Ursachen des Arten- und Genschwunds: Bezahltes Sterben

Deutschland ist Gastgeber der UN-Biodiversitätskonferenz. Die Ursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt wird die Konferenz kaum beheben.

Fast über Nacht sind in den USA vergangenes Jahr rund 600.000 Bienenvölker verschwunden. Bild: ap

Bezahltes Sterben
Deutschland ist Gastgeber der UN-Biodiversitätskonferenz. Die Ursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt wird die Konferenz kaum beheben

Sie waren plötzlich weg: Fast über Nacht sind in den USA vergangenes Jahr rund 600.000 Bienenvölker verschwunden - knapp ein Viertel der gesamten Population. Schuld daran war vermutlich ein Virus, das die Tiere geschwächt hat. Weil kranke Bienen ihren Stock verlassen, um ihre Artgenossinnen nicht anzustecken, fanden die Imker nur noch Königinnen und Brut in den Waben vor.

"Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben. Keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, kein Mensch mehr", soll Albert Einstein einmal gesagt haben. Tatsächlich meldeten Obst- und Gemüsebauern in den USA Ernteverluste in Milliardenhöhe.

Der Mensch ist auf die Natur angewiesen, während die Natur sehr gut ohne ihn auskommt. Schon aus reinem Egoismus ist es deshalb sinnvoll, pfleglich mit den anderen Erdbewohnern umzugehen. Dabei genügt der isolierte Blick auf einzelne Arten nicht - denn jedes Lebewesen ist in komplexer, schwer zu durchschauender Weise von anderen abhängig. Auch Klima, geologische Bedingungen und Nährstoffverfügbarkeit spielen wichtige Rollen.

Nachdem ein rasanter Arten- und Genschwund unübersehbar geworden war, verabschiedete die UNO 1992 in Rio eine Konvention über Biologische Vielfalt (CBD). Der internationale Vertrag verfolgt drei Ziele: Die Biodiversität soll geschützt, genutzt und der dabei entstehende Vorteil gerecht aufgeteilt werden. So soll der Artenschwund bis zum Jahr 2010 deutlich reduziert werden; die Europäische Union will die Verluste bis dahin sogar ganz stoppen. Ende Mai treffen sich Vertreter der inzwischen 168 Vertragsstaaten zum neunten Mal.

Viele zentrale Ursachen des Arten- und Genschwunds spielen bei der Konferenz in Bonn allerdings gar keine Rolle. Für Wirtschaftsfragen sind andere - mächtigere - Gremien mit anderen Prioritäten zuständig, allen voran die Welthandelsorganisation (WTO).

Es hat ökonomische Gründe, dass sich die Zahl der Reissorten in Sri Lanka innerhalb eines halben Jahrhunderts von 2.000 auf fünf reduziert hat und die US-Amerikaner heute nur noch zwölf Apfelsorten kaufen können, während ihre Urgroßeltern noch zwischen zwanzigmal so vielen Sorten die Wahl hatten. Riesige Saatgutbetriebe bieten heute standardisierte Hochleistungsprodukte an, die auf eine künstliche Gestaltung der Umwelt durch Wässerung, Dünge- und Pflanzenschutzmittel angewiesen sind. Das vernichtet nicht nur unzählige Tier- und Pflanzenarten. Auch standortangepasste Sorten haben ökonomisch keine Chance mehr, weil sie weniger Erträge bringen.

Etwa 7.000 Pflanzenarten hat der Mensch für die Nahrungsmittelproduktion kultiviert, seit er vor ein paar tausend Jahren sesshaft wurde. Nach und nach hat er durch Züchtung immer neue Sorten entwickelt und dadurch einen immensen Beitrag zur Biodiversität geleistet. Doch die industrielle Landwirtschaft hat diesen Reichtum innerhalb von Jahrzehnten zu einem Großteil vernichtet. 75 Prozent der genetischen Vielfalt der Nutzpflanzen sind bereits für immer verloren. Und die Verarmung des Erbguts schreitet weiter voran. Hühner etwa werden heute so gezüchtet, dass gewünschte Merkmale wie das Legen vieler Eier oder rasches Muskelwachstum nicht vererbt werden können. Fast zwei Drittel des weltweiten Legehennenbestands stammen aus zwei europäischen Betrieben. Die genetische Ähnlichkeit ist deshalb extrem groß.

Auf der Biodiversitätskonferenz aber wird es nicht um solche zentralen Ursachen für den Schwund der Vielfalt gehen. Dennoch werden wichtige Fragen aufgeworfen. Ein Schwerpunkt soll etwa sein, was Pharmafirmen und andere Interessenten künftig dafür zahlen müssen, wenn sie genetische Ressourcen aus Entwicklungsländern nutzen. Den Industrieländern geht es darum, einen einfachen Zugang zu den Pflanzen, Tieren und Gensequenzen abzusichern. Der Norden will zudem alle Fragen über die Patentierung daraus entstehender Produkte abwürgen. Die Entwicklungsländer und Vertreter indigener Völker verlangen dafür verbindliche Regelungen. Ziel ist es, dass die Firmen die Herkunft der Rezeptzutaten offenlegen und über den Preis der Ressource verhandeln müssen.

Außerdem stehen auf der Tagesordnung der Konferenz ein besserer Schutz der Wälder und die Einrichtung eines globalen Netzwerks von Schutzgebieten - auch in den Ozeanen. Das ist ein wichtiger Schritt, um der katastrophalen Verringerung der weltweiten Fischbestände etwas entgegenzusetzen. Doch auch hier sollen die entscheidenden wirtschaftlichen Fragen ausgeklammert bleiben. Die EU und Japan subventionieren ihre Fischer stark, die Flotten sind viel zu groß, und den riesigen, mit modernster Sonartechnik ausgestatteten Schiffen entgeht kein Schwarm. Die Diskussion über eine Finanzierung von Schutzgebieten greift da zu kurz.

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