Kommentar Giftspritzen-Urteil: Die Todesstrafe ist nie human

Der Oberste Gerichtshof der USA hat die Vollstreckung von Hinrichtungen de facto vorerst ausgesetzt. Doch in den USA fehlt eine starke Fraktion, die sich für die Abschaffung einsetzt.

Was muss eigentlich noch passieren, damit die Todesstrafe auch in den USA endgültig abgeschafft wird? Jetzt hat der Oberste Gerichtshof der USA die Vollstreckung von Hinrichtungen de facto bis auf weiteres ausgesetzt. Zuerst solle gerichtlich geklärt werden, ob die Anwendung der Giftspritze nicht doch eine "grausame und ungewöhnliche Strafe" darstellt und daher verboten ist. Das Urteil entzieht der Exekutionspraxis den letzten Rest Legitimation und humaner Bemäntelung.

Vorangegangen waren in den vergangenen Jahren Dutzende von Prozessen und Nachrecherchen, in denen Fehlurteile und - mitunter rassistisch motivierte - Justizschlampereien bei Todesurteilen nachgewiesen wurden. Wer es wissen wollte, konnte begreifen: Das System Todesstrafe funktioniert nicht - weder juristisch noch gesellschaftspolitisch oder moralisch. Und rein praktisch auch nicht.

Erst als diese Einsicht jenseits der erbitterten Debatte zwischen Befürwortern und Gegnern der Todesstrafe um sich griff, kam Bewegung in den Diskurs. Und sie hat die Todesstrafe ihrer Abschaffung näher gebracht, als es Todesstrafengegner über Jahrzehnte erreichen konnten.

Das neue Urteil könnte für diese optimistische Hypothese die vorletzte Bestätigung sein. Und dennoch liegt vermutlich nicht falsch, wer glaubt, dass in den USA so bald wie juristisch möglich erneut Menschen vom Staat vorsätzlich umgebracht werden. Denn noch immer findet sich in der politischen Klasse keine ausreichend starke Fraktion, die die Einstellung zur Todesstrafe grundsätzlich in Frage stellt und sich auch traut, dafür zu werben und Mehrheiten zu schaffen. Solang das aber nicht geschieht, wird schon die nächste Methode, die schmerz- und leidensfreies Töten verspricht, umgehend zur neuen Praxis werden.

Die grundsätzliche Ablehnung der Todesstrafe muss von innen kommen. Die USA auf ihre schlechte Nachbarschaft in dieser Frage mit Ländern wie China oder Iran hinzuweisen, führt nur zu eigenartig irrationalen Trotzreaktionen. Es bleibt also lediglich die Hoffnung, dass Urteile wie das vom Dienstag - und jenes, das im Frühjahr kommen wird - die Debatte endlich auf eine andere Stufe heben.

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Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org

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