Bayerisches Independent-Kino: "München ist halt nicht so kaputt"

Ja: Es gab und gibt Punks in der satten bayerischen Landeshauptstadt, und sie sind dagegen. Wogegen genau, das versucht der Film "Mia san dageng" von Oliver Nauerz und Katrin Seeger zu beleuchten.

Punks in München! (Historische Aufnahme aus dem Jahr 2000) Bild: dpa

Geht das überhaupt? Punk sein in München? Oder viel mehr alt werden als Punk im ach so schönen und reichen München, dem Feindbild Nummer 1 aller auswärtigen Linken und Anarchos? Es funktioniert, und zwar wunderbar, wie Oliver "Olli" Nauerz und Katrin "Katz" Seeger beweisen. Wilde Jahre haben die beiden hinter sich, seit Ende der 70er-Jahre Olli die ersten Sex-Pistols-Platten gehört hatte und seit in den späten 80ern Katz Kid-Punk wurde und ihr Vorbild in der emanzipierten Besen-Petra gefunden hatte. Heute arbeitet Olli als Pflegeassistent für körperbehinderte Menschen und Katz verdient ihre Brötchen als Tagesmutter und Übersetzerin, zusammen mit ihrem gemeinsamen Kind wohnen sie in Untergiesing, auf der Küchenablage stehen Pustefix-Seifenblasen, Obst liegt am Tisch, getrunken wird Tee.

Trotzdem oder vielleicht auch deswegen sind die beiden die wohl immer noch besten Punk-Kenner der Stadt. Nebenbei betreiben die beiden das Independent-Label "Aggressive Noise", veranstalten Punk-Konzerte, und vor allem haben sie in den letzten Jahren mit null Euro Filmförderung eine Doku über Münchens Punk-Vergangenheit gedreht. Dutzende Interviews wurden abgedreht, der Bayerische Rundfunk stellte sein Archiv zur Verfügung - und ungefähr alle Punks in München halfen mit. Herausgekommen ist ein ungewöhnlicher Film. Souverän, aber doch anarchisch, höchst unterhaltsam, aber doch beinahe aufklärerisch spannt "Mia san dageng" den Bogen von der Münchner Räterepublik über die Schwabinger Krawalle bis zu FSK, den Marionettes und den heutigen Punk-Kids aus dem Neokeller.

taz: Sag mal, Olli, du bist recht offensichtlich ein Punk. Bist du in dieser Woche schon von der Polizei kontrolliert worden?

Olli: Nee, in letzter Zeit nicht. Zuletzt vor ein paar Wochen hier in der Straße von zwei Zivis. Aber die Bullen scheinen Respekt vor dem Alter entwickelt zu haben, im Gegensatz zu früher hat das wirklich abgenommen.

Berlin/Eiszeit-Kino (www.eiszeit-kino.de), ab 6. 12. 07

Bamberg/Lichtspielkino (www.lichtspielkino.de), 13. bis 19. 12. 07

Ochsenfurt/Casabanca (www.casa-kino.de), 19. 12. 07* Rosenheim/Vetternwirtschaft (www.vetternwirtschaft.net), 23. 12. 07

Nürnberg/Kommkino (www.kommkino.de), 3. 1. bis 7. 1. 08

Hamburg/3001 (www.3001-kino.de), 10. bis 16. 1. 08

Berlin/Brotfabrik (www.brotfabrik-berlin.de), 10. 1. 08 bis 23. 1. 08

Düsseldorf/Black Box (www.filmkunstkinos.de), 23. 1. 08

Hamburg/Bi-Movie (www.bi-movie.de), 24. 1. und 27. 1. 08

Landshut/Kinoptikum (www.kinoptikum.de), 25. und 26. 1. 08

Wien/Schikaneder-Kino (www.schikaneder.at), 27., 29. und 30. 1. 08

Göttingen/Kino Lumiére (www.lumiere.de), 31. 1. bis 2. 2. 08

Torgau/Kap-Kino (www.kulturbastion.de), 22. und 24. 2. 08

Ist dann überhaupt was dran an der Mär vom überbordenden Kontrolldruck in München gegen alles Andersartige?

Olli: Na ja, das ist relativ. Punks, die das erste Mal nach München kommen, sind richtig schockiert. Wenn in München in der Fußgängerzone drei Punks zusammen stehen, dann sind die Bullen in fünf Minuten da.

Trotzdem lebt ihr, wie ihr lebt, habt euer eigenes Punk Independent Label und habt jetzt sogar eine filmische Hommage an die Münchner Punkszene fertig gestellt. Wolltet ihr nie weg aus dieser Stadt?

Olli: Für mich stand das Weggehen nie zur Debatte. Natürlich hätte man nach Berlin gehen und sich dort in das gemachte linke Nest setzen können. Aber ich fand es sinnvoller und wichtiger, hier etwas zu machen. Und nicht zuletzt ist München ja eine schöne Stadt mit liberaler Vergangenheit, man denke an die Räterepublik zu Beginn des Jahrhunderts.

Katz: Ich bin zweimal länger weggegangen, nach Kanada und eine ganze Weile in den ecuadorianischen Dschungel, aber es hat sich nie die Frage gestellt, ob ich in eine andere Stadt gehe, wenn ich zurückkomme. Wie Olli schon meinte: München ist schön zum Leben.

Olli: München ist halt nicht so kaputt, nicht so extrem, destruktiv und gewalttätig wie beispielsweise Berlin. Das war ja dort manchmal schon wieder so, dass die Leute die Freiräume, die ihnen zur Verfügung standen, selbst kaputtgemacht haben.

Katz: Und die Leute waren hier nie so abgestumpft. Du konntest dich ja nie komplett zudröhnen, weil immer eine Razzia drohte oder durchgeknallte Schwarze Sheriffs, die uns verprügeln wollten.

Es gab in eurer Punk-Jugend keinen Ort der kompletten Freiheit?

Olli: Der letzte ganz freie Raum war wohl in den Siebzigern das "Milbenzentrum" in Milbertshofen. Das hat funktioniert ohne Staatsaufsicht, weil es extrem fit organisiert war von der linken "Arbeitersache", die in der Nähe von BMW Präsenz zeigen wollte.

Katz: Als die Punks dann Anfang der Achtziger dazukamen, wurde es unstrukturiert und die Bullen haben einen Fuß reinbekommen - das wars dann.

Eine Kritik an München sind ja solche fehlenden Freiräume und Zwischenräume. Es gibt keine besetzten Häuser, keine aufgelassenen Fabrikgelände. Alles sei definiert und deshalb letztlich fad.

Olli: Hier wird einem halt nix geschenkt, hier musst du dir was einfallen lassen. Das ist der Unterschied. Dafür ist hier das "Trotzdem" größer als anderswo. Daraus haben sich auch ganz besondere Sturschädel entwickelt - von Linken, die die Räterepublik ausgerufen hatten, bis zu bunten Punks heute. Allen ist das "dagegen" gemeinsam. Deswegen auch unser Filmtitel: "Mia san dageng!".

Aber glaubt ihr denn nicht, dass ihr einen verklärten Blick habt? Besonders viele Iros sieht man in München ja auch nicht.

Olli: Es geht ja gerade nicht nur um die Punks, die auffällig und bunt in der Stadt rumlaufen, sondern um eine Haltung. Und da kann man sagen: Das sind in München verdammt viele Leute. Das Bild, dass hier alle dumpf die CSU wählen - das ist ein Schmarrn.

Und was ist das für eine Haltung, an wem reibt ihr euch? An wem reiben sich die Münchner?

Katz: Im Moment reib ich mich an den Autoritäten im Schulwesen. In unserer Grundschule werden als Erziehungsmaßnahme noch Kinder in die Ecke gestellt. Und viele halten das für normal.

Olli: Das Entscheidende ist, alles zu hinterfragen.

Du hast gerade die Wurschtigkeit der Grundschuleltern angesprochen. Ist das nicht ein Widerspruch zu eurem beinahe heroischen "Trotzdem", das es nach eurer Lesart in München gibt?

Katz: Nein! Das Verrückte ist, dass man den Widerstand nicht da findet, wo man ihn zu finden glaubt. Unser Kind war etwa im ehemals antiautoritären Uni-Kindergarten. Wir dachten, das ist genau unsere Sache. Dann sollte er irgendwann geschlossen und geräumt werden - und wo war die radikale Gegenwehr der ach so engagierten Eltern? Auf der anderen Seite gibt es unseren vermeintlich braven Wohnblock - bei dem jetzt alle aufgestanden sind bis hin zur Omi, um gemeinsam und solidarisch für ihre Mieterrechte einzutreten, weil die Häuser durch überhöhte Mieten regelrecht "entmietet" werden sollen.

Olli: Oder schau dir Wackersdorf an. Vor dem Bau der Wiederaufbereitungsanlage sind die meisten Oberpfälzer doch in die Kirche gegangen, haben Franz Josef Strauß gewählt und haben Punks für Außerirdische gehalten. Und später haben sie dann die Gemeinsamkeiten bei den "Chaoten" und "Punks" gesehen und dann haben alle gemeinsam gegen die Staatsmacht gekämpft.

2002 hätte es in München ja richtigen Widerstand geben sollen. Chaostage waren angekündigt. Sie sollten angeblich ein Zeichen sein gegen einen Kanzlerkandidaten Stoiber - aber sind ja richtig in die Hose gegangen. Das ist doch ein Beweis, dass Münchner Punk gar nicht wirklich existiert.

Olli: Das war doch von Anfang an als Ente gedacht, auf die die Bullen dann tatsächlich reingefallen sind. Dass die so aufwändig aufmarschiert sind mit tausenden Leuten, das war für Kenner der Sache eher eine Freude.

Katz: An dem besagten Wochenende gabs übrigens interessante Begebenheiten: Wir sind etwa mit dem Kinderwagen an der Isar spazieren gegangen - hinter uns her zwei Zivibullen - so sehr waren die alarmiert.

Sind das nicht doch Momente, bei denen ihr denkt: Leckts uns doch am Arsch, wir gehen weg von hier?

Katz: Weißt, es gäbe in anderen Städten anderen Stress.

Olli: Und es gibt hier eben auch verdammt viel gute Leute. Schau dir doch an, wie viele Münchner auf die Straße gehen, sobald Nazis aufmarschieren wollen. In der auswärtigen Punk-Szene heißt es oft, München sei eine braune Stadt. Dabei ist es hier undenkbar, dass irgendwelche Nazibands auftreten könnten. Auf so was sind wir stolz.

Brauchts noch Punk in München?

Olli: Na klar. Denn für junge Punks hat sich nicht wirklich was geändert, die treffen mit ihrem Anderssein weiter auf massiven Widerstand. Eine Bekannte von uns, die Sarah, hat etwa Innenstadt-Verbot, bis sie volljährig ist. Andere werden von USK-Bullen blutig getreten. Nur uns Älteren wird kein USK-Bulle mehr ins Gesicht treten, glaub ich mal.

Katz: Na ja.

Olli: Dazu kommt, das München alles Kommerzielle unterstützt, alles andere aber - Autonome Zentren, Infoläden - klein hält. Ein selbst verwaltetes Jugendzentrum gibts hier zum Beispiel nicht. Und auch in der großen Politik gibts genügend, was nicht passt. Ich denke an den Überwachungsstaat, gegen den wir gekämpft haben und der jetzt Wirklichkeit geworden ist.

Katz: also wenn ich heute jung wär, ich hätte wieder hundert Gründe, Punk zu werden.

Du bist ja nun schon Punk - und bleibst es wohl auch?

Katz: Ja. Denn das Schöne ist doch auch, dass wir inzwischen auch das Selbstbewusstsein weitergeben können, das wir uns jahrzehntelang erkämpft haben. Und zwar nicht nur an andere Punks wie die Sarah. Wir haben Nachbarn, die kommen aus Polen, und deren Kinder wurden in der Schule richtig angegangen. Wir haben die Mutter ermutigt, erhobenen Hauptes reinzugehen in die Schule und sich zu wehren.

INTERVIEW: MAX HÄGLER

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