die wahrheit: Kurzen Prozess machen

Jahreswechsel, und alle reden davon, bessere Menschen werden zu wollen. Nicht moralisch, versteht sich: nur besser aussehen wollen sie.

Jahreswechsel, und alle reden davon, bessere Menschen werden zu wollen. Zwar braucht es nicht gleich die blonde und blauäugige Rasse zu sein, die sich Edward Bulwer-Lytton oder Friedrich Nietzsche so vorgestellt haben, aber verbessern wollen sich alle. Nicht moralisch, versteht sich: nur besser aussehen.

Das will ich auch und gehe kurzentschlossen zum Frisör. Lange findet meine Friseuse nicht den rechten Anfang. Das liegt am Besucherandrang. Besonders weibliche Personen haben es dringend nötig. Von "Rundumerneuerung" ist mehrfach die Rede, auch davon, dass sie zwei bis drei Stunden dauert.

Ich dagegen bin in knapp 40 Minuten völlig verändert und ohne Brille und Namensschildchen selbst aus der Nähe für frühere Bekannte nicht mehr zu erkennen. Locker könnte ich eine Bank ausrauben, mich dann drei Monate verstecken und - voila: vom erbeuteten Geld wieder zum Friseur gehen. Denn Frisur ist verdammt teuer geworden ...

Mein glatzköpfiger Onkel, der schon längst unter uns weilt, ist vergleichsweise billig weggekommen, wenn er mir Anfang der Siebzigerjahre fünf Mark in die Hand gedrückt hat, mit der dringenden Aufforderung: "Jetzt gehst du zum Friseur. Danach kommst du wieder und kriegst noch zehn."

Der Friseur hieß Herr Tauber, hatte pomadisiertes nach hinten gekämmtes schwarzes Haar und trug eine Mitropaaschenbecherbrille zum grauschwarzen Kittel. Er war der Bestatter all meiner Hoffnungen, es könnte mit meinem Äußeren einmal eine bessere Wendung nehmen.

Der Laden roch nach Birkin und Kunstleder. Mir sträubten sich die Nackenhaare, sobald ich auf dem Schleudersitz Platz genommen hatte. Mit energischen Fußtritten auf den Pumphebel des Frisierstuhls wurde ich in die Gefahrenzone hochgefahren, wo Herr Tauber binnen fünf Minuten kurzen Prozess machte.

"Nicht zu kurz!", hatte ich doch vorher noch gesagt, wie eine Beschwörungsformel, womit gemeint war: "Nimm das Geld und lass mich wieder gehen!"

Aber sitzen geblieben bin ich doch, die Gedanken auf die Belohnung konzentriert, und hab mit stummer Verzweiflung die Gestalten aus dem Heinz-Erhardt-Film betrachtet, in dem ich anscheinend mitspielte. Schon wars geschehen. Fünf Mark.

Die Tage nach dem Termin beim Haarbestatter waren schrecklich. Dieses Gefühl, unmöglich geworden zu sein, das mich beschlich. Der kühle Lufthauch, der um den Kopf strich. Die Gewissheit, sich eigentlich nicht blicken lassen zu können und doch rauszumüssen ...

Schnitt. Die Friseuse meines absoluten Vertrauens hat aus dem Wenigen, das noch übrig ist, das Beste gemacht. Es ist viel kürzer, als Herr Tauber es je geschnitten hätte, und sieht doch besser aus. Sie hat mir eine warme Kompresse auf die Stirn gelegt und anschließend den Kopf massiert, denn das gehört heute zum Haarschnitt dazu.

Nur ein einziges Mal, Mitte der Achtziger, hatte ich eine Dauerwelle. Betrachter der entsprechenden Belegfotos kringeln sich noch heute. Zum Glück war das Gekräusel irgendwann rausgewachsen. Das war schon nach Herrn Taubers Zeit. Ich hoffe übrigens, er hatte - trotz allem, was er mir angetan hat - einen kurzen und schmerzlosen Tod.

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kari

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