Moskau vergrault seine Künstler: Vom Bildhauer zum Sozialmieter

Die Mieten in Moskaus City erreichen Preise wie in London. Und so vertreibt die Stadt nun systematisch Künstler aus ihren selbstverwalteten Hausprojekten. Zur Not mit Überfällen.

Putzt sich raus wie jede andere Stadt: Renovierungsarbeiten auf dem Roten Platz in Moskau. Bild: dpa

MOSKAU taz "Wollt ihr die Kulturrevolution?" steht auf den Transparenten. Die Demonstranten in der Moskauer Innenstadt sind keine Berufsrevolutionäre und auch keine politischen Oppositionellen. Viele machen den Eindruck gesetzter Herrschaften und haben die Fünfzig lange hinter sich. Nach Barrikaden scheint ihnen nicht der Sinn zu stehen.

Die Protestler stammen aus Moskaus Künstlerszene und demonstrieren gegen eine Hausbesetzung der anderen Art: In einer Nacht- und Nebelaktion wurde die ehemalige Stadtvilla des Fürsten Wjasemskij von einem Sicherheitsdienst gestürmt, der ganze Arbeit leistete, Türen einschlug und Eisengitter mit neuen Schlössern einsetzte. Und nun das Haus dauerhaft vor bisher dort wohnenden Künstler verriegelt hält.

Bislang war das architektonische Kleinod aus dem 19. Jahrhundert Sitz der Bildhauer, die Ende der 1960er Jahre die Barockvilla vor der sozialistischen Abrissbirne retteten. Mit eigenen Mitteln und Händen richteten die Künstler das Haus wieder her, es war der einzige Ort, an dem Bildhauer bislang unentgeltlich ausstellen konnten.

Der russische Staat als Eigentümer kümmerte sich Jahrzehnte nicht um die fürstliche Residenz. Bis vor kurzem. Der Staatskapitalismus hat Einzug gehalten und Immobilien im Zentrum gleichen Geldpressen bei Miet- und Grundstückspreisen vergleichbar denen in London oder Tokio. Da möchte so manch verdienter Kulturfunktionär noch ein bisschen dazuverdienen.

Ein kommerzieller Mieter verspricht vielfachen Gewinn. Der russischen Bürokratie steht dafür seit jeher ein ausgeklügeltes Instrumentarium zur Verfügung. Überfälle von ominösen Firmen, den aus dem Englischen entlehnten "raidery", auf Kultureinrichtungen sind an der Tagesordnung.

Das Kinomuseum und das Theater an der Pawarskaja-Straße wechselten auf diese Weise schon den Besitzer. Ein ähnliches Schicksal droht auch dem Theater "Ermitasch" und einem großen Zirkus der Hauptstadt.

Vor die Tür wollten die Behörden auch die Studenten der bekannten Musikschule Gnesinka setzen, die die Gerichtsvollzieher jedoch mit Barrikaden aus Violoncelli, Tuben und Hörnern empfingen. Oft sind es Sicherheitsauflagen, die die Feuerwehr beanstandet, die am Ende das Hintertürchen öffnen, um eine kalte Entmietung als rechtmäßig erscheinen zu lassen.

Einer der umtriebigsten Redistributeure ist die staatliche Föderale Agentur für Kultur und Filmkunst (FAK), die sich eher als Immobilienhai denn Kultureinrichtung einen Namen macht. FAK verwaltet die Liegenschaften des sozialistischen Kulturerbes, vergibt Prämien und Gelder. Die Nutzung des Palais der Bildhauer hatte die FAK schon einem "Fonds für humanitäre Zusammenarbeit der GUS-Staaten" überschrieben.

Unbekannt ist, was sich hinter diesem Fond jedoch verbirgt, der weder eine eigene Website hat, noch irgendwo in den postsowjetischen Staaten jemals durch eine Kulturmaßnahme aufgefallen wäre. Vermutlich handelt es sich dabei nur um eine Briefkastenfirma.

Die Bildhauer gaben indes nicht nach. Sieben hoch prämierte Künstler entschlossen sich zum Hungerstreik. Der jüngste Teilnehmer war 66 Jahre alt. Als einer der Streikenden schwer erkrankte und ein unappetitlicher Skandal heraufzog, rief das dann doch den Staat auf den Plan. Diesmal nicht als Okkupant, sondern als barmherzige Schlichtungsinstanz. Ende März soll die Mietfrage nun noch einmal wohlwollend verhandelt werden.

Nicht nur die Kultur bleibt auf der Strecke, auch die Kultur des Umgangs leidet. Der Künstler ist nicht mehr das, was er in Russland einmal war - eine moralische Instanz. Inzwischen haftet ihm das Image eines leidigen Sozialmieters und Querulanten an, der hochwertige Gewerbefläche vernichtet.

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