Tennis-Sport in der Krise: Schwere Zeit nach Boris und Steffi

Die Vereine sind überaltert, die Superstars fehlen. Tennis, die Boom-Sportart der 80er, kämpft verzweifelt gegen Mitgliederschwund und Desinteresse.

Da war die Tennis-Welt noch in Ordnung: Steffi Graf und Boris Becker '89. Bild: dpa

BERLIN taz Die Frauen hüpfen auf der Stelle. Auf Kommando der Trainerin machen sie einen Schritt nach vorne und schwingen ihre Tennisschläger. Mal Vorhand, mal Rückhand, ein Volley, dann ein Schmetterball - alles ohne Ball. Dazu schallt aus einer tragbaren Stereoanlage Diskomusik. Ein lustiges Tennisballett. "Warm up" nennt Trainerin Monika Bergmann diese Trockenübungen. Am Fenster der Tennishalle in Berlin-Marienfelde hängt ein Plakat mit der Aufschrift "Cardio Tennis, jeden Sonntag, 12-13 Uhr, nähere Info bei Moni".

Die ersten Tennisvereine wurden in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet - angeblich auf Anregung englischer Kurgäste. Sporthistoriker bezeichnen sie als snobistisch und elitär. Einen starken Mitgliederzuwachs hatte der Deutsche Tennis-Bund (DTB) in den 70er- und 80er-Jahren zu verzeichnen; 1978 übersprang die Mitgliederzahl in den Vereinen erstmals die Millionengrenze und verdoppelte sich bis 1989 auf über zwei Millionen. Es waren die erfolgreichsten Jahre von Steffi Graf, die zwischen 1986 und 1999 genau 107 Einzeltitel gewann, und Boris Becker, der 1985, 1986 und 1989 in Wimbledon erfolgreich war. 1994 war der Höhepunkt mit 2.300.000 Mitgliedern erreicht; seitdem geht es bergab: Jahr für Jahr verliert der DTB Mitglieder, Ende 2006 waren es noch 1.658.803. Immerhin steht der DTB damit noch an dritter Stelle der deutschen Sportverbände - hinter dem Deutschen Fußballbund (6,4 Millionen) und dem Deutschen Turnerbund (5). JH

Cardio Tennis ist ein Fitnesszirkeltraining mit Tenniselementen. Es wird Seil gesprungen, um Hütchen herumgelaufen, mit dem Softball im Halbfeld gespielt. Aber auch klassische Schlagübungen stehen auf dem Programm. Nach der ersten Einheit stehen die Frauen zwischen 35 und 60 Jahren still und schauen auf die Uhr an der Wand der Tennishalle. Alle fünf haben die Finger der rechten Hand auf ihr linkes Handgelenk gelegt und messen ihren Puls. Den Tennisschläger haben sie unter den Arm oder zwischen die Beine geklemmt.

"In Amerika ist Cardio Tennis ein Renner", erklärt Monika Bergmann. "Bei uns findet es keinen besonders großen Anklang." Monika Bergmann ist hauptberufliche Tennislehrerin und hat Anfang des Jahres die Fortbildung zur Cardio-Tennis-Trainerin absolviert. Was ein bisschen klingt wie eine Sportart für Reha-Patienten ist in Wirklichkeit der Versuch, eine aus der Mode gekommene Sportart zu rehabilitieren. Mit Hilfe von Cardio Tennis möchte der Deutsche Tennis-Bund (DTB) auf die Fitnesswelle aufspringen und sich neue Zielgruppen erschließen. Doch ob mit einer Art Tennis-Aerobic die seit Jahren sinkenden Mitgliederzahlen im DTB aufzuhalten sind?

Die Frauen haben mittlerweile einen Kreis gebildet, in der Mitte liegt ein Tennisschläger mit Bällen. Sie müssen die Bälle erlaufen und auf ihre Schläger legen. Danach werden Schläge trainiert, dreimal Vorhand für jede Spielerin, dazwischen muss über eine am Boden liegende Strickleiter gehüpft werden. "Oh Gott, was ne Pflaume", schimpft Dorit, als sie einen Ball verschlägt. Die beiden Nachbarplätze der Tennishalle stehen leer. "I will survive" von Gloria Gaynor gellt aus den Boxen. Gilt das auch für den Tennissport?

"Wir hatten Ende der 80er-Jahre 600 erwachsene Mitglieder und eine Warteliste von bis zu 300 Leuten", erklärt Roswitha Habert in einer kurzen Trinkpause. Sie ist Beisitzerin im Vorstand des Tennisvereins "An der Heilandsweide", zu dem die Halle (3 Felder) sowie acht Freiplätze gehören. "Heute haben wir 395 Mitglieder, inklusive Kinder." Warum es bergab geht, dazu haben die Frauen vielfältige Erklärungen: zu große Konkurrenz durch andere Sportarten, kein Durchhaltevermögen der Jugendlichen, keine Superstars als Zugpferde. "Die meisten Tennisvereine sind überaltert", sagt Habert und geht zurück auf den Platz. Insgesamt springen und spielen die Frauen eine Stunde lang, zwischendrin messen sie immer wieder ihren Puls. Alle sind am Schluss begeistert von der Trainingseinheit. "Das ist eine gute Kombination", sagt Dorit, "man ist ständig in Bewegung und die Musik schwingt dich hoch." Die Frauen sammeln die Bälle ein, Trainerin Bergmann räumt Seile und Hütchen zusammen und schaltet das Hallenlicht aus. Es ist Sonntag, 13 Uhr, alle drei Plätze bleiben leer.

Im Clubhaus wartet bereits Michael Salzburg, der Vorstandsvorsitzende des Heilandsweide-Tennisvereins, der 1977 gegründet wurde. "In den 80ern und Anfang der 90er-Jahre konnten wir noch Aufnahmegebühren verlangen, so groß war das Interesse an einer Club-Mitgliedschaft", erinnert er sich. Eine Zeit, in der Tennisvereine überall aus dem Boden schossen und die Erfolge von Boris Becker und Steffi Graf zahlreiche Sportler hineinspülten.

"Diejenigen, die damals angefangen haben, spielen in der Regel heute noch", sagt Salzburg. "Es hapert am Nachwuchs, an jungen Erwachsenen. Früher hat man sich für Tennis entschieden und ist dann auch dabei geblieben - schon wegen des Geldes." Heute hingegen würde viel stärker zwischen Sportarten hin und her gewechselt, mehr ausprobiert. Und andere Sportarten hätten wieder an Attraktivität gewonnen, "Fußball, Handball, Basketball".

Die Folgen sind schmerzlich für den weißen Sport: Seit 1995 nimmt die Zahl der Vereinsmitglieder in Deutschland jedes Jahr weiter ab, die Zahl der Tennisclubs ist in den vergangenen dreizehn Jahren um 152 gesunken. "Der DTB hat sich auf dem Becker-Graf-Boom ausgeruht", sagt Monika Bergmann. "Erst jetzt versucht er, wieder neue Mitglieder zu gewinnen." Cardio Tennis ist ein - verzweifelter - Versuch; ein anderer ist die Aktion "Deutschland spielt Tennis!", bei der im April 2007 zum ersten Mal viele deutsche Tennisvereine eine gemeinsame Saisoneröffnung planten und damit für ihre Sportart warben. Aber nicht nur die Vereine, auch die Tennis-Industrie bekommt den Spielerrückgang zu spüren. Daher haben sich zahlreiche Tennisausrüster und die Blätter Deutsche Tennis Zeitung und Tennis Magazin mit dem DTB zur Initiative "Sweetspot" zusammengeschlossen und wollen mit einer "breit angelegten PR- und Event-Offensive eine Trendwende herbeiführen und dem Tennissport in Deutschland zu neuem Glanz verhelfen", wie es im Internet auf sweetspot-tennis.de heißt.

Zurzeit ist die erwünschte Trendwende noch nicht zu erkennen. In Tennishallen werden mangels Interesse Tennisplätze zu Fußballfeldern umfunktioniert, die Beiträge in den Vereinen steigen an - die ursprünglich elitäre Sportart wird wieder teurer. "Ich glaube, dass noch weitere Vereine dichtmachen müssen und dass andere durch den Mitgliederzustrom aus den gestorbenen Vereinen überleben werden", prognostiziert Michael Salzburg. Tennis wird sich also gesundschrumpfen - zurück auf ein Maß, wie es vielleicht der Sportart entspricht. Und wenn wieder ein deutscher Tennisspieler überragende Erfolge feiern würde? "Superstars ändern nichts an den Strukturproblemen", sagt Salzburg nüchtern. "Einmal Tennisspieler, immer Tennisspieler - das gilt heute nicht mehr."

Auf den Freiplätzen vor dem Clubheim liegen die Blätter der Bäume, es nieselt. Eine Sportart im Herbst, etwas geht zu Ende. Aber irgendwie auch weiter.

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