Fragwürdige Sentenzen: Lustquelle Lukaschenko

So irre und gefährlich Despoten wie Alexander Lukaschenko auch sein mögen, so zwingend reizt uns ihr Größenwahn auch immer wieder zum Lachen.

Demonstration gegen Lukaschenko in Minsk Bild: dpa

Wenn wir auf Weißrussland schauen, dann tun wir dies derzeit mit Besorgnis. In politischen Diskussionen fungiert die ehemalige sowjetische Teilrepublik als Paradebeispiel eines Unrechtsregimes: Menschenrechtsverletzungen, Korruption, alltägliche Gewalt, politische Morde - und an der Staatsspitze eines der letzten, in Europa rar gewordenen Exemplare verkörperter Despotie. Alexander Lukaschenko erfüllt alle Kriterien des Bilderbuch-Diktators.

Er ist selbstherrlich und größenwahnsinnig, seine Auftritte sind, Hitlerbärtchen inklusive, Inszenierungen von grotesker Anmaßung. Ihn umhüllt die Aura des Grausamen - und des Komischen. Denn, auch wenn es überraschend klingt: zur Imago des Despoten gehört immer auch beides, weil der Autokrat seine Größenfantasien öffentlich darlegt und damit zugleich seine Lächerlichkeit auf die Bühne bringt. Hitler, Mussolini, Saddam - sie alle haben uns diese befremdliche Mischung vor Augen geführt.

Gegenwärtig ist Lukaschenko in dieser Disziplin fraglos der Spitzenreiter des internationalen Rankings, vielleicht noch vor dem Nordkoreaner Kim Jong-Il.

Ob er die Opposition als Volksfeinde beschimpft oder verspricht, jedem missliebigen Ausländer „den Kopf abzureißen wie einem Entlein“ - man hört hin. Und kolportiert die Sentenzen mit einer Mischung aus Schauder und Grinsen.

Tatsächlich, es wirkt beinahe wie ein Zwang: Lukaschenko-Geschichten lösen nicht nur Kopfschütteln, sondern regelmäßig Heiterkeit aus. Seine Aussprüche wirken offenkundig wie ein Witz: sie bringen uns zum Lachen. Warum? Was ist der Witz an einem so offenkundig gefährlichen Mann?

Freud hat die Frage, warum ein Witz Gelächter auslöst, bekanntlich sehr lakonisch beantwortet. Er erklärt seine Wirkung aus der Ersparnis von psychischem Aufwand, die er uns ermöglicht. Der Witz „ermöglicht die Befriedigung eines Triebes (des lüsternen und feindseligen) gegen ein im Wege stehendes Hindernis, er umgeht dieses Hindernis und schöpft somit Lust aus einer durch das Hindernis unzugänglich gewordenen Lustquelle“.

Das Lachen ist Ausdruck dieser lustvollen Erleichterung. Der Philosoph Helmuth Plessner hat, diesen Gedanken aufnehmend, folgerichtig den Witz als „Ausweg in die Freiheit“ bezeichnet: „Er umgeht die Hemmung und schafft die Möglichkeit, das Objekt unseres Hasses lächerlich oder die Unanständigkeit, an die man nicht rühren darf, verhüllt sichtbar zu machen. Lustgewinn beim tendenziösen Witz ergibt sich aus der plötzlichen Erfüllung eines bisher gehemmten Triebes.“

Lachen ist ein wichtiges kulturelles Muster der Aggressionsverarbeitung. Und die Inszenierungen, die es auszulösen verstehen, gehören zu den grundlegenden sozialen Sicherungssystemen unserer Gesellschaft.

Das steckt auch hinter dem absonderlichen Lachen, das die Lukaschenko-Sprüche bei uns auslösen. Wenn wir sie wie Witze kolportieren, dann umgehen wir ein soziales Tabu und begegnen eigenen aggressiven Impulsen - in der sicheren Vermummung des Zitats: Nicht wir sind ja die Urheber von Köpfungsfantasien, sondern er.

Diktatoren stimulieren unsere Fantasie, weil sie sich wie selbstverständlich über die kulturellen und sozialen Normen hinwegsetzen können, die uns binden. Insbesondere das zivilisatorische Aggressionsverbot scheint für sie nicht zu gelten. Das weckt unseren Neid - und unsere offene oder geheime Bewunderung. Und setzt zugleich Bestrebungen frei, die asoziale Machtfülle zu demontieren. Über niemanden sind so viele Witze gemacht worden wie über Hitler und Stalin.

In jedem Witz steckt kriminelle Energie; jeder Witz ist im Kern ein bemänteltes Verbrechen, das durch die soziale Bearbeitung „zivilisiert“ werden soll.

Lukaschenkos fragwürdige Sentenzen, die uns zum Lachen reizen, sind Witze eigener Art: Ausgeburten von Größen-, Macht- und Gewaltfantasien, die sich die Form der politischen Rede geben.

Wenn wir darüber lachen müssen, dann nicht nur wegen dieser offenkundigen Diskrepanz - sondern weil wir unbewusst diese Fantasien teilen.

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