Buchtipp Sprinterbiografie: Der heilige Hary

Armin Hary ist ein zu Unrecht verkanntes Genie. Knut Teske, langjähriger Sportredakteur der "Welt", feiert den besten deutschen Sprinter aller Zeiten.

Sein Aufstieg kam urplötzlich. Bild: verlag

Er wird angehimmelt wie ein James Dean und droht daran zu zerbrechen, er ist der Cassius Clay der Aschenbahn, ein Aufsteiger aus einfachen Verhältnissen, er ist der Abraham Lincoln der Leichtathletik, ein Genius des Sports, ein Verbesserer der Sportwelt. "Er kam aus dem Nichts über die Welt des Sprints wie einst Samson über die Philister", so schreibt Knut Teske, lange Jahre Sportredakteur der Tageszeitung Die Welt, über Armin Hary. Auf über 300 Seiten versucht der Autor den deutschen Sprinter, der 1960 in Rom Olympiasieger wurde, der nach seinem Weltrekordlauf von Zürich im selben Jahr lange nur "Armin Zehnnull" genannt wurde, mit der Aureole eines Sportheiligen zu versehen. "Läufer des Jahrhunderts" ist eine Hagiografie, verfasst von einem Jünger Harys, der sich zum Evangelisten der deutschen Sprintgeschichte berufen zu fühlen scheint.

Teskes Vergleiche sind nicht selten allzu gewagt, seine Bilder nicht selten schräg ("Der Zenit ist janusköpfig"), seine Prosa bisweilen nah am Kitsch ("Die Beine trommeln - schneller als Gedanken"), und doch ist die Geschichte Harys so erzählt, dass sie zu faszinieren vermag. Teske tut bisweilen so, als habe Hary selbst sein Leben als Roman inszeniert. Dann wird die Biografie arg romanhaft, eine Sportlerseifenoper. Teskes Verdienst ist es, dass er noch einmal nachrecherchiert hat, wie es zum Aufstieg Harys kam, der urplötzlich und nur drei kurze Sommer lang alle Welt in Grund und Boden lief. Der Autor hat in Zeitungsarchiven gestöbert und schildert, wie die Öffentlichkeit auf Hary reagierte. Er ist selbst fassungslos, wenn er erzählt, wie sich Hary die Zähne an den Funktionären des Deutschen Leichtathletikverbandes ausbiss, die ihn sperrten, weil er unbequeme Wahrheiten über das fette Leben der Sportoberen ausgeplaudert hat. Teske zeichnet das Bild eines eigenwilligen Sportlers, der von beinahe nichts und niemandem in seinem Trainingseifer gebremst werden konnte, der früh schon die Medien benutzen wollte, um sich zu stilisieren, um am Ende von ihnen regelrecht zum Abschuss getrieben zu werden. Teske schildert, wie es kam, dass der große Hary nicht lange groß blieb, dass er zwar regelmäßig in den Klatschspalten der Münchener Lokalpresse auftauchte - er lebte nach seiner Karriere luxuriös am Starnberger See -, seine Leistungen als Sportler jedoch bald schon kaum mehr gewürdigt wurden. Teske beschreibt all das als große Ungerechtigkeit. Selbst seine geschäftlichen Erfolge als Immobilienmakler mit den Reichen und Schönen sind für den Autor das Werk eines Genius. Er verschweigt nicht, dass Hary 1973 wegen einer Immobilienschieberei zu einer 18-monatigen Bewährungshaft verurteilt wird, und tut doch so, als sei dies ein Justizirrtum gewesen, bei dem überforderte Richter einen Promi zur Schlachtbank getragen haben.

Teskes Buch ist immer dann am stärksten, wenn er die Rolle als Fan ablegt und journalistisch schreibt: die Duelle mit dem anderen großen Sprinter jener Jahre, Manfred Germar, seine akribische Wettkampfvorbereitung, zu der das Austüfteln eines eigenen Startblocks gehörte, der seinen berühmten Antritt erst ermöglichte, die Stimmung in der Sprintstaffel, mit der Hary in Rom eine zweite Goldmedaille holte, all das, was das Sportlerleben Harys ausmachte, liest sich wie ein sporthistorisches Dokument. Doch immer wenn Teske mehr will, wenn er die Geschichte Harys zu einer Erzählung über Nachkriegsdeutschland machen will, dann scheitert er am Hang zur Überhöhung. Hary war ein großer Sportler, das mag man dem Autor glauben. Aber war er wirklich ein großer Mensch?

Knut Teske: "Läufer des Jahrhunderts - Die atemberaubende Karriere des Armin Hary". Die Werkstatt, Göttingen, 24,90 Euro

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