Kolumne Einen Versuch legen: Die wahre Wiege des Fußballs

Über die Euro 2008 in Österreich und einen geschichtlich fundierten Heimvorteil.

Die Euro 2008 wird Österreich verwandeln. Es wäre doch gelacht, wenn das sommerliche Fußballfest für das Image der umweltverträglichen Österreicher nicht zumindest so viel tun könnte wie die WM 2006 für die vorher unleidlich selbstbewussten und nachher unerträglich fröhlichen Deutschen.

Die Voraussetzungen für eine Polierung des österreichischen Rufes sind ideal: Die österreichische Nationalmannschaft spielt Fußball wie von einem anderen Stern, der hoffentlich vor Beginn der Euro noch entdeckt wird. Niemand lächelt beim Taschenraub so überzeugend wie die Hotelbesitzer und Gastwirte in diesem Land. Die Journalisten und die Priester stehen nicht umsonst in dem Ruf, bei der Wahl zwischen der Liebe für die Bedürftigen und der Liebe zu sich selber stets verlässlich das Naheliegende zu tun. Die Politiker der völlig zerstrittenen bürgerlich-sozialistischen Regierungskoalition schließlich werden die Euro als Höhepunkt ihrer Amtsführung verstehen und daher nicht vorher Neuwahlen vom Zaun brechen. Wer würde freiwillig von einer Bühne abtreten, auf der er nicht spielen muss, aber auf jeden Fall bejubelt werden wird?

Drei Wochen lang ist Österreich/Schweiz, das ein für Geldwäscher besonders angenehmes Bankgeheimnis pflegt, ein offener Zwitterstaat, auch wenn ringsherum die Schengen-Außengrenzen wieder in Kraft gesetzt werden. Drei Wochen lang wird in Österreich, einem Staat, Fußball gespielt, der für seine Energie kein einziges Atomkraftwerk unterhält. Das letzte Land, in dem ein Staats-TV-Sender noch marktbeherrschend ist und jede Werbung für die Euro verweigerte, solange er selber keinen Vertrag mit der UEFA hatte, um die Endrundenspiele zu übertragen.

Das Euro-Turnier wird auch im Wiener Burgtheater gefeiert, das sich solcherart von der Ebene der nationalen Kulturerbepflege auf das Hochplateau des europäischen Spektakels erhebt. Wo würde das Spiel auch kompetenter geliebt werden als im Umkreis der wichtigsten deutschsprachigen Bühne? Ein demnächst neu erscheinendes Buch beschreibt die Kulturgeschichte der Europameisterschaft, die in Wien ihren Ausgang nahm. An der Donau, im Städtedreieck Prag-Budapest-Wien, setzte Hugo Meisl, ein polyglotter Jude und später Coach des österreichischen Wunderteams, als Mentor des mitteleuropäischen Fußballs nicht nur den Mitropa-Cup für Vereinsmannschaften, sondern auch den Europapokal für Nationalmannschaften in Szene. 1930 und 1935 gewann Italien diesen Wettbewerb, 1932 Österreich. Damals nahmen nur fünf Mannschaften teil, außer Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei eben noch Italien und auch die Schweiz. Die Engländer hielten sich von den Niederungen des Kontinents in jeder Hinsicht, also auch im Fußballspiel, fern. Die anderen wie Frankreich und Deutschland waren schlicht nicht konkurrenzfähig.

Die 1954 im Rahmenprogramm der Weltmeisterschaft in der Schweiz gegründete UEFA organisierte ab 1960 ein ausdrücklich in der Tradition dieses "Nationencups" stehendes Turnier. 2008 kehrt es an seine Wiege zurück. Wo sonst, wenn nicht in Österreich, wo die Vergangenheit konserviert wird, um die Zukunft im Griff zu haben, soll die kulturelle Hegemonie des Fußballs ihren Ausgang genommen haben? Die Nationalmannschaft hat in einem Anfall von Laune vor einigen Wochen die Deutschen ja ausgespielt, dass es eine Freude war. Natürlich endete die Partie 3:0 für Deutschland, aber das zeigt nur wiederum, wie wenig ernst die Deutschen das spielerische Moment des Fußballs nehmen. Wenn sie daran Freude haben, so soll es sein. Es sei bloß daran erinnert, dass Jogi Löw vor drei Jahren in Wien die Austria trainierte und an der Tabellenführung liegend abserviert wurde. Er hatte gegen den Tabellenletzten FC Kärnten verloren, und zwar in Klagenfurt, wo die Deutschen ihre Euro-Kicks gegen Polen und Kroatien absolvieren.

Die Magie des Ortes wird den Deutschen wahrscheinlich mehr zu schaffen machen als der jeweilige Gegner, aber da dies allen Mannschaften so gehen wird, gleicht sich das Handikap irgendwie wieder aus. Die Österreicher wiederum verfügen über den größten, geschichtsträchtigsten, am besten fundierten Heimvorteil aller Zeiten. Es wäre eine grobe Unhöflichkeit aller Gäste, darauf hinzuweisen, dass sie ihn auch bitter notwendig haben werden. Es wäre auch ungerecht. So sehr die Euro dieses Land auch in Szene setzen und zu einer Partylandschaft verwandeln wird, niemand sollte mehr vergessen, dass Österreich die Euro vor 81 Jahren zur Welt gebracht und damit erst die Voraussetzung zur Selbstverwandlung geschaffen hat.

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