Hilfsorganisation betreibt Kinderhandel: Ein Wunschkind aus Darfur

Das französische Hilfswerk "Arche de Zoé" wollte Waisen aus Darfur retten - sammelte stattdessen aber Kinder aus Tschad ein. Jetzt wurden die Helfer verhaftet.

Warten aufs Waisenkind: Pflegemütter am Flughafen Vatry in Frankreich. Bild: ap

"Alle fünf Minuten stirbt in Darfur ein Kind", erklärt die Homepage des französischen Hilfswerks "Arche de Zoé". In einem fünfminütigen Video sieht man schwarz-weiße Elendsbilder aus Sudan, untermalt mit trauriger Musik und eingeblendeten "Fakten": 550.000 Menschen seien in Darfur bislang getötet worden, 800.000 Kindern drohe der Tod innerhalb eines Jahres. "Man muss handeln, um diese Kinder zu retten!", heißt es Weiß auf Schwarz. "Jetzt! In ein paar Monaten werden sie tot sein."

Jetzt sitzen die selbst ernannten Retter im Nachbarland Tschad im Gefängnis. Am Donnerstag wurde die sechsköpfige Leitung von "Arche de Zoé" zusammen mit drei begleitenden Journalisten im osttschadischen Abéché festgenommen, während sie 103 Kinder in ein Flugzeug nach Frankreich setzen wollte. Der belgische Pilot und die spanische Besatzung folgten wenig später. Gestern noch sollten die insgesamt 16 Festgenommenen wegen Kindesentführung angeklagt werden. Tschads Präsident Idriss Déby verspricht "harte" Strafen, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy nennt das Vorgehen der Helfer "illegal und unakzeptabel", Sudans Regierung richtet eine Untersuchungskommission ein, das UN-Kinderhilfswerk spricht von einer Aktion "zwischen Ignoranz und Betrug".

Es sollte eine medienwirksame Rühraktion werden. Im April hatte sich der Wohltätigkeitsverein "Arche de Zoé" in den Kopf gesetzt, 10.000 Waisenkinder aus Darfur im Alter von bis zu fünf Jahren nach Europa oder Nordamerika auszufliegen. Gastfamilien wurden gesucht, die Sympathie des französischen Darfur-Aktionsbündnisses "Sauver le Darfour" eingeholt, eine Unterorganisation "Familienkollektiv für Darfurs Waisen" (Cofod) entstand. "Bei Ankunft auf französischem Boden werden die Kinder von freiwilligen wohltätigen Familien in Empfang genommen", erklärte das Hilfswerk auf Informationsblättern. Die Familien würden dann für die Kinder Asyl in Frankreich beantragen.

Jeder kann theoretisch von "Arche de Zoé" ein Darfur-Kind bekommen, oder auch mehrere. Die Antragsformulare stehen im Internet. Man darf sogar das Wunschalter des Kindes angeben. Es kostet allerdings 90 Euro Anmeldegebühr, dazu "mindestens" 1.400 Euro Spende nach Annahme des Antrags und weiter 100 Euro "freiwillige" Spende an "Arche de Zoé" pro Jahr. Falls eine Familie auf die abwegige Idee kommen sollte, sie habe mit diesem Geld ein Darfur-Kind legal erworben, stellt der Verein klar, er sei "keine Adoptionsagentur". Versprochen wird aber eine Liste von spezialisierten Adoptionsanwälten.

Letztendlich fanden sich für die Rettungsaktion 258 Gastfamilien in Frankreich und in Belgien. Sie warteten am Donnerstagabend auf dem französischen Kleinflughafen Vatry auf das Kinderflugzeug aus Darfur.

Da waren die Kinder schon längst in Abéché in Sicherheit, vom Flughafen der osttschadischen Kleinstadt erst in eine Sozialstation und dann in ein Kinderheim gebracht. UN-Helfer untersuchten sie, am Wochenende wurden sie sogar der Presse vorgeführt. Die Bilanz war verheerend. Die meisten der 81 Jungs und 22 Mädchen sind offensichtlich weder Waisen noch aus Darfur. Viele trugen Verbände, unter denen sich aber keine Wunden verbargen. Sie waren gesund, aber hungrig und durstig, vielleicht um bei der Ankunft in Vatry einen leidenden Eindruck zu machen. Das älteste war ein 10-jähriges Mädchen aus dem tschadischen Tiné, und es sagt, sein Vater habe auf dem Feld gearbeitet, als ein Auto mit zwei Weißen ankam. Der schwarze Fahrer sagte: "Komm mit, du kriegst einen Keks und dann fahre ich dich wieder nach Hause". Sie stieg ein. Andere Kinder sagten, man habe sie mit Bonbons gelockt.

"Arche de Zoé" ist kein Unbekannter. Sein Schöpfer Eric Breteau ist ein Draufgänger, freiwilliger Feuerwehrmann und Gründer des französischen Vereins der 4x4-Geländewagenfahrer. Nach der asiatischen Tsunami-Katastrophe zu Weihnachten 2004 reiste er auf die indonesische Insel Aceh und gründete "Arche de Zoé", das mit Geld des Vereins "Feuerwehrmänner ohne Grenzen" (PSF) Schulen und Obdachlosenlager leitete. Etablierte Hilfswerke erinnern sich mit Schaudern an diese Zeit: "Da kamen Scientologen, die mexikanische Armee, die französischen Geländewagenfahrer", erzählte später der französische Leiter von "Ärzte ohne Grenzen" auf Aceh. Frankreichs Rechnungshof bescheinigte PSF später sachfremde Verwendung von Hilfsgeldern.

Die alten Verbindungen helfen noch heute. Einige der Helfer von "Arche de Zoé" trugen bei der Festnahme im Tschad Feuerwehruniformen, was ja irgendwie amtlich aussieht. Und als die Organisation diesen Sommer im Tschad begann, Waisenkinder aus Darfur zu suchen, ließ sie sich von Frankreichs Luftwaffe herumfliegen. Von da zum Verdacht, die Aktion habe offizielle Billigung gehabt, ist es nicht weit.

Die Wahrheit ist wohl prosaischer: Keiner kümmerte sich - oder "Arche de Zoé" arbeitete verdeckt. Frankreichs zuständige Staatssekretärin Rama Yade sagte schon im Sommer, sie sei dagegen, und im August wurde Eric Breteau in Frankreich von der Polizei vorgeladen und ihm bedeutet, er solle aufhören. Aber im Tschad wurde offenbar niemand gewarnt, obwohl klar gewesen sein müsste, dass die Organisation nur aus Tschad Waisen evakuieren kann - im Sudan ist sie nicht akkreditiert, und die dortigen Hilfswerke haben sich nach UN-Angaben geeinigt, mit "Arche de Zoé" nichts zu tun haben zu wollen.

Um ganz sicher zu gehen, nannte sich "Arche de Zoé" im Tschad "Children Rescue". Ihre Maschine erhielt im Tschad eine Sondergenehmigung für einen nicht näher begründeten "medizinischen Evakuierungsflug" direkt aus Abéché nach Frankreich. Am Flughafen von Abéché geht nichts, was Frankreichs Militär nicht billigt, meint ein Helfer vor Ort: "Die Maschinen stehen direkt vor dem Flughafengebäude und die französischen Soldaten 100 Meter weiter", sagt er. Aber die Militärs griffen nicht ein, sondern es war der Provinzgouverneur, der den Flug stoppte.

Nun sagt die Organisation, Ältestenführer hätten bescheinigt, alle Kinder seien Waisen aus Darfur - aber einer der von "Arche de Zoé" angeheuerten Fahrer hat ausgesagt, die Franzosen hätten erklärt, sie wollten kranken Kindern in Abéché helfen. Die Organisation sagt, sie habe im Tschad die Genehmigung, Kinder aufzunehmen, gibt aber zu, sie habe "vergessen", eine Genehmigung zur Evakuierung einzuholen - Tschads Behörden sagen, die Papiere der Kinder seien gefälscht. Ein deutscher Experte äußert Zweifel an der Darstellung der Hilfsorganisation: "Wenn man hundert Kinder aus einem Lager rausholt, haben die doch gar keine Pässe, also muss das illegal gelaufen sein."

Vor allem scheinen die selbst ernannten Wohltäter aus Frankreich völlig unterschätzt zu haben, was für eine Wut ihre Aktion ausgelöst hätte, selbst wenn sie erfolgreich gewesen wäre. Die Erregung im Tschad ist einhellig. Europa schließt seine Grenzen und zwingt afrikanische Flüchtlinge auf Todesreisen über Atlantik und Mittelmeer - aber Europäer dürfen nach eigenem Gutdünken Kinder aus Afrika zu sich holen.

Der tschadische Oppositionsführer Yorongar Ngarlejy vergleicht die Aktion von Abéché mit dem Sklavenhandel früherer Zeiten, bei dem ebenfalls ausgewählte Afrikaner von Europäern gegen Geld aus ihrer Heimat entfernt wurden. "Während Frankreich neue drakonische Einreisebestimmungen einführt, darunter ein DNA-Test als Bedingung für ein Visum, kommt ein Flugzeug nach Abéché und will 103 Kinder nach Frankreich holen, ohne ein einziges Papier", erregt sich Yorongar und fährt fort: "Wie viele unserer Kinder sind von Helfern und Militärs im Busch missbraucht worden? Wie viele von ihnen werden nach Europa zu Pädophilen oder Organhändlern verschickt?"

Die Wohltäter sind in Deckung. Alle Telefone sind auf Mailbox gestellt. Auf der belgischen Webseite des Evakuierungskollektivs steht: "Das Abendessen am 31. Oktober ist abgesagt. Reservierte Mahlzeiten werden erstattet."

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