Debatte: Leben in der Warteschleife

Nach den Ferien werden wieder viele Schulabgänger ohne Ausbildungsplatz dastehen. Das gilt besonders für Kinder von Einwanderern. Doch die Politik reagiert zu langsam.

"Integration bedeutet umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben": Erst kürzlich, beim großen Integrationsgipfel von Angela Merkel, war dieses Mantra wieder allerorten zu hören. Doch auch wenn diese und ähnliche wohlklingenden Formulierungen heute zum Standardrepertoire der Politik gehören: Von einer "umfassenden Teilhabe" sind die meisten Zuwanderer in Deutschland noch weit entfernt. Das gilt selbst für deren Nachkommen, die schon in der zweiten und dritten Generation in Deutschland leben.

Diese bittere Lektion müssen viele Jugendliche lernen, die zum Beginn der Sommerferien die Haupt- und Realschulen mit oder ohne Schulabschluss verlassen haben. Denn für viele endet die berufliche Zukunft bereits, bevor sie richtig begonnen hat. Unter den Auszubildenden des dualen Systems ist der Anteil "ausländischer Jugendlicher", wie sie in der Statistik genannt werden, dramatisch gesunken; nach Angaben der Friedrich-Ebert-Stiftung beträgt er gerade noch lächerliche 4 Prozent. Die große Mehrheit der Schulabgänger "mit Migrationshintergrund", wie es so schön heißt, macht dagegen zunächst mal "große Ferien". Dann wird sie in das sogenannte Übergangssystem geleitet, wie die diversen schulischen und außerschulischen Ersatzmaßnahmen bezeichnet werden.

Doch die Aussichten in diesem "Übergangssystem" sind trübe: Noch nicht einmal die Hälfte schafft daraus den Sprung in eine "richtige" Ausbildung. Nicht zuletzt aufgrund dieser bescheidenen Erfolgsbilanz ist die Motivation vieler Jugendlicher, an solchen weiterbildenden Maßnahmen teilzunehmen, nicht sehr hoch. Vor allem bei den schulischen Maßnahmen, im Berufsgrundschuljahr und im Berufsvorbereitungsjahr, werfen drei Viertel aller Teilnehmer vorzeitig die Brocken hin.

Männliche Jugendliche "mit Migrationshintergrund" zählen zu den großen Verlierern dieses Systems. Weil sie oft keine oder nur schlechte Schulabschlüsse besitzen, bilden sie vielerorts die Hauptklientel des Systems. Damit beginnt und endet auch schon für die meisten von ihnen der Traum von einer hochwertigen Berufsausbildung in einem Maßnahmendschungel, der sie von "Warteschleife" zu "Warteschleife" führt. Sind alle Möglichkeiten erschöpft, müssen sie sich am Ende als Unqualifizierte auf dem Arbeitsmarkt verdingen. Wer Glück hat, landet in einem schlecht bezahlten Job im Dienstleistungsbereich: als Paketzusteller, als Security-Guards, bei McDonalds am Tresen oder als Handy-Verkäufer.

Der Politik ist das Problem seit langem bekannt, die Katastrophe im Übergangsfeld von Schule und Beruf ist ja auch kaum zu übersehen. Im Rahmen des "Nationalen Integrationsplans", den Angela Merkel beim Integrationsgipfel verkündet hat, will man nun endlich handeln. So hat sich die Wirtschaft verpflichtet, mehr neue Ausbildungsplätze bereitzustellen. Darüber hinaus gibt es ein Sonderprogramm zur Einstiegsqualifizierung, von dem insbesondere Jugendliche "mit Zuwanderungsgeschichte" profitieren sollen. Lobenswert ist auch die Initiative "Aktiv für Ausbildungsplätze", in der sich speziell solche Wirtschaftsunternehmen, die selbst von Zuwanderern geleitet werden, dazu verpflichtet haben, bis zum Jahr 2010 bis zu 10.000 neue Ausbildungsplätze zu schaffen.

Ob diese Pläne helfen, die Lage spürbar zu verbessern, muss sich zeigen. Zweifel sind jedoch angebracht, zumal sich der "Integrationsplan" zu weiten Teilen aus schönen Absichtserklärungen zusammensetzt. Wird er neue Ausbildungsplätze in der gewünschten Zahl schaffen? Das vermag niemand zu sagen.

Das eigentliche Problem ist ohnehin struktureller Natur, es ist das "Übergangssystem" selbst. Förder- und Qualifizierungsmaßnahmen für Jugendliche "mit Zuwanderungsgeschichte" sind nur dann sinnvoll, wenn sie zum möglichst reibungslosen Einstieg in die betriebliche Ausbildung verhelfen. Dazu aber bedarf es neuer Formen der Kooperation zwischen Schulen, Ausbildungsbetrieben, der Bundesagentur für Arbeit und Trägern der Jugendhilfe. Diese Systeme, bislang streng voneinander getrennt, müssen sich öffnen und miteinander kooperieren. Schulische Bildung, Ausbildungsplatzsuche und Ausbildung müssen als einheitliche Qualifizierungsphase organisiert werden, die Schüler nahtlos von der Sekundarstufe I in einen Ausbildungsbetrieb führt.

Vor allem viele kleinere Handwerksbetriebe hegen jedoch große Vorbehalte gegenüber männlichen Jugendlichen "mit Migrationshintergrund": Diese gelten oft als nicht ausbildungsfähig, weil es ihnen angeblich an wichtigen Schlüsselqualifikationen mangelt. Viele seien nicht imstande, einen schlichten "Dreisatz" zu rechnen, lautet eine weit verbreitete Klage. Hinzu kämen mangelnde Disziplin und fehlende kommunikative Fähigkeiten. Nicht selten führen diese Defizite zu Konflikten mit Kollegen und Vorgesetzten, die mit dem vorzeitigen Abbruch der Ausbildung enden können.

Gerade bei diesen Problemen, von denen "deutsche" Jugendliche übrigens im gleichen Ausmaß betroffen sind, würde eine individuell zugeschnittene Qualifizierungsphase mehr Erfolg versprechen. Der Übergang von der Schule in den Beruf läge dann im Verbund der Partner, die aufeinander abgestimmte Hilfestellungen anbieten. Auch eine flankierende sozialpädagogische Betreuung zumindest in der ersten Ausbildungsphase wäre sinnvoll.

Gefordert sind nicht nur die Akteure in Schule und Jugendhilfe. Der schwierige Übergang von der Schule in die Berufswelt kann nur gelingen, wenn sich das soziale Umfeld - und vor allem die Familien - Engagement zeigen. Gerade hier gab es in der Vergangenheit erhebliche Defizite zu beklagen. Leider zeigen viele Eltern aus Zuwandererfamilien nur wenig Interesse an der Bildungslaufbahn ihrer Zöglinge, oder sie sind damit überfordert. Die chronische Abwesenheit solcher Eltern auf relevanten schulischen Veranstaltungen wie Elternabenden spricht eine deutliche Sprache.

Dass die Bildungschancen von Zuwandererkindern in diesem Land nicht besonders gut sind, liegt aber nicht an der angeblichen "Integrationsunwilligkeit" vieler Zuwanderer, wie manche konservative Politiker behaupten. Die Krux liegt in einem Bildungssystem, das nicht mehr zeitgemäß ist. Viel zu lange wurde so getan, als gäbe es keine Zuwanderung. Doch Chancengleichheit lässt sich nur durch eine langfristige, gezielte Förderung von Zuwandererkindern erreichen. Sie muss die ganze Schullaufbahn und den Übergang ins Berufsleben umfassen.

Die Tatsache, dass drei Viertel aller Zuwanderer in Deutschland keinen Berufsabschluss haben, ist ein Skandal, der nicht länger hingenommen werden darf. Doch nicht überall scheint diese Botschaft schon angekommen zu sein. Vor allem manche schulischen Akteure verhalten sich noch immer oft schwerfällig und innovationsfeindlich. Hier muss schleunigst umgedacht werden. Sonst bleibt das Gerede von der "umfassende Teilhabe" nur eine leere Floskel.

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