CCS-Technik: Verbuddeln und fertig?

Science-Fiction-Märchen der Stromindustrie oder Beitrag für den Klimaschutz: CCS, das Einsammeln und Speichern von CO2. Ein Pro & Contra.

Einfach Spaten raus und verbuddeln. Fertig? Bild: dpa

JA! MEINT MATTHIAS URBACH:

Ist die CCS-Technik nur ein Feigenblatt für die Kohlepolitik der Konzerne, wie Umweltschützer meinen? Diese Frage ist nicht zu entscheiden, ohne sich zu überlegen, woher die Energie künftig kommen soll. In der Theorie ist es sicher gut, jeden verfügbaren Euro in erneuerbare Energien zu stecken. Die Praxis ist kniffliger.

Selbst optimistischere Szenarien für eine Energiewende, darunter die von Greenpeace, gehen davon aus, dass fossile Brennstoffe im Jahr 2050 noch knapp die Hälfte des Energiebedarfs decken müssen. Fossile Brennstoffe aber heißt: Öl, Gas oder Kohle. Außenpolitikern bereitet kaum etwas mehr Sorge als die Ballung von zwei Dritteln der Ölvorräte und einem Drittel der Gasvorräte im Nahen Osten und ums Kaspische Meer - in politisch äußerst instabilen Regionen. Kohle ist dagegen über den gesamten Globus relativ gleichmäßig verteilt. Länder wie China und die USA bauen zurzeit schon im großen Stil neue Kohlekraftwerke.

Viele glauben, die Welt werde allein deshalb bald eine ökologischere Energieversorgung finden, weil das Öl knapp werde. Doch selbst wenn die Anhänger der "Peak Oil"-Hypothese recht hätten, dass die Ölförderung schon bald nicht mehr mit der Nachfrage Schritt halten kann, wäre damit das Ölzeitalter nicht am Ende - Öl kann man auch aus Gas oder Kohle herstellen. Nazideutschland betankte mit flüssiger Kohle sein letztes Kriegsaufgebot, Südafrika lavierte sich durchs Wirtschaftsembargo gegen die Apartheid. Wenn Öl weltweit knapp werden sollte, wird man sich vielerorts daran erinnern.

Der südafrikanische Branchenprimus Sasol verarbeitet noch immer Kohle zu Sprit - für bloß 25 Dollar pro Fass. China investiert in großem Stil in die neue Technik, die USA denken darüber nach, und auch deutsche Kohlemanager haben auf den Energiegipfeln das Thema gegenüber der Kanzlerin bereits angesprochen. Hier würde der Kohlesprit auf etwa 60 Dollar pro Fass kommen, was immer noch günstiger wäre als der heutige Ölpreis. Wir stehen vor einer Renaissance der Kohle.

Leider ist Kohle der klimaschädlichste Energieträger. Insbesondere ihre Verflüssigung ist so energieaufwendig, dass dabei etwa doppelt so viel CO2 frei wird wie bei der Verwendung herkömmlichen Benzins. Und hier kommt CCS ins Spiel.

Sicher: Es ist nicht klar, ob CCS wirklich funktionieren wird. Es ist auch richtig, dass es zumindest hier in Deutschland nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen wird, um die nächste Welle von Kohlekraftwerken klimafreundlich zu machen. Doch gerade weil es so lange dauert, diese Technik marktreif zu machen, sollte man schon jetzt damit anfangen.

Der Vergleich der Deponierung von Kohlendioxid mit der von Atommüll ist absurd: CO2 ist ein normaler Bestandteil der Luft und muss auch nicht für alle Ewigkeit weggespeichert werden. Es ist schwer genug, per Emissionshandel CCS zu erzwingen. Aber kein Klimaprotokoll wird ein Land daran hindern, aus Kohle Sprit zu machen, wenn es die Weltlage erzwingt.

NEIN! MEINT TARIK AHMIA:

In den Fünfzigerjahren war es die Atomkraft, die für das Versprechen einer sauberen und sicheren Energiezukunft herhielt. Für den ewig strahlenden hochradioaktiven Müll hatte man eine einfache Lösung: Er sollte elegant verbuddelt werden - aus den Augen, aus dem Sinn. Der Preis für diese Illusion wurde auf spätere Generationen abgewälzt.

Heute will die Stromindustrie uns vor dem Klimawandel retten, indem sie gigantische Mengen gefährlicher Treibhausgase unter der Erde oder auf dem Meeresboden speichert. Abermals soll die Lösung eines Müllproblems in eine ferne Zukunft verschoben werden. Und abermals soll dies mithilfe einer Technologie geschehen, die noch gar nicht existiert.

Wie beim Atommüll ist die Realisierung fraglich. Denn Speicherorte für CO2, die Millionen Jahre lang ihren Zweck erfüllen, sind rar. Mit Gewissheit zu sagen, was wirklich dazu taugt, hat mehr mit Hoffen als mit Wissen zu tun. Niemand weiß bisher, was durch die CO2-Lagerung unter der Erde wirklich passiert. Was ist, wenn ein Lager durch ein Erdbeben undicht wird oder die Treibhausgase das Grundwasser verunreinigen? Diese Herausforderungen beginnen die Forscher gerade einmal zu erahnen.

Die Speicherung von CO2 ist noch weit davon entfernt, einen Ausweg aus dem Teufelskreis der fossilen Energieerzeugung zu bieten. Die ersten Anlagen werden im Jahr 2020, vielleicht auch erst 2030 praxisreif sein. Bis dahin wird die CCS-Technik, also die Speicherung von Kohlendioxid, nicht das Geringste zum Klimaschutz beitragen. Und selbst wenn die Technik jemals funktionieren sollte, bleibt sie nur eine Teillösung: Fachleute des obersten UN-Klimarates IPCC schätzen, dass sich auf diese Weise im Jahr 2050 gerade einmal 20 bis 40 Prozent der globalen fossilen CO2-Emissionen einsparen lassen. Dabei ist der Klimaeffekt paradox: Um die CO2-Emissionen zu senken, müssen neue Kohlekraftwerke mit Filteranlagen gebaut werden und die brauchen ihrerseits Energie. Der Wirkungsgrad dieser Kraftwerke dürfte dadurch um ein Drittel sinken, der Strompreis aber dadurch spürbar steigen. Doch wozu der Aufwand? Bis das Verfahren einsatzbereit ist, werden Offshore-Windfarmen auf hoher See billiger Strom produzieren.

Die nebulösen Aussichten halten die Stromwirtschaft dennoch nicht davon ab, ihre Endlagervision als Verkaufsargument zu benutzen, um neue klimafeindliche Kohlekraftwerke zu bauen. Bis zum Jahr 2020 werden 60 Prozent der deutschen Kraftwerksleistung erneuert - das meiste davon durch Kohlekraftwerke, die dauerhaft ohne CO2-Abscheidung arbeiten.

Anstatt Milliarden in die Verschlimmbesserung einer Dinosauriertechnik zu versenken, sollten wir lieber Vorreiter beim Ausstieg aus der fossilen und nuklearen Energiewirtschaft werden. Schon als Pionier bei der Gewinnung von Energie aus Wind und Sonne wurde Deutschland zum Vorbild. Das - und nicht die Verkaufs-Gimmicks der alten Stromwirtschaft - ist der Weg, den wir gehen sollten.

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