Kolumne Wechseljahr 2008: Krieg gegen die Meinung

Wie fühlt sich Amerika? Dagmar Herzog über die Verfasstheit einer Changing Nation.

Kaum hat sich Barack Obama die These zu eigen gemacht, die Wirtschaftskrise sei nicht zuletzt eine Folge der massiven Geldverschwendung im Irakkrieg, kommt der renommierte liberale Ökonom Paul Krugman und rügt eine derartige Vereinfachung. Krugman macht keinen Hehl aus seiner Präferenz für Hillary Clinton und insistiert darauf, dass die Ursache der sich stetig verschlechternden Wirtschaftslage in der Deregulierung des Banken- und Geldleihsystems zu finden sei. Clintons Weigerung, ähnlich "problematisch" wie Obama zu reden, wird gelobt. Wessen Version soll man nun Glauben schenken?

Diese Woche lief im Fernsehen ein viereinhalbstündiger Dokumentarfilm, "Bushs War," der augenfällig macht, mit welcher Chuzpe und einzigartigen Kombination von Arroganz und Unwissenheit Dick Cheney und Donald Rumsfeld den Krieg absichtlich lanciert und dann, von einer Krise zur andern stolpernd, schlecht geführt haben. Aber der Effekt ist paradox. Die detaillierte Rekonstruktion der Ereignisse weckt bei den Zuschauern unerwartete Sympathie für die offensichtlich so unglückseligen, unbeholfenen Kriegsmacher.

In der vergangenen Woche gab es auch den 4000. Toten unter den amerikanischen Soldaten. Im Durchschnitt starb in den Anfangsmonaten 2008 ein Soldat pro Tag. Für die jährlich anfallenden Kriegskosten hätte man jede einzige Schule in den USA renovieren können. Mit den Kriegskosten der letzten fünf Jahre hätte das Sozialversicherungssystem volle 75 Jahre lang solide finanziert werden können. Aber: Ein Rückzug aus dem Irak könnte "Chaos" hinterlassen, wie einem dauernd eingebläut wird.

Es ist eigentlich kein Wunder, dass sich die Menschen zunehmend desorientiert fühlen. Zum einen fehlt es tatsächlich an den elementarsten Informationen. Kriegsberichterstattung nahm noch vor einem Jahr 15 Prozent aller Nachrichten ein; nun sind es nur noch 3 Prozent. Journalisten rechtfertigen diese Zurückhaltung mit dem Hinweis darauf, dass die Lage im Irak statisch sei und es daher kein erzählenswertes Drama gebe; zudem sei das Volk eben uninteressiert. Zum anderen aber wird es für Journalisten zunehmend gefährlicher, sich im Irak aufzuhalten - und wegen der Sicherheitsvorkehrungen für ihre Arbeitgeber zu teuer.

Zu dem Informationsdefizit kommt aber noch, dass alles offensichtlich eine Frage der Perspektive ist. Die befragten Experten verbreiten autoritativ und lautstark ihre Reinterpretationen der Geschehnisse. Bei Nachbarn, Mitarbeitern und den Menschen auf der Straße merkt man: Die wenigsten wagen es noch, zu irgendetwas eine klare Meinung zu haben. Sich in seinem Urteilsvermögen unsicher zu fühlen gehört mittlerweile in den USA zur Tagesordnung.

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