Keine Zeitung wie jede andere

Streit in der Ökumene: Morgen geht die Seligsprechung von drei der vier Lübecker Märtyrer in die nächste Runde. Weil sie gerade jetzt über die NS-Vergangenheit des Vierten berichtet, wird die katholische Kirchenzeitung heftig kritisiert

von Susanne Gieffers

„Sag niemals drei, sag immer vier!“ Das antwortete ein Mann auf dem Sterbebett seiner Frau, als sie gesagt hatte: „Nun bist du bald bei deinen drei Geistlichen im Himmel.“ Gemeint waren die drei, nein: vier Lübecker Märtyrer – vier Geistliche, die morgen vor 62 Jahren wegen ihres öffentlichen Protests gegen den Nationalsozialismus hingerichtet wurden. Drei von ihnen waren katholisch, einer evangelisch. Die Überlieferung des Sterbenden zeigt, wie sehr die vier als Einheit gedacht wurden.

Die drei Katholiken, Johannes Prassek, Eduard Müller und Hermann Lange, sollen nun seliggesprochen werden. Morgen, pünktlich zum Todestag, wird der erste Teil des umfangreichen Verfahrens abgeschlossen (siehe Kasten), Hamburgs Erzbischof Werner Thissen übergibt dann dem römischen Anwalt Andrea Ambrosi 4.200 Seiten Dokumente über die drei Seligen in spe. Der evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink, der Vierte im Bunde, soll im Rahmen all dessen immerhin „ehrend erwähnt“ werden – mehr geht ja nicht. Um seine Person ist nun auf der Zielgeraden der hoch feierlichen Veranstaltung ein Streit hochgekocht, der sich weniger um historische Fakten als vielmehr um Empfindungslagen und journalistische Arbeit dreht.

Stellbrink war Nazi, zumindest bis 1936. Das ist nicht neu, doch als vergangene Woche ausgerechnet die katholische Neue Kirchenzeitung über Stellbrink und seine NS-Vergangenheit berichtete, war die Empörung groß – vor allem auf evangelischer Seite. Vielleicht lassen sich die tiefer liegenden Empfindungen so zusammenfassen: Ausgerechnet wenige Tage, bevor die Katholiken ihre Märtyrer feiern, beschädigen sie den evangelischen Part der Gruppe, indem sie auf seine Vergangenheit hinweisen. Ein gemeiner Angriff?

Alles andere als das hatte der Journalist Andreas Hüser im Sinn, als er von der Sitzung der ökumenischen Arbeitsgruppe „Lübecker Märtyrer“ berichtete, die diesmal Stellbrinks Haltung zum Nationalsozialismus und sein Umfeld zum Thema hatte. Ein Historiker hatte da aus Mitschriften von Vorträgen des Pastors zitiert und zugleich das Gedankengut der „Deutschen Christen“ erläutert, des Arms der NSDAP in der evangelischen Kirche, dem auch Stellbrink angehörte. So war für ihn Jesus der Prototyp des „nordischen Kämpfers, des ersten Judenhassers von Format“, die Deutsch-Christen lehnten das Alte Testament ab, denn es ist jüdisch, und statt des Gebots „Du sollst nicht ehebrechen“ sollte es ihrer Meinung nach heißen: „Halte dein Blut rein und die Ehe heilig.“

Stellbrink wurde 1936 aus der NSDAP ausgeschlossen, in diesen Jahren muss er seine Haltung grundlegend geändert haben – doch wie das genau aussah, ist noch unerforscht.

Als Hüsers Artikel in der Kirchenzeitung, Überschrift: „Sag immer vier“, erschienen war, war die Arbeitsgruppe sauer. Ihr Hauptvorwurf: Der Bericht sei nicht abgestimmt worden. „Wir hatten gesagt, wir sprechen das miteinander ab, was wir veröffentlichen“, so Oberkirchenrat Wolfgang Vogelmann von der evangelischen Nordelbischen Kirche. Es sei da aus einer noch nicht abgeschlossenen Arbeit berichtet worden, sagt Vogelmann, und in Richtung Hüser: „Sowas veröffentlicht man eigentlich anders.“ Auch der Leiter der Arbeitsgruppe, der katholische Pastoralreferent Sebastian von Melle, spricht von einem „journalistischen Schnellschuss“, sagt aber selbstkritisch: „Wir haben es versäumt, nochmal ganz klare Absprachen über die Autorisierung zu treffen.“

Der Gescholtene, Andreas Hüser, Redaktionsleiter der Neuen Kirchenzeitung, kann einen handwerklichen Fehler nicht finden. Er habe sich der Runde als Redakteur der Kirchenzeitung vorgestellt, jeder habe somit gewusst, dass ein Journalist über die Sitzung berichten würde. „Wenn es ein Interview gewesen wäre, hätte ich es autorisieren lassen“, sagt Hüser, „als solches war es aber nicht geplant.“

Zwar gibt es auch inhaltliche Kritik an Hüsers Bericht von der Sitzung: Zitate der Deutsch-Christen würden darin dem Pastor zugeschrieben, was sich aus dem Vortrag des Historikers so aber nicht schlussfolgern lasse. Aber dass der Journalist die Zusammenhänge im wesentlichen zutreffend dargestellt hat, wird von niemandem wirklich bestritten.

Worum es eigentlich geht, ist dies: „Diese Darstellung wollte keinen Schaden anrichten, sie hat es aber leider getan, da der Eindruck erweckt wurde, als sei der Pastor nicht würdig, an der Seite der drei Kandidaten für die Seligsprechung geehrt zu werden“, schreibt Sebastian von Melle in einem Leserbrief an die Kirchenzeitung.

„Es gibt Menschen, die hätten sich von dem Journalisten mehr Sensibilität in dieser Zeit zu diesem Thema gewünscht“, sagt es diplomatisch der Pressereferent des Erzbistums Hamburg, Manfred Nielen, und stellt dann die entscheidende Frage: „Ist eine Kirchenzeitung eine Zeitung wie jede andere, oder kann man diese Sensibilität erwarten?“ Darüber habe man inzwischen „ein paar gute Gespräche“ geführt, so Nielen. Doch Hüsers Chef, der Herausgeber der Neuen Kirchenzeitung, Erzbischof Werner Thissen, hat seine Antwort auf die Frage bereits gegeben. Kern seiner gemeinsam mit dem Bischof der Nordelbischen Kirche Hans Christian Knuth abgegebenen Erklärung ist die Feststellung, dass in dem umstrittenen Artikel „bedauerlicherweise Gesprächsinhalte ohne Absprache veröffentlicht“ worden seien. Die Erklärung wird in der nächsten Ausgabe der Kirchenzeitung veröffentlicht. Und zumindest die Redakteure der Neuen Kirchenzeitung wissen nun, dass ihr Blatt keine „Zeitung wie jede andere“ zu sein hat.