Ex-Stasi-IMs bei der "Berliner Zeitung": "Für uns eine Katastrophe"

Die "Berliner Zeitung" will die Stasi-Verstrickungen ihrer Mitarbeiter untersuchen lassen. Die Redaktion berät über ihren eigenen Umgang mit diesem Thema.

Sturm auf Stasi-Zentrale 1990. Die "Berliner Zeitung" ist 2008 wieder zur Aufarbeitung gezwungen. Bild: dpa

Die Berliner Zeitung will mögliche Stasi-Verstrickungen ihrer Redaktion untersuchen lassen. Forscher der Freien Universität Berlin und der Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder würden damit beauftragt, schrieb Chefredakteur Josef Depenbrock in einem Text "in eigener Sache" auf der Seite 3 der Dienstagsausgabe der Zeitung.

In den letzten Tagen war bekannt geworden, dass zwei Redakteure, die in der Zeitung Führungspositionen bekleiden, eine Stasi-Vergangenheit hatten. Der eine, Thomas Leinkauf, Ressortchef der Seite 3 und des Magazins der Zeitung, war als Student unter dem Decknamen IM "Gregor" für die Stasi tätig. Laut den Akten wurde er 1975 für die mit der Auslandspionage betrauten Hauptverwaltung Aufklärung angeworben und war bis 1977 tätig.

Der andere Mitarbeiter, der stellvertretende Leiter des Politik-Ressorts, offenbarte sich am Montag von sich aus in der Redaktionskonferenz: Bis 1989 sei er für die Stasi tätig gewesen. Beide Redakteure "reagierten selbst und baten um Entbindung von ihren Funktionen", schrieb Depenbrock.

An der Einschätzung eines Mannes, der in der Redaktion eine Führungsposition bekleidet, ändert das nichts: "Für die Berliner Zeitung ist das der GAU", sagt er. "Wir sind die Zeitung in Deutschland, die das am wenigsten darf." Die Redaktion befürchtet ein Glaubwürdigkeitsproblem. Ein Redakteur sagt: "Unser großes Pfund der letzten Jahre ist, dass wir es geschafft haben, im Westen Fuß zu fassen. Dieser Erfolg kann kaputtgehen."

Die ehemalige SED-Zeitung, die zu DDR-Zeiten unter der Anleitung der Zentralkomitee-Abteilung Agitation gestanden hatte, gehörte nach der Wende zu den ehemaligen SED-Zeitungen, die exemplarisch die eigene Geschichte aufarbeiteten. Mitte der Neunzigerjahre hatte ein Team der Technischen Universität Dresden unter der Leitung des Historikers Ulrich Kluge eine Studie veröffentlicht - eine Analyse der SED-Presse und zu einzelnen Fällen auch exemplarische IM-Akten.

Der Verlag Gruner+Jahr, zu dem die Berliner Zeitung damals gehörte, unterstützte die Uni. Damals wurde öffentlich, dass ein Dutzend Journalisten als Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi tätig gewesen waren - sie verließen die Redaktion. "Eigentlich gilt das Gespenst einer Stasi-Zugehörigkeit in der Redaktion seit Jahren als vertrieben", so Chefredakteur Depenbrock. Eigentlich.

"Die Untersuchung damals war unvollständig", sagt Redakteur. "Und das Resultat fällt ihm" - Depenbrock - "und uns allen nun auf die Füße. Das kann man auch nicht korrigieren."

Depenbrocks Lösungsansatz jedenfalls - eine wissenschaftliche Untersuchung und die Überprüfung der Arbeit "jedes einzelnen Journalisten dieser Redaktion", wobei nicht klar wurde, wie diese aussehen solle - ist nicht einfach umsetzbar. "Eine Regelüberprüfung, die es im öffentlichen Dienst gab, hat es in der Privatwirtschaft nie gegeben", sagt Andreas Schulze, Pressesprecher der Birthler-Behörde. Die Zeitung habe lediglich die Möglichkeit, von ihren Mitarbeitern eine Selbstauskunft einzuholen oder die Einflussnahme des Ministeriums für Staatssicherheit auf die Zeitung durch einen Medienantrag aufarbeiten zu lassen.

Die Zeitung selbst allerdings hat keinen Zugang zu den Akten. Der Arbeitgeber könne der Behörde keine Liste mit den Namen der Mitarbeiter vorlegen, um diese überprüfen zu lassen.

Und soll ein Forscherteam eine Studie vorlegen - geführt werden soll das Team laut Depenbrock von Johannes Weberling, der bereits an der Mitte der Neunzigerjahre erstellten Studie beteiligt war -, müssten die Wissenschaftler einen Forschungsgegenstand formulieren, dessen Zulässigkeit dann von der Behörde überprüft werde, so Schulze. Von der Formulierung des Forschungsgegenstands hänge ab, ob und wie viele Akten zur Einsicht freigegeben würden. Wenn es in einem Unternehmen IM-Fälle gebe, sei die Wahrscheinlichkeit, eine frühere Tätigkeit für die Stasi in der DDR aufzudecken, aber hoch, sagte Schulze.

In einer Vollversammlung beriet die Redaktion gestern über den eigenen Umgang mit den Stasi-Vorfällen. Das Ergebnis stand erst nach taz-Redaktionsschluss fest. Ein Redakteur kündigte jedoch einen offensiven Umgang an.

Auf der Medienseite druckte die Redaktion gestern zahlreiche Leserbriefe. Einige Leser verteidigten die ehemaligen Stasi-Mitarbeiter darin. Andere - laut einem Redakteur ist das Echo der Leser insgesamt "verheerend" - forderten Konsequenzen. Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstätte im Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen, sagte, es gebe neben den genannten Fällen auch zwei ehemalige Angehörige des Stasi-Wachregiments "Feliks Dzierzynski", die regelmäßig in der Berliner Zeitung über DDR-Themen berichteten.

Im Januar hatte die Zeitung im "Magazin", für das Thomas Leinkauf verantwortlich ist, einen Beitrag eines freien Mitarbeiters über Knabe veröffentlicht. "Ein diffamierender Text" über "Stasi-Jäger" Knabe, schimpft heute ein Redakteur - verantwortet ausgerechnet von einem, wie nun herauskam, ehemaligen Stasi-Mitarbeiter - ein Text, der eine lange Gegendarstellung nach sich gezogen hatte. Eine Leserin fragte daher, ob "hier ein Puzzle aus einer Biografie instrumentalisiert wird, um einen persönlichen Feldzug gegen eine unliebsame Berichterstattung zu starten"? Man kann ja mal fragen.

Ein Redakteur aber sagt: Egal - "die Katastrophe für uns bleibt".

Mitarbeit: Torsten Landsberg

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