränderung der bisherigen Politik kostenpflichtiger Inhalte bei dem Lexikonanbieter darstellen dürfte. Bislang musste man 70 Dollar im Jahr an die Firmenzentrale in Chicago überweisen, um Zugriff auf die vollständige Online-Version des 32 Bände umfassenden Werkes mit seinen knapp 65.000 Artikeln zu erhalten. Diese Gebühr fällt jetzt unter Umständen weg. Denn registriert man sich als Blogger, Webmaster oder sonstiger Online-Autor vorab, darf man mit Hilfe spezieller Links in seinen eigenen Internet-Beiträgen auf Britannica-Einträge verweisen. Diese erscheinen dann für die eigenen Nutzer, die weiterklicken, kostenlos. Mit einem eigenem Passwort einloggen muss sich dann niemand mehr. Die Idee dabei ist einfach, aber durchaus clever: Das Unternehmen erschließt sich so neue Nutzergruppen, die über die verlinkten Artikel hinaus Interesse an den Lexikoninhalten gewinnen können, während man sich gleichzeitig in der Weblog-Szene einigen Sympathien "einkaufen" kann - schöne Schlagzeilen wie "Encyclopaedia Britannica kostenlos für Blogger" inklusive.

Und der Webshare-Dienst scheint anzukommen: In nur wenigen Tagen bewarben sich nach einem entsprechenden Bericht im viel gelesenen Silicon Valley-Weblog Techcrunch zahlreiche Website-Betreiber. Denn noch kann nicht jeder bei dem Angebot mitmachen: Die Britannica-Betreiber behalten sich vor, einzelne Bewerber abzulehnen, was einen Überprüfungsprozess mit sich bringt, der mindestens 24 Stunden dauern soll. Ganz so frei wie kostenlose Online-Angebote will die Britannica dann also doch nicht werden. "Die meisten Leute, die sich beworben haben, erhalten aber auch einen Zugang", betont die Redaktion. Die Idee, kostenpflichtige Inhalte über Verlinkungen durch bestimmte Seiten gratis zu machen, ist nicht ganz neu: So können Nutzer des Nachrichtenportals Digg.com inzwischen auf Bezahlinhalte des Wall Street Journal zugreifen, wenn von dort auf das Wirtschaftsblatt verwiesen wird. Auch scheint die Idee der Macher zu sein, die Abrufzahlen zu erhöhen, gleichzeitig aber auch mehr Abos zu verkaufen.

Neben Webshare bietet die Encyclopaedia Britannica weitere neue Dienste in der Geschmacksrichtung Web 2.0 an. So kann man über ein Mini-Programm ("Widget") Inhalte des Lexikons in soziale Netzwerke und andere Websites einbauen, in dem man nur ein paar Codezeilen ergänzt. Außerdem nutzt die Lexikon-Redaktion den populären Kommunikationsdienst Twitter, um täglich über interessante Inhalte zu informieren.

In Deutschland muss man unterdessen auf die Revolution beim traditionsreichen Brockhaus-Verlag, der ebenfalls unter der Wikipedia-Konkurrenz leidet, noch etwas warten. Ursprünglich wollte man dort bereits im April mit einem neuen, kostenlosen Angebot durchstarten - inklusive verstärkter Online-Redaktion. Dieser Termin verschiebt sich nun allerdings. Wann die neue Seite fertig wird, wolle man noch nicht sagen, hieß es auf Nachfrage der taz. "In den nächsten vier Wochen wird es aber nicht sein", so ein Sprecher des Unternehmens. Grund für die Verzögerung seien Gespräche über die inhaltliche Ausrichtung und mögliche Partner. Man werde dies in Ruhe angehen, hieß es weiter. Der Lexikonverlag hatte im Frühjahr für Schlagzeilen gesorgt, laut denen ein Ende der gedruckten Version bevorstehe. Inzwischen ist man jedoch wieder zurückgerudert - eine neue Auflage sei "wieder wahrscheinlicher", nachdem man seitens der Leser erhöhte Nachfrage festgestellt hatte. Welche Weblog-Politik der neue Brockhaus im Netz verfolgen wird, ist derweil noch unklar - über inhaltliche Ausrichtungen will sich der Verlag erst äußern, wenn das neue Angebot tatsächlich fertiggestellt ist.

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