Debatte Ypsilanti und das Politpatriarchat: Gravierende Fehleinschätzung

Andrea Ypsilanti verkörpert eine neue soziale Linke innerhalb der SPD. Wahrgenommen wird sie von Parteikollegen und den Medien vor allem als Chaos auslösende Frau.

Mit tatkräftiger Unterstützung des Politpatriarchats aller Parteien in der Bundesrepublik Deutschland inszenieren die Medien die Ereignisse in Folge der Landtagswahl in Hessen als Lehrstück zu den katastrophalen Folgen der Gleichberechtigung in der Politik: Eine Frau gewinnt die Landtagswahl und will Ministerpräsidentin werden, wird daran durch eine andere Frau gehindert - und es breitet sich jene fatale desordre de femmes, also jene Unordnung der Frauen aus, vor der einst schon Jean Jacques Rousseau für den Fall des Eindringens der Frauen in die Politik gewarnt hat.

Schon das Ergebnis der Landtagswahl in Hessen wird nicht in erster Linie als Erfolg von Andrea Ypsilanti, sondern als Niederlage von Roland Koch interpretiert - nach dem Motto: Frau Ypsilanti hat die Wahl nicht gewonnen, Herr Koch hat sie verloren. Also: Männer und nicht Frauen bestimmen die Politik - wenn nicht positiv, dann eben negativ. Als dann diese Frau auch noch die Macht begehrt, die ihr die hessischen Wähler und vor allem die hessischen Wählerinnen mit ihrer Wahlentscheidung zugedacht haben, setzt reflexhaft jene Frauenfeindlichkeit ein, mit der sich auch und gerade die Sozialdemokratie sowie die gesamte politische Linke bis heute als Männerbund behaupten.

Frau Ypsilanti war und ist nicht nur eine politische Gegnerin von Roland Koch, sie war und ist auch Kritikerin der 1998 von der SPD unter Gerhard Schröder eingeleiteten Politik einer Entsozialdemokratisierung der Sozialdemokratie. Sie begreift soziale Demokratie und soziale Gerechtigkeit nicht als antiquierte Hinterlassenschaft des 20., sondern als zentrale Herausforderungen des 21. Jahrhunderts - nicht zuletzt in Verbindung mit der Entfaltung von mehr Geschlechtergerechtigkeit und Geschlechterdemokratie. Sie will die SPD herausführen aus dem falschen Konflikt zwischen Traditionalisten und Modernisierern und den Aufbruch in eine soziale Moderne organisieren. Dieses Projekt richtet sich nicht nur gegen Koch, sondern auch gegen die Fortführung der Agenda 2010, mit der die Schröders, Clements, Münteferings, die Strucks, Steinbrücks und Steinmeiers die SPD in eine Wahlniederlage nach der nächsten, in einen galoppierenden Mitgliederschwund und ins aussichtslose Hintertreffen gegenüber der CDU katapultiert haben.

Zugleich richtet sich das von Ypsilanti vertretene politische Projekt einer sozialen Moderne auch gegen den Simplicissimus und Banalsozialismus der neuen Linkspartei, der seine Attraktivität aus der Opposition gegen die in allen anderen Parteien betriebene Entsorgung der sozialen Gerechtigkeit bezieht.

Frau Ypsilanti personifiziert einen inhaltlichen Konflikt um die Ausrichtung der Politik im beginnenden 21. Jahrhundert, der aber weder von den Medien noch von den Politpatriarchen als solcher aufgegriffen, sondern stattdessen als das Leiden professioneller Männer an der Unprofessionalität von Frauen inszeniert wird. Mit ihrer nach allen Seiten eigenständig profilierten Politik hat Andrea Ypsilanti einen Wahlerfolg errungen, den noch vor wenigen Monaten niemand für möglich gehalten hätte. Aber mit diesem Wahlerfolg hat sie auch den Widerstand all derjenigen provoziert, die darin zu Recht nicht nur eine Bedrohung männlicher Machtprivilegien, sondern auch eine Bedrohung des Deutungsmonopols von Männern über die Möglichkeiten der Politik und über die richtigen Konzepte politischen Handelns sehen.

Die geschlechterpolitische Dimension der Ereignisse rund um die Landtagswahl in Hessen verdient jedoch eine genauere Betrachtung. Denn bei genauerem Hinsehen erweist sich das von den Medien als desordre des femmes inszenierte Spektakel als ein Desaster der Männerdominanz in der Politik. Rückblick: Es waren vor allem Frauen, die der SPD und den Grünen in der Bundestagswahl 1998 zu jener Mehrheit verhalfen, die das Ende der Ära Kohl besiegelte - nicht nur, aber auch weil ihnen ein "neuer Aufbruch in der Frauenpolitik" verheißen worden war. Das sozialdemokratische und grüne Politpatriarchat hat dieses Versprechen bekanntlich nicht eingelöst, sondern schon kurz nach der Wahl als "Gedöns" abgetan.

Gleichwohl verlängerten vor allem Frauen in der Bundestagswahl 2002 das Mandat der rot-grünen Bundesregierung: Wäre das Wahlverhalten von Männern in dieser Bundestagswahl entscheidend gewesen, wäre Rot-Grün schon 2002 abgewählt worden. Tatsächlich wurde das Wahlverhalten von Männern erst in der Bundestagswahl 2005 wahlentscheidend im Sinn einer Ermöglichung der Regierungsübernahme von Angela Merkel.

Wäre es nach den Stimmen der Frauen gegangen, hätte das rot-grüne Projekt eine weitere Chance erhalten. Die Politik von Rot-Grün im Bund hat nun aber nicht nur Angela Merkel an die Macht gebracht, sondern deren Fortsetzung in der großen Koalition hat das Entstehen und Erstarken der Partei "Die Linke" überhaupt erst ermöglicht. Und zwar wiederum vorrangig über den Einfluss von Männern auf die Politik. Die Linke ist nicht nur auf der Seite ihrer Repräsentanten und Protagonisten eine Männerpartei - sie wird im Westen der Republik auch vorrangig von Männern - und zwar vor allem den älteren - gewählt. So blieb sie denn auch bei der Landtagswahl in Hessen bei den Frauen - und zwar vor allem bei jüngeren Frauen - deutlich unter 5 Prozent. Ginge es nach dem mehrheitlichen Wahlverhalten der Frauen, könnte die Regierung Koch am 5. April von einer rot-grünen Landesregierung abgelöst werden.

Was lernen wir daraus? Zum Beispiel Folgendes: Die Dominanz von Männern in der Politik treibt sie immer wieder in das Muster des Hahnenkampfs und in immer wieder neue Zwickmühlen falscher Alternativen. Andrea Ypsilanti ist mit ihrem Versuch, aus dieser Zwickmühle auszubrechen, vorläufig gescheitert - auch weil Frauen "in diesem unserem Lande" nicht über die notwendigen Mittel und Wege verfügen, ihrer Stimme in der Politik zu Gewicht zu verhelfen. "Wir brauchen einen neuen Feminismus" - das ist bislang nur der Slogan einer von der Wochenzeitung Die Zeit inszenierten Mediendebatte. Die Landtagswahl in Hessen hat gezeigt, dass es sich dabei tatsächlich um ein dringendes Gebot der Erneuerung der politischen Kultur hierzulande handelt.

Andrea Ypsilanti hat sich und ihre Wähler und Wählerinnen über den Zustand ihrer Partei getäuscht - hinsichtlich ihrer männerbündischen Verfasstheit ebenso wie hinsichtlich des Ausmaßes ihrer Schröderisierung. Insofern ist sie auch an eigenen Fehlern gescheitert, die ihre Ursache in dieser Täuschung hatten. Ihr Scheitern ist aber auch ein Lehrstück für den neuen F-Klasse-Feminismus à la Thea Dorn mit seinem Hohelied auf die starken Frauen, die ganz allein den Weg nach oben schaffen. Das kann schon mal klappen - allerdings immer noch nur in Ausnahmefällen und auch nur dann, wenn Frauen sich an die von Männern definierten Spielregeln halten (siehe Angela Merkel). In der Regel klappt es nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.