Bestseller: Lili langweilt sich

Eine Heldin an der Supermarktkasse: Olivier Adams französischer Bestseller "Keine Sorge, mir gehts gut" erscheint auf Deutsch.

Schreibt über neoliberales Partygeschwätz: Olivier Adam Bild: Promo

"Sechs Eier, eine Tüte Pommes frites, Butter von Kerrygold, drei Flaschen Cola, drei Päckchen Spaghetti von Panzani, ein Päckchen Uncle-Bens-Reis, Roastbeef, drei Fertigkuchen von Dr. Oetker". Mechanisch hält Lili den roten Lichtbalken über die Barcodes. Sie arbeitet als Kassiererin in einem Supermarkt. Nicht nur in den Semesterferien, wie viele ihrer Kolleginnen, die BWL oder Literatur studieren, sondern im richtigen Leben. "Kassenhochschule" nennt sie das. Wenn auf den Partys die Doktoranden, Diplomanden, Klugschwätzer über Kultur und Demokratisierung oder die neue russische Nouvelle Vague diskutieren, wird ihr schlecht. Über die Frage, ob sie nicht lieber einen kreativen, spannenden Job hätte, kann sie nur lachen. "Ich finde Gemüse spannend", sagt Lili.

Lilis lässig zur Schau getragene Verachtung für alles Intellektuelle ist zugleich eine Flucht aus der Welt ihres Bruders. Ihres klugen, belesenen, geliebten Bruders Loïc, der vor zwei Jahren nach einem Streit mit dem Vater spurlos verschwunden ist. Hin und wieder schreibt er der Schwester eine Karte. Diese Lebenszeichen beruhigen sie für eine Weile. Doch eines Tages beschließt Lili, sich auf die Suche nach dem Vermissten zu machen. In dem Küstenort in der Normandie, aus dem die letzte Postkarte abgeschickt wurde, findet sie zwar nicht Loïc. Dafür aber macht sie eine Entdeckung, die ihr die eigene Familiengeschichte in neuem Licht erscheinen lässt.

Olivier Adams Roman "Keine Sorge, mir gehts gut", in Frankreich ein Bestseller, wurde von Phillipe Lioret verfilmt und mit zwei Césars ausgezeichnet. Der 1974 geborene Autor, der auch an dem Drehbuch mitschrieb, setzt schon in der Romanvorlage auf filmische Mittel: kurze Szenen, harte Schnitte, knappe Dialoge. Wie seine Heldin Lili scheint Adam nur den unmittelbaren Sinneseindrücken zu trauen und verzichtet auf jede psychologische Erklärung. In nüchternen Sätzen protokolliert er das Sichtbare, Fühlbare: "Lili schläft", "Lili duscht", "Lili langweilt sich", "Lili weint", "Lili kotzt". Konsequent verzichtet er auf alles beschreibende Beiwerk. Seine Stadt- und Landschaftsbilder erinnern an lange Kamerafahrten durch triste Pariser Vororte, in denen Adam selbst aufwuchs: "Die ganze N7 entlang, über eine schier endlose Strecke, nichts als diese merkwürdigen Hallen, vier mal drei Meter große Werbeplakate, riesige Straßenlaternen, Pizzerias und schäbige chinesische Restaurants, McDonaldss, Quicks, Vertragshändler von Renault, Peugeot und Honda, Firmenschilder von Midas."

Das Aneinanderreihen von Fakten ist hier Erzählprinzip - doch bei aller minimalistischen Selbstbeschränkung gelingt es Olivier Adam, eine dichte Atmosphäre zu schaffen. Immer wieder durchbricht er den nüchternen Tatsachenbericht durch Rückblenden, Erinnerungsfetzen seiner Heldin an eine idyllische Kindheit. Scheinbar Nebensächliches rückt in den Vordergrund, die Kulissen wechseln immer schneller. Und während man sich noch fragt, warum kurz vor Schluss mit dem einsamen Werbetexter Julien eine neue Figur eingeführt wird, trifft einen schockartig die Erkenntnis. Fast nebenbei entdeckt der junge Mann, der sich an der Kasse in Lilis anrührendes, schlichtes Lächeln verliebt hat, das Geheimnis um deren verschwundenen Bruder. Ob er es ihr - um den Preis dieses Lächelns - verraten wird, bleibt offen.

Mit satirischer Schärfe zeichnet Adam zugleich das Porträt einer jungen Generation von Franzosen, die sich tagsüber im Konkurrenzkampf um Studienplätze und Jobs aufzehrt und abends in geschmackvollen Wohnungen mit Wodka besäuft. Lustvoll imitiert er das professorale Gehabe der Kulturschaffenden, die geistreichen Bonmots der Werbeleute, die Arroganz der Jungarchitekten. Doch das neoliberale Partygeschwätz dieser jungen Schnösel interessiert Lili ebenso wenig wie die Diskussionen um Einstiegsgehälter und Kreativität im Job. Sie weiß: In der Warteschlange vor der Kasse sind alle Menschen gleich.

Olivier Adam: "Keine Sorge, mir gehts gut". Aus dem Französischen von Carina von Enzenberg. Schirmer Graf Verlag, München 2007, 187 Seiten, 16,80 Euro

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