Gabriele Pauli: Der Weiter-so-Wahlkampf

Eigentlich müsste Gabriele Pauli jetzt Wahlkampf machen. Aber die CSU-Landrätin macht weiter wie bisher: Kirchweih, Feuerwehrfest und jetzt auch noch Urlaub.

Aus dem harmlosesten Pflichttermin ein Spektakel gemacht: Gabriele Pauli Bild: dpa

Nein, das ist kein Tusch für Gabriele Pauli. Gerade eben ist die Landrätin von Fürth hier im Gymnasium des mittelfränkischen Langenzenn als Ehrengast eingetroffen - alle haben auf sie gewartet -, da gellt eine ohrenbetäubende Rückkopplung durch das Atrium des 80er-Jahre Baus. Die 200 Gäste, die sich hier zur Verabschiedung des Schulleiters versammelt haben, lachen. Es passt einfach zu gut: Die CSU-Politikerin, die ihren Parteifreund und langjährigen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber gestürzt hat, macht ungewollt auch noch den harmlosesten Pflichttermin zum Spektakel. Wegen der Lacher ist die etwas zu schicke Pauli kurz irritiert - dann lächelt sie wieder.

Lächeln ist eine der Hauptaufgaben von Landräten - und vielleicht ist Dr. Gabriele Paulis Dauerlächeln auch ein Grund dafür, dass sie so lange unterschätzt wurde. Bis sie im vergangenen Jahr, praktisch aus dem Nichts, loslegte: Zeigte es den Jungs in der CSU, trieb Stoiber vor sich her, forderte im Namen der Parteibasis eine Mitgliederbefragung, um zu ermitteln, wer künftig Spitzenkandidat der Partei für die Landtagswahlen 2008 sein sollte. Der ängstliche Ministerpräsident reagierte neunmalklug und dumm - und stürzte. Es ist, als habe ihm und seiner satten Männerriege an der Spitze der Partei einfach die Fantasie gefehlt, zu begreifen, was Pauli personifizierte. Und als sie es endlich realisiert hatten, war es zu spät. Zumindest zu spät für Stoiber.

Pauli hatte die Königsmörderin gegeben. Solche Menschen sind nötig, sie werden aber nie geliebt. Die Landrätin hat damals die Drecksarbeit gemacht - aber die Macht teilen wollen sich schon wieder die alten CSU-Granden Günther Beckstein, Erwin Huber und Horst Seehofer. Alles wie gehabt.

Doch wieder hat Pauli den Herren einen Strich durch die Rechnung gemacht: Auch sie will nun den Parteivorsitz. Dass ihre Chancen, auf dem CSU-Parteitag Ende September in München zu siegen, laut Meinungsumfragen schlecht stehen, scheint ihr nichts auszumachen. "Wenn es danach ginge", sagt sie, "wäre Stoiber noch im Amt." Da hat sie ja am Ende gewonnen, wenn auch anders als ursprünglich gewollt.

Nun müsste Pauli eigentlich Wahlkampf machen. Durchs Land reisen und dort der Basis ihr Programm erklären, Netzwerke knüpfen. Aber seltsam: Sie macht weiter wie bisher. Kirchweihfeste, Feuerwehrjubiläen, Planungstreffen mit anderen Landräten, Abschiedsfeiern. Eine große Strategie für den parteiinternen Wahlkampf kann oder will sie nicht beschreiben. Es seien "viele Anfragen da", sagt Pauli nur kurz. Außerdem, selbst eine noch so clevere Funktionärsstrategie könne schließlich - siehe Stoiber - scheitern. Sie macht erst mal Urlaub.

Und ihr Programm? "Seehuber", verspricht sie sich, nein: Seehofer und Huber hätten bisher außer privatem Kram und der Versicherung, "auf Stoibers Linie" zu sein, wenig vorgelegt. Auch ihres ist eher wolkig: Sie wolle "mehr Offenheit für politisch Andersdenkende", sagt sie. Und die "Willensbildung in der Partei offener gestalten". Pauli sagt, sie vertraue der Basis, und verweist auf eine Umfrage, wonach immerhin 56 Prozent der CSU-Wähler es gut finden, dass sie sich zur Wahl stellt. Dass aber momentan nur 15 Prozent sie wählen würden, erwähnt sie nicht.

Reicht das zum Erfolg? Zumindest ist ihr Aufmerksamkeit sicher. Wenn sie spricht, wie hier in Langenzenn, wird es sofort still, jedes ihrer Worte wird auf eine tiefere Bedeutung abgeklopft. Sie redet frei, aber auch etwas fahrig, fast nervös, manchmal lacht sie als Einzige über ihre Witzchen, um sie noch zu retten. Ist dies noch sympathische Natürlichkeit oder schon uninteressierte Abgehobenheit?

In jedem Fall wirkt der Sog der Macht - und sei es nur die einer Landrätin. In Bayern gibt es 71 Landräte, nur drei von ihnen sind Frauen. Pauli ist damit nicht nur eine Ausnahme, sie verbreitet auch den Duft der weiten Welt, wo immer sie in der Provinz auftritt. Die gepflegte Dame mit den manikürten Fingernägeln war so oft im Fernsehen, sogar in der New York Times, da will jeder sich gern ein eigenes Bild davon machen, wie eine Frau das wagen kann, so unverfroren nach der Macht zu greifen, der Macht, die - nicht nur in Bayern - fast nur den Männern gehört.

Im Langenzenner Gymnasium sagt sie etwas, was auf den scheidenden Schulleiter gemünzt ist, aber auch auf sie passt: "Es gibt eigentlich keine Probleme, sondern nur Herausforderungen, für die Lösungen gesucht werden müssen." Das klingt nach Beratungslektüre vom Wühltisch - aber es gibt Leute, die darauf ihr Leben aufbauen. Die Naiven sind oft die Mutigsten. Und ist das Ganze nicht auch ein großes Spiel? "Politik muss doch auch Spaß machen", sagt Pauli einmal. Aber wird ernst genommen, wer sich so zum Spaß bekennt?

Noch vor Ende der Veranstaltung steigt sie in ihren Audi Quattro, sie geht die Notizen für den nächsten Termin durch. Mit ihrem Palm telefoniert sie noch rasch mit einem Focus-Redakteur. Er fragt sie, warum sie als Einzige im 46-köpfigen CSU-Vorstand gegen den Entwurf des neuen Parteiprogramms gestimmt hat. Sie lehne, erklärt Pauli konzentriert, die einseitige Förderung traditioneller Ehen mit Kindern ab - schließlich brauchten auch Menschen in anderen Lebensformen, etwa allein erziehende Mütter, Hilfe. Auch die strikte Meinung, die Türkei solle nicht Mitglied der EU werden, unterstütze sie nicht.

Dann schlängelt sich der Wagen durch die Innenstadt von Fürth. Die Regionalpolitik ist wieder da - und mit ihr auch Paulis eigene Vergangenheit, das Helene-Lange-Gymnasium. Hier war sie 1973/74 Schulsprecherin, das steht auf ihrer Homepage neben dem berühmten Bild von ihr auf ihrer Ducati. Die Landrätin ist erneut ein wenig zu spät, die Preisverleihung der 15. Fürther Mathematik-Olympiade hat ohne sie angefangen. Paulis Rede ist wieder eher fahrig - glaubhaft wirkt sie, als sie hervorhebt, wie toll sie es findet, dass die Mehrheit der Preise an Mädchen geht.

Auch hier scheint Pauli die Fantasie der Menschen zu inspirieren: Oberstudienrat Paul Jainta, Vorsitzender des Fördervereins, sagt: "Wenn Frauen sich trauen - das passt auch ein bisschen auf Sie, Frau Doktor Pauli -", die Leute fangen an zu lachen, "wenn Frauen sich nur trauen, dann können die Jungs die Ohren anlegen." Wieder lächelt Pauli wie eine Sphinx, zupft an ihren kastanienbraunen Haaren. "Vielleichd werden Sie ja auch Kuldusminisderin - weiß man ja ned", witzelt Jainta auf Fränkisch. Pauli erträgt es.

Dann muss sie in einer ermüdenden Zeremonie hundert jungen Mathecracks ihre Urkunde übergeben. Die stolzen Eltern knipsen eifrig, Pauli dirigiert die meist schüchternen Pennäler und schaltet ihr Lächeln ein. Mag sein, der Eindruck täuscht, aber die CSU-Frau wirkt eine Spur freundlicher und ermutigender gegenüber den Mädchen.

Zwei von ihnen - eine mit dem unpassenden T-Shirt-Spruch "No School No Stress" - sprechen sie ohne Scheu nach Ende der Preisvergabe an der Schulpforte noch mal an. Unkompliziert sieht das aus. Neben Familienministerin von der Leyen und Kanzlerin Merkel dürfte Pauli eine der ganz wenigen Unionsfrauen sein, die Jungwählerinnen bewegen könnten, sich politisch zu engagieren. Jene, denen zudem Outfit und Schönheit wichtig sind, erst recht. In Bayern, erzählt Paulis sonst sehr schweigsame Chauffeurin, gebe es nur zwei staatlich angestellte Fahrerinnen, eine ist sie.

Sie setzt ihre Chefin ab im Maroni in Zirndorf, Paulis Heimatstadt. Hier, in diesem italienischen Restaurant und nebenan im Goldenen Löwen hat sie öffentlich die Fronde gegen Stoiber angezettelt. Der Marktplatz ist wohl so etwas wie das Epizentrum des Erdbebens, das sie in der heilen CSU-Welt ausgelöst hat. Sie wirkt jetzt sicherer, beantwortet bereitwillig Fragen - vielleicht auch, weil sie die Rolle der Presse in der Demokratie schätzt, wie sie sagt. Über politische PR hat sie promoviert. Pauli erzählt viel, aber nicht zu viel, man fragt sich oft, ob das Ganze nun recht naiv ist oder besonders clever. Etwa wenn sie Sätze sagt wie: "Politik ist schon immer mein Hobby gewesen - und ist es noch", oder: "Ich will immer Menschen um mich haben, die stark sind, denn das macht mich selbst stärker." Da sind sie wieder, diese "Sei du selbst"-Sätze der Marke Pauli.

Auch deshalb hat sie seit gut einem Jahr viel Spott, ja Hass ertragen müssen - der Tiefpunkt waren wohl die Buhrufe der Stoiber-Claqueure beim Politischen Aschermittwoch in Passau. Zu den Tiefschlägen gehörten auch die schlüpfrigen Bemerkungen nach Veröffentlichung ihrer Latex-Domina-Bilder in der Zeitschrift Park Avenue. Sie habe "einfach zu viel Vertrauen in die Medien gehabt", sagt sie. "Und das ging einmal daneben." Insgesamt aber habe sie all dies "freier gemacht" - die Extreme, die sie in den vergangenen Monaten erlebt habe. Es ist diese Freiheit, die sie jetzt nutzt, um das große Spiel zu spielen, den Kampf um den Parteivorsitz. Und kann sie wirklich verlieren?

Der letzte Termin an diesem Tag ist halb offiziell, halb privat. Pauli lädt eine Handvoll Leute ein, die ihr vor ein paar Wochen beim großen Privatfest anlässlich ihres 50. Geburtstages geholfen haben. In der Fränkischen Weinstube in Wachendorf gibt es Zünftiges, Stadtwurst mit Musik und Hausmachersülze. Pauli muss keine Rede halten, sie wirkt entspannter hier, aber auch etwas entfernt, als sei sie dieser kleinen, gemütlichen Welt schon entrückt. Und wer weiß, was kommt? Ist nicht aus einer schüchternen Physikerin aus Templin eine Kanzlerin geworden? So gesehen hat die hübsche Landrätin von Fürth sehr viel bessere Chancen. Pauli hat noch einiges vor.

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