Das Rennen der Demokraten: Obama, der Verwandlungskünstler

Republikaner und Demokraten wählen in den USA ihre Delegierten für die großen Parteitage aus. Barack Obama hat das große Thema gesetzt: Change.

Es geht um Change: Barack Obama Bild: ap

Hillary Clinton kann Barack Obama nicht abschütteln. Sie, die lange als die große Favoritin der Demokraten galt, wird die "Obamania" nicht los, die sich in den USA ausbreitet. Sie wird die Bewegung nicht los, die in die Hallen und auf die Plätze rennt, um dem schwarzen Senator und demokratischen Kandidaten Barack Obama zuzuhören und zuzusehen. Die, die sich zu Tausenden einreihen, um als Wahlhelfer teilzuhaben an Geschichte, Teil zu werden von dieser "neuen Generation politischer Führung". So nannte es Time-Kolumnist Joe Klein. Und Hillary Clinton wird die Umfragen nicht los, die ihr vor dem heutigen Super Tuesday abermals ein knappes Rennen, ein Patt prophezeien.

"Das, was wir wirklich wollen, weil wir nicht nur einfach versuchen, einen Präsidenten zu wählen: Wir wollen unser Land verändern."

(Hillary Clinton, Demokratin)

"Washington ist zerbrochen, aber wir können es reparieren mit einem echten, konservativen Wandel."

(Mitt Romney, Republikaner)

"Die Amerikaner haben uns gewählt, um die Regierung zu verändern, und sie haben uns zurückgewiesen, weil sie glaubten, dass die Regierung uns verändert hat."

(John McCain, Republikaner)

"Und heute werden wir für immer die Art verändern, wie die Amerikaner auf ihr politisches System blicken."

(Mike Huckabee, Republikaner)

Und warum? Weil Barack Obama Sehnsüchte bedient. Die Sehnsucht des Landes, sich neu zu erfinden nach all den verkorksten Bush-Jahren. Die Sehnsucht, die ideologischen Gräben zwischen Konservativen und Liberalen zuzuschütten. Die Sehnsucht nach diesem einen Wort, das Obama diesem Wahlkampf als Stempel aufdrückt und das inzwischen alle anderen Kandidaten, egal ob Republikaner oder Demokraten, nachbeten: Change - Wandel.

"Change. We can believe in", steht auf jedem Pult, von dem aus Obama seine Botschaft verkündet. "Change" meint nicht nur Wechsel der Macht im Weißen Haus von den Republikanern zu den Demokraten, sondern einen grundlegenden Wandel.

Wenn es nur um Wechsel ginge, könnte man einfach nur auf George W. Bush zeigen. Der Popularitätswert des wohl schlechtesten US-Präsidenten der Nachkriegszeit liegt bei gerade mal 30 Prozent. Er hinterlässt seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin Kriege im Irak und Afghanistan. Zurück bleiben eine verunsicherte Mittelklasse und ideologische Barrieren. Denn Bush hat nicht nur die Welt, sondern auch sein eigenes Land in Gut und Böse eingeteilt.

Was die US-Amerikaner zum Wandel treibt, ist aber nicht nur George W. Bush, sondern eine allgemeine Skepsis gegenüber Washington, gegenüber der politischen Klasse. Auch der demokratisch dominierte Kongress hat inzwischen so niedrige Popularitätswerte wie Bush. Und 70 Prozent der Amerikaner finden, ihr Land befinde sich "auf dem falschen Weg". Also geht es nicht nur um einen Parteiwechsel. Es geht Amerika darum, sich und der Welt zu zeigen: Wir sind moderner, fortschrittlicher, offener, gerechter und besser ohnehin als das Bild, das wir und die Welt von uns haben. Es geht um Change.

Diese Häutungen der amerikanischen Gesellschaft sind eine Konstante in der Geschichte. Fast blickt man wieder neidisch auf diese wandelbare Seite Amerikas. Obama hat Vorbilder, die für Wandel stehen. "Change" war das Zauberwort von John F. Kennedy auf dem Nominierungsparteitag 1960 in Los Angeles. Er gewann gegen Richard Nixon - und wurde der erste katholische Präsident in einem protestantisch-puritanischen Amerika. Gut 30 Jahre später trat ein wie Obama 46-Jähriger an mit dem Wahlkampfmotto: "Its time for a change." Auch er ein Außenseiter, aus einem Ort mit dem symbolisch aufgeladenen Namen Hope. Es war Bill Clinton, der George Bush senior nach nur vier Jahren Amtszeit aus dem Weißen Haus verbannte. Kommt jetzt wieder ein Außenseiter? Der erste schwarze Präsident gar in der Geschichte der USA?

Der US-Philosoph Michael Walzer hat einmal konstatiert, dass den Liberalen und Linken in den USA die große Erzählung abhandengekommen ist. "Kein Linker", schrieb Walzer, "schafft es, die Dinge so darzustellen, dass die verschiedenen Werte, für die wir stehen, ein zusammenhängendes Bild ergeben - eine allgemeine Vorstellung von der Welt und davon, wie unser Land künftig aussehen soll. Die Rechte dagegen hat ein allgemeines Bild." Denn die Rechte habe ihre konservative Ideologie, hinter der sich ihre Anhängerschaft versammeln könne.

Den Linken und Liberalen hingegen fehlt laut Walzer die große Leidenschaft, weil es kein großes Projekt, keine Gewissheiten mehr gebe. Die Rechte hat somit die Deutungshoheit über die Werte übernommen - und also richtet es entweder der liebe Markt oder der liebe Gott. Der Markt ist für das gesellschaftliche Leben zuständig, Gott dagegen für alles Private - vom Unrecht der Abtreibung, vom Sex vor der Ehe bis hin zu den Sünden der Homosexualität.

Barack Obama aber, der Propagandist des Change, erzählt wieder eine große Geschichte. Sie ist deshalb groß, weil sie gerade nicht auf die bloße Frage reduziert ist, ob das Land bereit ist für einen Schwarzen im Weißen Haus. Ansonsten hätte ja Hillary Clinton auch eine große Geschichte zu erzählen, schließlich wäre sie die erste Frau im Weißen Haus. Obamas Erzählung verweist auf drei Ahnherren der US-Geschichte: Abraham Lincoln, John F. Kennedy und Martin Luther King.

Abraham Lincoln steht für die Einheit der Nation. Barack Obama hat seine Kandidatur im vergangenen Jahr vor dem Kongressgebäude in Springfield, Illinois, bekannt gegeben. Fast 150 Jahre nachdem Abraham Lincoln vor dem alten Kapitol in Springfield davor warnte, dass die USA ihre Spaltung in der Sklavenfrage nicht überwinden. Lincoln sagte damals den berühmten Satz: "Ein gespaltenes Parlament kann nicht überleben." Obama knüpfte in Springfield daran an: "Wenn wir geteilt sind, werden wir scheitern."

Schon bei seiner ersten großen Rede auf dem Parteitag 2004, die ihn über Nacht bekannt gemacht hatte, interpretierte Barack Obama Lincolns Rede. "Es gibt nicht ein liberales und ein konservatives Amerika - es gibt nur die Vereinigten Staaten von Amerika. Es gibt nicht ein schwarzes Amerika und ein weißes Amerika und ein Amerika der Latinos und der Asiaten - es gibt nur die Vereinigten Staaten von Amerika." Und er ergänzte das Motiv der "Einheit" mit dem religiösen Motiv der "Hoffnung" in seiner säkularisierten Form. Er sagte: "Hoffnung angesichts von Schwierigkeiten, Hoffnung angesichts von Unsicherheit, die Kühnheit der Hoffnung! Das ist letztlich Gottes größtes Geschenk an uns, das Fundament dieser Nation, der Glaube an Ungesehenes, der Glaube an eine bessere Zukunft." Es ist dies wieder eine große Erzählung vom Auserwähltsein Amerikas, und Obama ist ihr Prediger. Es ist die Vision eines Amerika, das alle Schranken, von Hautfarbe, Klasse und Partei, überwindet und in Harmonie auflöst.

Obamas zweiter Ahnherr ist John F. Kennedy. Er steht für den Generationswechsel. Vergangene Woche bekannte sich Caroline Kennedy, die Tochter von JFK, zu Obama. Es folgte auch noch Teddy Kennedy, der Bruder von JFK und Doyen der Demokratischen Partei. Zum ersten Mal bewege und inspiriere ein Politiker die Menschen wieder so wie ihr Vater, schrieb Tochter Caroline in der New York Times. Zum ersten Mal habe sie einen Menschen gefunden, der Präsident einer neuen Generation von Amerikanern werden kann. Obama selbst sagt: "In jeder Epoche ist eine neue Generation aufgestanden und hat getan, was zu tun war. Heute sind wir abermals aufgerufen, und es ist an der Zeit für unsere Generation, den Ruf zu hören." Auch das hier angedeutete Auserwähltsein ist ein stark religiöses Motiv. Der Generationswechsel geht hier mit dem Lincoln-Motiv einher, "eine Nation zu heilen und die Welt zusammenzubringen", wie es sich Obama bereits vor den Vorwahlen zum Ziel gemacht hatte. Er verkörpert die neue Generation, die nichts mehr mit Vietnamkrieg zu tun hat, mit der Kulturrevolution der 60er-Jahre und den Kämpfen der Babyboomer. Der Change einer jüngeren Generation bringt auch die Entideologisierung der Gesellschaft mit sich.

Der dritte Ahnherr Barack Obamas ist Martin Luther King. Der offensichtlichste Ahnherr, aber nicht der wichtigste. King steht für den Kampf für die Überwindung der Rassentrennung. Als Sohn eines Kenianers und einer Weißen aus Kansas, aufgewachsen auf Hawaii und in Djakarta, hat Obama zu den Kämpfen der Bürgerrechtsbewegung kaum mehr eine Verbindung. Obama hat eine Bindestrich-Identität, die ihm Fragen einbrachten wie: "Ist Obama überhaupt schwarz?" Oder Statements wie: Er ist ein Schwarzer, den Weiße wählen können - ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Was sie in Iowa mit seiner zu 97 Prozent weißen Bevölkerung auch getan haben. Nach seinem Sieg in Iowa hatte Obama den historischen Satz gesagt, den er an ein unbestimmtes "Sie" richtete: "Sie haben gesagt, dieser Tag wird niemals kommen." Eine Anspielung auf Martin Luther Kings Rede "I have a dream". Nämlich dass eines Tages seine Kinder nicht mehr beurteilt werden nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter. Obama inszeniert sich als symbolische Vergewisserung, dass Kings Traum in Erfüllung geht.

Ein Schwarzer, ein Vertreter einer neuen Generation, der die gespaltene Nation wieder eint und ihr neue moralische Kraft gibt? Hillary Clinton betont immer: "Worte, so schön sie auch gewählt und so leidenschaftlich sie auch gefühlt werden, ersetzen keine Taten." Da hat sie recht. Aber ist es John F. Kennedy und Bill Clinton nicht genauso ergangen?

Am Ende mag es Hillary Clinton sein, die das Präsidentschaftsrennen gewinnen wird. Barack Obama aber muss nicht mehr Präsident werden, um Geschichte zu schreiben. Er hat es bereits getan - mit seiner großen Erzählung.

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