Typisch Frauenbewegung

Wenn Frauen sich in den Siebzigern befreiten, wirkte das mitunter krude und kurios. Helke Sander kritisiert das – und hat trotzdem einen kruden und kuriosen Film über die Frauenbewegung gemacht. Ab heute läuft „Mitten im Malestream“ im Kino

VON HEIDE OESTREICH

Was die neue Frauenbewegung war, stellt das Bonner Haus der Geschichte angeblich so dar: Ein Emma-Heft, eine lila Latzhose und eine Hörstation, aus der Frauenlieder tönen. Die Frau von heute verbindet damit Männerfeindlichkeit, Unsexyness und esoterische Selbstfindungsriten. Zur Identifikation taugt das offenkundig nicht.

Eine dürftige Präsentation

Die Protagonistinnen der Frauenbewegung allerdings sehen sich grob verkannt. Alice Schwarzer wird nicht müde zu betonen, dass hinter diesen Zeichen verschüttete Wahrheiten stehen, die mutwillig fehlinterpretiert werden. Eine andere Strategie wählt jetzt die Regisseurin Helke Sander in ihrem Filmessay „Mitten im Malestream“, der heute im Hamburger Metropolis-Kino anläuft und der mit der dürftigen Präsentation im Haus der Geschichte beginnt.

Sander, die unter anderem den „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“, Kinderläden, Künstlerinnengruppen und die renommierte Zeitschrift Frauen und Film gründete, versucht eine neue Lesart der Bewegung ins Gespräch zu bringen: Die Reduktion auf Latzhose und Schwarzer sei verfälschend, die Frauenbewegung war ganz anders, so ihre Grundthese. „Wenn ich heute jung wäre, würde ich mich auch nicht mit einer Frau in lila Latzhosen identifizieren können, die zu albernen Reimen in Kreisen hüpft, ihre Unterdrückung bejammert, militant lesbisch ist oder militant als große Mutter auftritt“, erklärt sie zu ihrem Film. Doch solche „Idiotien“ seien „Randerscheinungen“ gewesen. Ursprünglich sei es nicht um „Frauen als Opfer“ gegangen, sondern um die Machtfrage, die heute wieder die Gemüter bewegt: Wer hat die Gelegenheit, sich in der Gesellschaft zu behaupten und zu verwirklichen, und wer macht die Reproduktionsarbeit in Küche und Kinderzimmer?

Das ist in der Tat vor allem Sanders Thema, das sie schon 1968 mit ihrer historischen Rede vor dem SDS-Kongress in Frankfurt vergeblich hatte diskutieren wollen, was den ebenso historischen Tomatenwurf einer ihrer Kolleginnen zur Folge hatte. Und es war auch immer ein Thema der Frauenbewegung, wie sie in ihrem Filmessay an einigen Original-Filmausschnitten zeigen kann. Nur: Dass hier das eigentliche Thema war, und lila Latzhosen und Kreistänze randständige Seitenaspekte und „Idiotien“ bildeten, das ist wohl vor allem Sanders eigene Sichtweise.

Die Idiotien, ein Gewirr aus verbrannten BHs, Klitoris-Erfahrungsseminaren und autonomen Frauengruppen, in denen man nicht „man“ sondern „frau“ sagen muss, sonst darf person nicht mehr mitmachen, das waren mitnichten Randerscheinungen, das weiß jeder, der mal in einem autonomen Frauenseminar gesessen hat. Man kann sie leider nicht von einer ernsthaften Bewegung mit ehrenwerten Themen trennen. Die Idiotien entstehen vielmehr zwangsläufig, weil man in zahllose Widersprüche gerät, wenn man mal eben versucht, jahrtausendealte Machtverhältnisse zu ändern. Einer davon ist die Tatsache, dass Frauen oft die Männer lieben, deren Verhalten sie bekämpfen. Oder dass sie ihr eigenes Verhalten als feministisch unkorrekt enttarnen. Diesen tendenziell schizoiden Zustand über Jahre auszuhalten gelingt kaum jemandem. So ergeben sich mehr oder weniger geglückte Lösungen: „Bewegungslesbe“ werden, Männer hassen, allein erziehend sein, unter der Hand ins alte Rollenschema schlüpfen oder auch Dauernörgeln im Opferdiskurs. Die ganz andere und schönere Frauenbewegung aber, die gibt es nicht.

Die Kernfrage: Kinderbetreuung

Trotzdem ist es natürlich legitim, der Frage nachzugehen, warum sich die Gesellschaft in einer Kernfrage des Geschlechterverhältnisses, in Sachen Kinderbetreuung nämlich, so wenig bewegt hat. Von einem Helke-Sander-Film hätte man allerdings erwarten können, dass er dieses Problem nun seziert, analysiert, bebildert und bis hin zu unbequemen Wahrheiten verfolgt. Leider ist dieser Film kein typischer Helke-Sander-Film. Er ist vielmehr ein typischer Frauenbewegungs-Film geworden, mit allen Kuriositäten und Kruditäten, die die Bewegung zu bieten hat.

Einige davon drücken sich ganz direkt aus: Es gab nicht genug Material für einen Dokumentarfilm. Warum? Weil die Frauenbewegung die Männermedien weitgehend boykottierte – und nicht nur, weil diese die Emanzen nicht ernst nehmen wollten. Die wenigen Szenen, die Sander findet, zeigen unter anderem feministische Aktionen. Und die sind genau so, wie man sich das Klischee der Frauenbewegung vorstellt. Interessant wird es immer, wenn der Konflikt mit der Normalität greifbar wird: Einer männlichen Versammlung wird vorgerechnet, für wie viel Abtreibungen sie insgesamt schon verantwortlich ist – obwohl in der Öffentlichkeit nur Frauen kriminalisiert wurden. Gegenschnitte zeigen Männer, die meinen, ihre Sache sei eben das Motorradfahren und die ihrer Freundin sei das Kind. Oder die finden, die deutsche Frau sei leider zu unselbständig, um am politischen Leben teilzunehmen. Wenn diese gesellschaftliche Realität als Gegenkraft sichtbar wird, dann scheint es plötzlich ganz nahe liegend, im gemischten Chor von einer Bühne zu singen, dass nur einer von 60 Redaktionsleitern im Fernsehen eine Frau ist. Doch der Film ist nur selten bemüht, diesen Hintergrund zu erhellen. Mal sehen wir singende Frauen, mal schreiende, mal nackte im Planschbecken. Das aber ist nicht weit weg von „zu albernen Reimen im Kreis hüpfen“ – und zeigt die Bewegung, wie Sander sie gerade nicht haben wollte.

Das versucht der Film nun durch Kommentierung aufzufangen, die vor allem in einer ausufernden Diskussion von acht Frauen besteht, die Sanders Sichtweise mehr oder weniger teilen. Mit Verlaub: Das ist eine echte Frauenbewegungsidee.

Am Ende ein Sektchen

Die Damen werden ein einziges Mal vorgestellt, nach zehn Minuten hat man leider wieder vergessen, wer nun Annegret Stopczyk ist und ob Halina Bendkowski die Philosophin ist oder die vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter. Sie sitzen im Volkshochschulambiente zwischen weißen Stellwänden, auf die ausgeschnittene frauenfeindliche Sprüche aus mindestens vier Jahrtausenden gepinnt sind, vor sich ein Tisch mit einem riesigen wirren Haufen Frauenliteratur. Ab und zu werden die Produktionsbedingungen transparent gemacht, indem die Kameraleute sich gegenseitig filmen. Am Ende gibt es ein Sektchen und jede soll noch mal bitte langsam durchs Bild laufen. Kino ist etwas anderes.

Es ist diese gewisse Unbekümmertheit gegenüber den RezipientInnen, die den Film so typisch für die Frauenbewegung macht. Erst kommen wir, unsere Konflikte und unsere Inhalte. Was das Publikum damit anfängt, ist zweitrangig. Frau macht keine Kompromisse mit der Bewusstseinsindustrie und ist lieber radikal subjektiv – irgend so ein Gedanke scheint dahinter zu stecken. Das ist natürlich die beste Garantie dafür, weiter am Rand zu bleiben und nicht mitten im Mainstream, der längst kein einfacher „Malestream“ mehr ist.

Die katholische Kirche und so

Diese heroische Selbstausgrenzung, auch eine typische Frauenbewegungsmacke, scheint immer mal wieder auf: Im Vorspann beklagt Sander, dass kein Sender ihr Filmkonzept unterstützen wollte, die Frauenbewegung interessiere doch nicht mehr, habe es geheißen. Dass es an der Regisseurin sein könnte, die Frauenbewegung für die heutige Öffentlichkeit interessant zu machen, ist ein Gedanke, den Sander offenbar nicht erwägt. Auch verdrängt die offizielle Bundesrepublik ihre weibliche Geschichte nicht so stark, wie der Filmeffekt es will: Das Haus der Geschichte etwa beherbergt laut Katalog nicht nur drei Exponate zur Frauenbewegung, wie der Film behauptet, sondern noch einige mehr. Und Helke Sanders historische Rede von 1968 kann man sogar in Gänze beim Deutschen Historischen Museum im Internet lesen.

All die jungen Frauen, denen Sander doch die wahre Schönheit der Frauenbewegung zeigen wollte, werden wohl spätestens abschalten, wenn der Film sich auch inhaltlich von seiner anfangs aufgeworfenen Frage immer weiter entfernt. Schuld daran, dass die Kinderfrage in den Hintergrund rückte, sind die „Bewegungslesben“, Alice Schwarzer und die Männer. Eine wirkliche Analyse hätte fragen müssen, warum es so bequem war, sich im Anklagemodus einzurichten und ob es dazu eine politische Alternative gab. Doch stattdessen debattiert man sich nun auf Fernsehrunden-Niveau durch sämtliche sonstigen Themen der Bewegung, von Kinderläden über die katholische Kirche zur Reproduktionsmedizin, und siehe da, die Positionen der Frauenbewegung sind alle noch aktuell. Super. Nur diejenigen, denen man das endlich mal zeigen wollte, die schauen jetzt schon lange nicht mehr zu.