Rudy Giuliani: Die Antithese der "Value Voters"

Viele erschien der New Yorker Ex-Bürgermeister Rudy Giuliani als hemdsärmeliger Rechtsanwalt. Inzwischen führt er seit Wochen das republikanische Bewerberfeld an.

"Weit außerhalb Giuliani vom konservativen Mainstream": Rudy Giuliani Bild: ap

Er ist eine der größten Überraschungen des bisherigen US-Präsidentschaftswahlkampfes. Rudy Giuliani, gern der "Bürgermeister Amerikas" genannt, führt seit Wochen mit 25 bis 29 Prozent Zustimmung das republikanische Bewerberfeld an. Am wenigsten hatten das die für möglich gehalten, die meinen, die US-Konservativen besonders gut zu kennen. Vor allem Journalisten hatten anfänglich stark auf John McCain und Fred Thompson gesetzt. Zwei Kandidaten, die bislang eher Mühe haben, sich im Rennen um die republikanische Kandidatur zu halten. McCain dümpelt gegenwärtig gemeinsam mit dem Mormonen Mitt Romney bei 14 Prozent, Thompson hat einen Sympathiepunkt mehr.

Seit George W. Bush mit kräftiger Unterstützung der Christlich-Konservativen und Evangelikalen zum US-Präsidenten gewählt worden war, hielten es politische Strategen für ausgemacht, dass ein Kandidat der Rechten auf der Wellenlänge der stramm Religiösen liegen müsse. Doch Giuliani, der hemdsärmelige Rechtsanwalt und ehemalige New Yorker Bürgermeister, ist so ziemlich die Antithese zu dem, was den sogenannten "Value Voters" heilig ist. Giuliani hat zweifellos einen hervorragenden Ruf als New Yorker Macher, der die Stadt nach den Terrorattacken vom 11. September 2001 bestens managte. Gleichzeitig ist sein Privatleben in den Augen konservativer US-Amerikaner jedoch ein schwer verzeihliches Chaos.

Giuliani, Katholik, verließ Ehefrau Nr. 2 für Ehefrau Nr. 3, ohne die Ehe nach kirchlichem Recht annullieren zu lassen. Nach seiner Trennung wohnte Giuliani bei einem schwulen Paar auf der Upper East Side. Seine beiden Kinder aus erster Ehe haben sich von ihm abgewandt - und gaben sogar an, für jemand anderen als ihren Vater stimmen zu wollen. Der geht schon lange nicht mehr regelmäßig in die Kirche und spendete gemeinsam mit seiner zweiten Frau in den 90er-Jahren für Organisationen, die ein Recht auf Abtreibung befürworten. Kein anderer Kandidat, auch nicht der Demokraten, kann mit einer für amerikanische Verhältnisse so langen Liste an Provokationen aufwarten.

Als Giuliani seine Kandidatur im Februar bekannt gab, waren sich Beobachter deshalb sicher, dass der Mann im Geschwirr des Wahlkampfes höchstens eine Eintagsfliege sein würde. "Amerikaner wissen nicht, wie weit außerhalb Giuliani vom konservativen Mainstream ist", meinte damals Tony Perkins, der Chef des ultrakonservativen "Family Research Council". Er spekulierte auf Rudys baldige Entzauberung. Das Kalkül ging nicht auf. Jeder Fehltritt, jeder Seitensprung und jede Unkorrektheit sind mittlerweile heraus. Doch noch immer glänzt der Haudegen in den landesweiten Umfragen und kann in den Bundesstaaten, in denen seine Konkurrenten Heimvorteil haben, bestens mithalten.

Das kann nur eines bedeuten: dass die evangelikalen Moralapostel nicht mehr die politischen Schwergewichte sind, für die sie sich noch halten. Das hieße, dass der US-amerikanische Mainstream längst weniger Angst vor der Homoehe hat als vor einem Sieg von Hillary Clinton. Die New York Times wagte schon zu prophezeien, dass Rudy Giuliani, sollte er im Frühjahr 2008 tatsächlich zum Kandidaten der republikanischen Partei gekürt werden und einen Siegestanz aufführt, "ihn auf den Gräbern der evangelikalen Wadenbeißer tanzen kann".

Einer CBS-News-Umfrage zufolge wollen weiße Evangelikale, wie die meisten US-Bürger auch, von einem Kandidaten vor allem hören, wie der Irakkrieg beendet werden kann und welche Steuerpolitik sie planen. Auf der Liste brennender Themen rangierte Armutsbekämpfung noch vor Abtreibung, und die landete an letzter Stelle. Bei dieser Umfrage erhielt Rudy Giuliani von den Evangelikalen übrigens 26 Prozent Zustimmung - genauso viel wie bei Umfragen unter Konservativen allgemein.

Die christliche Rechte hat das Weiße Haus seit acht Jahren fest im Griff. Doch ein weiteres Indiz dafür, dass sie nun andere Sorgen als Stammzellen hat, ist der Kandidat, den sie nur lau unterstützt: Mike Huckabee. Der Expriester und frühere Gouverneur von Arkansas wäre der natürliche Kandidat der christlichen Rechten. Er glaubt an Intelligent Design statt an Evolution und nennt Abtreibung einen "Holocaust". Doch Verlierer-Typen wollen die machtverwöhnten Evangelikalen offenbar nicht glauben. Huckabee rangiert bei Umfragen mit acht bis zehn Prozent fast an letzter Stelle.

Neue Spekulationen sähen ihn jedoch gerne als "Running mate", als Werte-Kandidat fürs Vizepräsidentenamt. Ob mit Rudy, das wird sich bald zeigen.

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