Kaum Kritik an Chaos: Schneechaos lässt Chinesen kalt

Erstaunlich ruhig erdulden Millionen Chinesen die Schneemassen, die das Land ins Chaos stürzen. Das Krisenmanagement der Regierung funktioniert.

Nein, das ist keine Krabbelgruppe: Reisende warten am Bahnhof Guangzhou. Bild: ap

Wer erst am Vortag des chinesischen Neujahrs per Zug von Peking ins schneebedeckte Südchina reisen will, hat Glück im Unglück. Reisende strömen durch die Kontrollen am Westbahnhof. Alle Züge fahren. Bis zum frühen Nachmittag haben nur fünf aus dem Süden Verspätung. In Halle 4 sitzt Bauarbeiter Chen Xinping aus dem südlichen Hunan auf einem Sack. Mit fünf Männern aus seiner Provinz sitzt er um einen umgedrehten Eimer und spielt Karten. Der Zug T145, der ihn zu Frau und Tochter bringen soll, hätte vor einer Stunde fahren sollen. An der Anzeigetafel steht nur "Verspätung". "Ich warte einfach, denn ich kann nur einmal im Jahr nach Hause fahren", sagt der 40-Jährige, "unsere Regierung hat die Lage doch schon im Griff."

Bis dato hat die Regierung die Krise tatsächlich relativ gut bewältigt. Obwohl im südlichen Guangzhou zeitweilig bis zu 800.000 Menschen den Bahnhof zum potenziellen Pulverfass machten, blieb es erstaunlich ruhig. Nur eine Person kam dort nach offiziellen Angaben zu Tode. Weder Chinas kritische und allgegenwärtige Blogger noch ausländische Medien berichteten über Plünderungen oder Krawalle. Diese erschütterten den Süden der USA, als der Hurrikan "Katharina" 2005 New Orleans heimsuchte. Dank der Mobilisierung von 1,3 Millionen Soldaten, Milizen und Reservisten sind Chinas Hauptverkehrsstraßen inzwischen meist wieder frei.

Trotz klassisch-propagandistischer Fernsehbilder von heroisch schneeschaufelnden Soldaten praktiziert Peking professionelle Nüchternheit. "Zwar hat sich die allgemeine Lage leicht verbessert", sagt Verkehrsministeriumssprecher Gao Qianghua der taz. "Aber es steht alles noch auf sehr wackligen Füßen." Zur Kooperation mit anderen Behörden sagt Gao nur: "Geht so." Sein Ministerium habe sich zunächst um die Straßen gekümmert. "Wir haben das Desaster nicht vorausgesehen und hatten keine Notfallprogramme", räumt Zheng Guogang, Chef der nationalen Wetterstation, offen ein. Pekings Regierungsvertreter reden die Katastrophe nicht schön.

Bei allem Vertrauen in die Regierung herrschen in der Wartehalle 4 des Pekinger Westbahnhofs aber auch gemischte Gefühle. "Meine Schwester hat mir gesagt, ich solle lieber in Peking bleiben", erzählt der 27-jährige Fu Qiang. Er will ebenfalls nach Hunan. Seine Eltern leben als Bauern bei der Provinzhauptstadt Changsha. "Die Elektrizität fällt immer wieder aus und die Preise für Kohle und Öl sind in der Höhe geschnellt", sagt Fu, der gerade seine Anwaltsprüfung bestanden hat. Dass die Regierung die Schneekatastrophe relativ gut bewältigt, liegt "wohl an den Mobilisierungskräften unseres speziellen Systems", meint er und grinst.

Nur müde lächeln kann dagegen die kartenspielende Runde um Bauarbeiter Chen angesichts der zweimaligen Reise von Ministerpräsident Wen Jibao in ihre Heimat zur Katastrophenbekämpfung. Chinas Internetgemeinde hat bei ihrer Kritik nur selten die Zentralregierung im Visier. Trotz guter Bemühungen aus Peking machten aber lokale Bahnhofsangestellte in Guangzhou einfach, was sie wollen, schreibt der Blogger keny000 im Netease-Diskussionsforum. "Als Wen Jiabao nach seinem Besuch hier wieder weg war, war es mit der Höflichkeit gegenüber den Wartenden vorbei", so der enttäuschte Blogger, der als Freiwilliger dort geholfen hat.

"Die Lokalregierungen haben zu Beginn die Schwere der Situation bewusst verschleiert", meint im Phoenix-Netz der Blogger Xueshenfeihu1010. Im Diskussionsforum "Starkes Land" der Pekinger Volkszeitung bemängelt Blogger jg18, dass "die lokalen Medien die Menschen mit falschen Informationen über kostenlosen Bustransport und Essen" zum Guangzhouer Bahnhof getrieben hätten.

In Pekings Westbahnhof geht ein Raunen durch die Menge: "18.35 Uhr" erscheint als Abfahrtszeit von Zug T145 nach Nanchang - eine Verspätung von sechs Stunden. Bewegung kommt in die müde Menge. Handys werden gezückt. "Wir kommen erst nach dem Abendessen", schreit eine Frau in ihr Telefon. Bauarbeiter Chen ist erleichtert. "Was machen schon ein paar Stunden mehr oder weniger", sagt er. "Bei so einem Neujahrsbeginn kann der Rest des Jahres nur besser werden."

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