Uneins beim Jugendstrafrecht: Merkel gegen Koch - im März 2006

Die Koalition lehnte vor zwei Jahren eine vom Bundesrat vorgeschlagene Verschärfung des Jugendstrafrechts ab. Die Stellungnahme der Regierung trägt Merkels Unterschrift.

Im Jugendstrafrecht sah die Bundesregierung 2006 "keinen dringenden Handlungsbedarf". Bild: ap

BERLIN taz Es ist schon erstaunlich, in welchem Tempo die große Koalition von verbalem Gemetzel auf demonstrative Freundlichkeit umstellt. Noch am Wochenende tauschten die führenden Koalitionäre fleißig Gemeinheiten aus. Am Montag dann erschraken sie offenbar über sich selbst. Am Dienstag folgte der ruhige Auftritt der Kanzlerin vor der Hauptstadtpresse. Und schon am Mittwoch kommen versöhnliche Töne aus der SPD-Spitze.

"Das Binnenklima in der großen Koalition ist besser, als der äußere Konflikt es vermuten lässt", sagte Thomas Oppermann, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion. Das habe sich am Vortag bei einem gemeinsamen Frühstück der beiden Fraktionsführungen gezeigt. "Natürlich sind wir nicht über Nacht zur Kuschelkoalition geworden", so Oppermann. Aber das Maß an Gemeinsamkeiten sei noch lange nicht erschöpft. Ende Februar treffen sich beide Koalitionsfraktionen sogar zu einer gemeinsamen Arbeitsklausur in Bonn.

Bevor es so weit ist, machte Oppermann jedoch noch einmal klar, was mit der SPD nicht läuft: eine Verschärfung des Jugendstrafrechts. Man werde mit der Union lediglich über eine konsequente Umsetzung des bestehenden Rechts sprechen, sagte der Fraktionsgeschäftsführer. In dem Zusammenhang verwies Oppermann genüsslich auf das vom Bundesrat im vorigen Jahr vorgeschlagene "Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Jugenddelinquenz" - die Bundesregierung lehnte es damals ab. Der hessische CDU-Ministerpräsident Roland Koch beruft sich in seiner aktuellen Wahlkampagne ausdrücklich auf diesen Entwurf.

Der Gesetzesentwurf und die Stellungnahme der Bundesregierung dazu haben es in sich. Beide Schriftstücke erschüttern Angela Merkels Glaubwürdigkeit. Die Kanzlerin hat damals bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität Maßnahmen abgelehnt, die sie heute einfordert.

Der Bundesrat legt einen entsprechenden Gesetzesentwurf im März 2006 vor. "Seit Beginn der neunziger Jahre ist ein stetiger Anstieg der Jugendkriminalität - insbesondere der Gewaltkriminalität - in der Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnen", heißt es darin. Deswegen sei "das jugendstrafrechtliche Handlungsinstrumentarium zu erweitern". Der Bundesrat schlägt dazu vor: Ausbau des Fahrverbots zu einer vollwertigen Hauptstrafe des Jugendstrafrechts; Einführung eines so genannten Warnschussarrestes; Verlängerung der Jugendstrafe von maximal 10 auf bis zu 15 Jahre; die Ahndung von Straftaten Heranwachsender in der Regel nach allgemeinem Strafrecht - nicht nur nach dem Jugendstrafrecht.

Die Bundeskanzlerin übersendet den Gesetzentwurf am 22. März 2006 an den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Dem Schreiben ist die Stellungnahme der Bundesregierung dazu angefügt. "Den vorliegenden Entwurf hält die Bundesregierung nicht für unterstützungsfähig", heißt es darin.

Die Begründung für diese Ablehnung ist aufschlussreich: "Die Vorschläge sind in der Vergangenheit und bis heute ganz überwiegend auf eine breite fachliche Kritik gestoßen. Die meisten Fachleute des Jugendkriminalrechts, Fachverbände, mehrere Jugendgerichtstage und auch der 64. Deutsche Juristentag haben sich in den letzten Jahren gegen sie ausgesprochen. Die vorgeschlagenen Regelungen werden im Ergebnis als eher kontraproduktiv für eine wirksame Bekämpfung der Jugenddelinquenz angesehen." In Zweifel gezogen wird außerdem die Behauptung, dass die Jugendkriminalität in den vergangenen Jahren gestiegen sei.

Das Fazit der Stellungnahme: "Das geltende Jugendstrafrecht hat sich grundsätzlich bewährt. Für die vorgeschlagenen Änderungen des Jugendstrafrechts besteht kein dringender politischer Handlungsbedarf." Das Schreiben an den Bundestagspräsidenten trägt die eigenhändige Unterschrift von Angela Merkel.

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