Kommentar Gedenkstättenpreis: Ein Trauerspiel um die Opferkonkurrenz

Der Preis der Stasi-Gedenkstätte trägt nun doch nicht den Namen des umstrittenen Walter Linse. Der Rückzug hätte viel früher kommen müssen.

Gestern teilte der Vorstand des Fördervereins für die Gedenkstätte im Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen mit, der von ihr gestiftete Preis trage jetzt doch nicht den Namen Dr. Walter Linses - jenes Mannes mit den zwei Vergangenheiten. Erst Täter als Arisierer jüdischen Vermögens bei der Industrie- und Handelskammer Chemnitz, dann Opfer der sowjetischen Terrormaschine, die ihn - als Aktivisten des Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen - nach seiner Entführung aus Westberlin in Moskau hinrichten ließ.

Dem Förderverein war das "erste Leben" des zukünftigen Preisträgers entgangen. Ein Fehler, dem nach seiner Aufdeckung der Griff nach der Notbremse hätte folgen müssen. Denn schon in der ersten, von dem Politologen Benno Kirsch für die sächsischen Gedenkstätten verfassten Studie stand zu lesen: "Auch wenn man unterstellt, dass er [Linse] bei seiner Arbeit Skrupel oder Gewissensbisse hatte, so war er doch Teil des Verfolgungsapparats. Er konnte sehen, was geschah, und er hat nicht Nein gesagt." Der wirkliche Skandal entwickelte sich erst jetzt, nach der im Übrigen sehr zurückhaltenden Studie von Kirsch. Der Vorstand verschanzte sich hinter der Forderung nach gründlicher historischer Aufklärung und verstieg sich sogar zu Thesen wie der, dass Dr. Linse vielleicht ein "zweiter Oskar Schindler" gewesen wäre. Auch die nachfolgende, von Martin Gutzeit, Mitglied des Fördervereins, veranlasste Kurzexpertise des Zeitgeschichtlers Klaus Bästlein, die die Rettungstaten Dr. Linses für verfolgte Juden ins Märchenland verwies, konnte beim Vorstand keinen Sinneswandel hervorrufen.

Diese obstinate Haltung erntete massive Kritik in der Öffentlichkeit. Der Vorstand forderte nunmehr ein Gutachten des Münchner Instituts für Zeitgeschichte an. Offenbar setzte man aber so wenig Hoffnung in dessen künftige Ergebnisse, dass jetzt zum Rückzug geblasen wurde. Na endlich, könnte man aufseufzen, wäre da nicht das fatale Ergebnis, dass das Trauerspiel um die "Konkurrenz der Opfer" um eine besonders abstoßende Episode bereichert wurde.

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