Risikogebiete in Afghanistan: Brotkauf unter Beschuss

In Afghanistan eskaliert seit knapp zwei Jahren die Gewalt. Anschläge und Entführungen beeinträchtigen und verteuern den Wiederaufbau.

Ausgebrannter Lastwagen an der Straße von Kabul nach Kandahar. Bild: dpa

KABUL taz Die Fahrerkabinen der beiden Öltanklaster sind ausgebrannt. Die Reifen schwelen noch, es riecht nach verbranntem Gummi. Die Wracks liegen am Straßenrand, gleich am Ortseingang von Salar, einem Marktflecken eine gute Stunde Fahrt von Kabul aus in Richtung Süden. Taliban hatten in der Nacht die Fahrzeuge angehalten und in Brand gesetzt. Auf wenigen Kilometern um Salar liegen mindestens zehn solcher Wracks. Sie sollten Treibstoff und anderen Nachschub für die Stützpunkte der US-Truppen in Südafghanistan bringen.

Am Donnerstag verlängert der Bundestag aller Wahrscheinlichkeit nach mit großer Mehrheit das Mandat für die deutsche Beteiligung an der Anti-Terror-Operation. Einsatzgebiete der US-amerikanisch geführten "OEF" sind Afghanistan und das Horn von Afrika. Die Obergrenze des Mandats ist von 1.800 auf 1.400 Soldaten abgesenkt worden - derzeit sind aber sowieso nur 250 Marinesoldaten am Horn von Afrika im Einsatz. Diese Reduzierung - die de facto zur Zeit keine Rolle spielt - ist ein Zugeständnis an die SPD, aus deren Reihen im vergangenen halben Jahr zunehmend kritische Stimmen kamen. Besonders umstritten ist die Rolle der KSK. Bis zu 100 dieser Elitesoldaten stellt die Regierung für die OEF zur Verfügung. Seit einem Jahr ermittelt die Staatsanwaltschaft Tübingen gegen KSK-Soldaten. Sie sollen den in Bremen geborenen Türken Murat Kurnaz 2002 in Afghanistan misshandelt haben. Laut Verteidigungsminister Franz Josef Jung kam die KSK allerdings in den vergangenen zwei Jahren nicht zum Einsatz. Der militärische Nutzen von OEF ist hoch umstritten, OEF gilt als "politischer Einsatz", um den Amerikanern uneingeschränkte Solidarität zu zeigen - mit möglichst geringem Aufwand. Die Kritiker des Einsatzes wenden jedoch ein, es handle sich um einen US-amerikanisch geführten schmutzigen Krieg mit zahlreichen zivilen Opfern. Er verschärfe den Konflikt mit den Taliban und anderen Terrorgruppen in Afghanistan mehr, als dass er ihn schwäche. Deutschland solle sich daher nicht länger an OEF beteiligen. Zu den Kritikern gehören: die gesamte Fraktion der Grü nen sowie der Linken, ein Teil - wohl weniger als ein Drittel - der SPD-Fraktion sowie einzelne Unions- und FDP-Politiker. KATHARINA KOUFEN

Am nächsten Mittag blockiert ein Dutzend gepanzerter Humveees die Straße. Nur eine gute Stunde zuvor, so Dorfbewohner, hätten sich US-Soldaten noch mit den Taliban ein Feuergefecht geliefert. Sie deuten nach Westen, wo Berge in den blauen Novemberhimmel ragen: "Von dort sind sie gekommen." Ein Polizist ist anderer Meinung. Er zeigt auf die nahen Qalas, die mächtigen Wohnburgen der örtlichen Paschtunen mit ihren meterhohen Lehmmauern. "Die dort wohnen, sind alles Taliban." Die Schüsse seien von dort gekommen. Ob die US-Soldaten nun unter dem Isaf- oder unter dem OEF-Mandat geschossen haben, bleibt - wie so oft in Afghanistan - im Dunkeln.

"Wo die Straße endet, fängt der Einfluss der Taliban an." Mit diesem Satz hatte sich noch vor einem Jahr General Karl Eikenberry, damals Kommandeur der Nato-Truppen in Afghanistan, gern zitieren lassen. Die Nadelstichtaktik à la Salar der Taliban lässt solchen Zweckoptimismus inzwischen hohl klingen. Umso mehr, als die Straße Kabul-Kandahar das US-Paradeprojekt beim Wiederaufbau der afghanischen Infrastruktur ist. 640.000 Dollar hat jeder der 480 Kilometer des doppelspurigen Asphaltbands gekostet. Die Ingenieure und Straßenbauarbeiter mussten in schwer bewachten Camps untergebracht und auch tagsüber bei der Arbeit gegen Überfälle und Entführungen geschützt werden. Das machte das Ganze teuer.

Vier Jahre nach der Eröffnung hat der Verkehr auf der Straße merklich nachgelassen. Viele Afghanen halten die Reise mittlerweile für zu gefährlich. Einheimische Entwicklungshelfer löschen vorsichtshalber Telefonnummern und lassen Visitenkarten und Notizbücher zu Hause, die darauf hindeuten könnten, dass sie für ausländische Auftraggeber arbeiten. Man weiß nie, wann Taliban Straßensperren errichten und Fahrzeuge kontrollieren.

Die Straße nach Kandahar ist nicht das einzige problematische Prestigeprojekt. In den Bergen der südlichen Problemprovinz Helmand ist die Wiederinbetriebnahme des Staudamms von Kajaki, mit 18 Megawatt Kapazität der größte im Land, ins Stocken geraten. Nur mühsam halten britische Kommandos sowie einheimische Soldaten und Polizisten den Sicherheitsring um das 500-Millionen-Dollar-Projekt, das 400 Arbeitsplätze schaffen und Ende 2008 1,7 Millionen Afghanen mit Strom versorgen soll. Zur Zeit arbeiten nur gut 40 Einheimische dort, die die Taliban täglich überzeugen müssen, sie zu ihren Jobs durchzulassen. Taliban-Scharfschützen haben es auf Soldaten abgesehen, die dort ihr Fladenbrot kaufen. Der Bau der etwa 80 Kilometer langen Zugangsstraße und der parallelen Überlandleitung durch Taliban-Gebiet ist über die ersten sieben Kilometer nicht hinausgekommen. Die örtlichen Stämme weigern sich aus Furcht vor den Aufständischen, die Bewachung zu übernehmen. Wann die Bautrupps Kajaki wirklich erreichen, weiß allein Allah. Und ohne Straße kann die neue Turbine, die zu schwer für den Lufttransport ist, nicht nach Kajaki gebacht werden.

Kajaki und Seyyedabad mit Salar sind auf der Zugangs-Karte der Vereinten Nationen mit Rot bzw. Orange markiert. Laut UNO bedeutet das: Wer sich dort als Ausländer betätigt, geht ein "extremes" oder ein "hohes Risiko" ein. Mehr als ein Drittel der fast 400 Distrikte des Landes stuft die UNO in diese Kategorien ein, vor allem im Süden des Landes. Ein weiteres Drittel sei mit "mittlerem" Risiko behaftet.

Aber auch in den anderen Gebieten kann die Gefahr von Anschlägen und Entführungen nicht ausgeschlossen werden. Das zeigte der Fall eines im März ermordeten Mitarbeiters der Welthungerhilfe, der in "grünem" Gebiet mit "niedrigem Risiko" unterwegs war. Oder der Anschlag vergangene Woche in Pul-e Khumri nördlich von Kabul, bei dem sechs Parlamentsmitglieder und mindestens 59 Schulkinder getötet wurden. Bisher sind die Hintergründe der Tat unklar, aber in Kabuls Gerüchteküche brodelt es. Taliban, Machtkämpfe lokaler Warlords oder rivalisierende wirtschaftliche Interessengruppen werden als Urheber genannt. Andere vermuten eine Verschwörung mit Regierungsbeteiligung. "Karsai hat meinen Mann getötet!", habe die Witwe eines der Getöteten Kondolenzbesuchern zugerufen. Das bekannteste Opfer, Exminister Sayed Mustafa Kasemi, war Sprecher der oppositionellen Nationalen Front, die in zwei Jahren Präsident Hamid Karsai bei der Präsidentschaftswahl herausfordern will. Wer auch immer die Bombe platzieren ließ - sie hat weiter zur landesweiten Atmosphäre der Unsicherheit beigetragen.

Arsala Dschamal, Gouverneur der fast vollständig "roten" und "orangen" ostafghanischen Provinz Chost, hält diese Einstufungen für falsch. Dabei entging er selbst erst Ende Oktober knapp einem Anschlag. Es war der fünfte in weniger als einem Jahr. "In den letzten 14 Monaten ist kein einziges Entwicklungsprojekt hier angegriffen worden. Das sind u. a. sieben Straßen in Distriktzentren, 13 Dämme zum Schutz gegen Überflutungen und 47 Schulen", sagt er. "Seit März hat es keinen Angriff auf ein Distriktzentrum gegeben, von ein paar Granaten abgesehen, die weit am Ziel vorbeiflogen. Kein einziges Dorf in Chost wird von den Taliban kontrolliert."

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